Seit Freitag läuft die Sondierung zwischen CDU/CSU und SPD über die Bildung einer neuen Bundesregierung. Balsam auf die geschundene Seele der SPD dürfte ihr Sieg in den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft am Sonntag sein. Die Gesundheitspolitik war bislang kein Thema der Sondierung, obwohl ein Masterplan Gesundheit so nötig wäre. Die Politik hat dazu bislang keine Idee, dafür aber Prof. Maurice Stephan Michel im UroSkop.

In der Tat ist die Liste der Probleme ellenlang, die Zeit knapp. Finanzierung, Patientensteuerung, Notfallreform, Krankenhausreform, Entbürokratisierung, Digitalisierung, Ambulantisierung und mehr. Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung schreiben tiefrote Zahlen. Krankenhäuser senden SOS-Notrufe. Die ambulante Medizin krankt an chronischer Unterfinanzierung. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung drängt auf schnelle Reformen, um den auf höchster Stufe kochenden Kessel des Gesundheitssystems ein wenig abzukühlen.
Vielleicht ist ja nicht nur die Politik das Problem, sondern auch der Partikular-Lobbyismus der Berufsverbände und sonstigen Institutionen der Selbstverwaltung. Die Gedanken von DGU-Vizepräsident Prof. Maurice Stephan Michel zielen auf einen „Masterplan Gesundheit“, der alle Player an einen Tisch bringt, um das Gesamtsystem neu zu justieren. Dieser „polemische Lobbyismus“, wie Michel diese Haltung von Berufsverbänden und ärztlichen Vereinigungen zur Interessendurchsetzung nennt, sei schädlich. Der Masterplan müsse über dem Profit des Einzelnen stehen.
Gesundheitspolitische Reform sind dringender denn je
Eines steht für Prof. Michel nicht zur Disposition: „Gesundheitspolitische Reformen sind dringend erforderlich. Das Leid der Patienten hat sich in den vergangenen Jahren vergrößert; ein Termin beim Facharzt ist die heiße `Hehler-Ware´ geworden. Wir brauchen einen Masterplan für das deutsche Gesundheitssystem.“ Jeder Gedanke an eine Staatsmedizin sei in Deutschland zum Scheitern verurteilt, weil traditionell ein Zwei-Sektