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Was ist die richtige Therapie beim Seminom CSIIA/B? – Die Antwort ist noch offen

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Tumoren der äußeren Genitalien

Hodentumoren

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7 MIN

Erschienen in: UroForum

Aus UroForum, Heft 02/2024

Susanne Krege

Das Seminom im klinischen Stadium II A/B zeichnet sich durch eine geringe Tumorlast mit Lymphknotenmetastasen im Retroperitoneum mit einem maximalen Querschnittsdurchmesser von 5 cm aus. Demgegenüber ist die gemäß der S3-Leitlinie empfohlene Therapie mit Bestrahlung oder Systemtherapie zwar effektiv, aber sehr nebenwirkungsreich, insbesondere in Bezug auf Langzeittoxizitäten, besonders Zweitmalignome. Der Artikel berichtet über Ansätze und aktuell laufende Studien zur Reduzierung der Toxizitäten bei Erhalt der Effektivität der Therapie.

Langzeittoxizitäten von Bestrahlung und Chemotherapie

Die Therapie der niedrigen Stadien beim Seminom war viele Jahrzehnte eine Domäne der Strahlentherapie. Mit einem 15-Jahres krankheitsfreien Überleben von 99 % im klin. Stadium I (CS I) und 96–98 % in Stadium IIA/B (CS IIA/B) handelt es sich um eine optimale Therapie [1]. Allerdings zeigte die zitierte Arbeit auch, dass die Rate an Zweitmalignomen im Langzeitverlauf steigt, und das relative Zweitmalignomrisiko bei 1,84 liegt. Bei der Behandlung der ausgedehnteren CS IIB-Tumore schneidet die systemische Chemotherapie tendenziell besser ab [2]. Zwar kommt es auch nach Chemotherapie im Verlauf zum Auftreten von Zweitmalignomen, jedoch ist die Gesamtinzidenz mit 0,02 nur halb so hoch wie mit 0,04 nach Strahlentherapie [2]. Zudem sind es nach Chemotherapie eher hämatologische Neoplasien, während es nach Bestrahlung eher solide Tumore im Gebiet des Strahlenfeldes sind. In einer Arbeit von Horwich et al. ergab sich eine statistisch signifikant erhöhte Inzidenz für Magen- (SIR 1,93), Pankreas- (SIR 3,14) und Blasenkarzinome (SIR 2,46). Die Arbeitsgruppe konnte zudem eine Korrelation zwischen der Feldgröße bzw. der Strahlendosis und der Inzidenz für Zweitmalignome zeigen [3]. Bei der Polychemotherapie muss zudem die Entwicklung eines metabolischen Syndroms und die daraus resultierende erhöhte Kardiotoxizität im Langzeitverlauf beachtet werden [4].

Therapieempfehlungen gemäß S3-Leitlinie

Schaut man sich nun die Empfehlung zur Therapie des Seminoms CS IIA/B in der aktuellen deutschen S3-Leitlinie an, so wird mangels guter Alternative für das Stadium CS IIA primär eine paraaortale und ipsilateral iliacale Bestrahlung mit 30 Gy oder alternativ eine Polychemotherapie mit 3 Zyklen Cisplatin, Etoposid und Bleomycin (PEB) bzw. 4 x PE bei Kontraindikationen für Bleomycin empfohlen und für das Stadium CS IIB vice versa primär die Chemotherapie und alternativ die Bestrahlung, dann allerdings mit 36 Gy [5]. Für den geringen Umfang der Tumormasse sind dies beides folgenschwere Therapien.

Historische Therapieansätze

In der Vergangenheit wurden verschiedene Ansätze verfolgt, um bei Erhalt der Effektivität der Therapie die Langzeitfolgen zu reduzieren. Vor dem Hintergrund des adjuvanten Einsatzes von Carboplatin im CS I zur Eliminierung von Mikrometastasen im Retroperitoneum führte die Deutsche Interdisziplinäre Hodentumorgruppe eine Studie zur Therapie des Seminoms CS IIA/B mit 3 bzw. 4 Zyklen Carboplatin durch. Hier waren die Ergebnisse enttäuschend. Neben einer Progressrate von 18 % noch unter Therapie, kam es bei den 108 Patienten in 13 % zu Rezidiven, 16 % im CS IIA und 11 % im CS IIB, alle aus einer kompletten Remission heraus im Median 6 (2–27) Monate nach Therapieende. Alle Rezidive traten im Retroperitoneum auf [6].

Abb. 1: Studienkonzept der SAKK-Studie 01/10; modif. nach [9]
Abb. 1: Studienkonzept der SAKK-Studie 01/10; modif. nach [9]

Eine Kombination von Bestrahlung und Carboplatingabe wurde von Patterson et al. berichtet. Es handelte sich um eine kleine Studie mit 33 Patienten, die einen Zyklus Carboplatin erhielten und dann infradiaphragmal bestrahlt wurden. 80 Patienten mit alleiniger infradiaphragmaler Bestrahlung dienten als historische Vergleichsgruppe. Es ging um eine Verbesserung des Therapieergebnisses. Während sich für das CS IIA kein signifikanter Unterschied ergab (5J RFS 92,3 vs. 84,9 %; p = 0,527), war dies für das CS IIB (5J RFS 100,0 vs. 69,4 %; p = 0,059) der Fall [7]. Der Ansatz wurde aber nicht weiterverfolgt. Eine andere Studie mit kleiner Patientenzahl (n = 51) kombinierte ebenfalls 1 x Carboplatin mit einer Bestrahlung, wobei hier entweder das Strahlenfeld reduziert wurde (paraaortal statt Dog­leg) oder die Dosis verringert wurde (30 statt 35 Gy). (Ein Dogleg-Feld muss man sich als umgekehrtes Y vorstellen. Bei einem rechtsseitigen Tumor wird entlang der Aorta und Vena cava bzw. entlang den rechtsseitigen Iliakalgefäßen bestrahlt, bei einem linksseitigen Tumor entlang der Aorta und Vena cava sowie den linksseitigen Iliakalgefäßen.) Bei einem medianen Follow-up von 55 Monaten traten in beiden Gruppen keine Rezidive auf [8]. Aber auch diese Studie wurde nicht fortgeführt.

Aktuelle Studien

Abb. 2: Studienkonzept der SAKK-Studie 01/18.
Abb. 2: Studienkonzept der SAKK-Studie 01/18.

Kombination von Chemotherapie und reduzierter Bestrahlung
Der Ansatz wurde dann in der SAKK 01/10 Studie von den Schweizer Urologen wieder aufgegriffen. Die Überlegung war, durch einen Zyklus Carboplatin mögliche Mikrometastasen im Retroperitoneum zu zerstören und die Bestrahlung nur auf die in der Bildgebung sichtbare Tumormasse zu konzentrieren, sog. involved node radiotherapy (▶ Abb. 1). Die Ergebnisse der Studie, die in Kooperation mit der Deutschen Interdisziplinären Hodentumorgruppe erfolgte, wurden im letzten Jahr publiziert. Es wurden 116 Patienten aufgenommen. Bei einem medianen Follow-up von 4,5 (0,8–8,1) Jahren betrug das 3-Jahres progressionsfreie Überleben (PFS) für die Gesamtgruppe 93,7 % (90%-Konfidenzintervall [KI]: 88,5–96,6 %), für das CS IIA 95,2 % (90%-KI: 85,5–98,5 %) und das CS IIB 92,6 % (90%-KI: 85,2–96,4 %). Es traten 7 Rezidive auf, eines im CS IIA und 6 im CS IIB, alle außerhalb des Strahlenfeldes. Die mediane geplante Zieldosis entsprach 25 % der Standarddosis des Dogleg-Feldes. Die häufigsten Grad III/IV-Nebenwirkungen waren eine Thrombozytopenie (3,2 %) und eine Neutropenie (2,5 %). Langzeittoxizitäten waren im überschaubaren Nachbeobachtungszeitraum nicht zu verzeichnen. Allerdings war als primärer Endpunkt ein 3-Jahres-PFS von 95 % festgelegt worden, was für die Gesamtkohorte bzw. das Stadium CS IIB nicht erreicht wurde [9]. Dennoch überzeugte die Studie, sodass eine Anschlussstudie (SAKK 01/18) initiiert wurde, in der man das Konzept mit 1 Zyklus Carboplatin für das Stadium CS IIA beibehalten hat, die Strahlendosis aber von 30 auf 24 Gy deeskalierte. Im Stadium CS IIB wurde die Chemotherapie auf 1 Zyklus Cisplatin/Etoposid eskaliert, die Strahlendosis aber auch von 36 auf 30 Gy verringert (▶ Abb. 2). Außerdem können in letztere Kohorte jetzt auch Patienten, die nach adjuvanter einmaliger Carboplatin-Gabe ein Rezidiv im CS IIA/B entwickeln, aufgenommen werden.

Tab. 1: Übersicht über drei Studien zur primären Operation beim Seminom CS IIA/B; modif. nach [10–12].
Tab. 1: Übersicht über drei Studien zur primären Operation beim Seminom CS IIA/B; modif. nach [10–12].

Alleinige Tumorresektion
Einen ganz anderen Ansatz verfolgten bzw. verfolgen eine US-amerikanische und zwei deutsche Studien [10–12]. Hier geht es um die alleinige operative Entfernung des Tumors beim Seminom CS IIA/B ohne eine anschließende adjuvante Chemotherapie. Auch hierzu gibt es ältere, allerdings wenig erfolgreiche Berichte [13]. In die US-amerikanische Studie wurden Patienten mit Lymphknoten von maximal 3 cm Durchmesser bzw. maximal 3 Lymphknoten aufgenommen. In den beiden deutschen Studien durften die Lymphknoten einen maximalen Durchmesser bis 5cm haben. Hier durfte offen oder robotisch operiert werden, in der US-amerikanischen nur offen. ▶ Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Ergebnisse der Studien. Die Autoren heben in den Publikationen hervor, dass sich in einem gewissen Anteil der Operationen ein pathologisches CS I ergab (9–16 %). Dies ist auch aus Studien zum Nichtseminom bekannt. Der primäre Endpunkt würde nur in der COTRIMS-Studie erreicht. Verwunderlich erscheint aber allemal die Wahl des primären Endpunktes in allen 3 Studien (▶ Tab. 1). Wenn von anderen Therapien bekannt ist, dass ein 3– oder gar 6-Jahres rezidivfreies Überleben von über 95 % für das CS IIA und über 92 % für das CS IIB erreicht worden ist, warum hat man dann hier so niedrige Werte angesetzt? Letztendlich verteidigen die Autoren ihre Strategie mit der Einsparung an toxischen Therapien und der geringen Morbidität der OP. In der Tat ist die Rate an erhaltener antegrader Ejakulation mit 90–95 % in den drei Studien hoch. Es bleibt aber zu bedenken, dass es sich bei allen drei Studienzentren um ausgewiesene Zentren für die Therapie des Hodentumors handelt. Schaut man sich die Langzeitergebnisse der Studie RLA versus 1 x PEB beim Nichtseminom CS I an – hier handelte es sich um eine multizentrische deutsche Studie –, so kam es bei 24 % der Patienten zu einer retrograden Ejakulation [14]. Und es ist nicht anzunehmen, sollte sich der primär operative Ansatz beim Seminom CS IIA/B etablieren, dass alle Patienten, deren Tumorlast ja letztendlich gering ist, an ein Zentrum geschickt werden. Es bleibt also spannend, wie sich die Therapieempfehlung beim Seminom CS IIA/B verändern wird.

Prof. Dr. med. Susanne Krege

Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Susanne Krege
Direktorin der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Uroonkologie
Ev. KIiniken Essen Mitte
Henricistr. 92
45136 Essen
Tel.: 0201/17429003
s.krege@kem-med.com

Quelle: Aufmacherbild © adobestock – NanSan

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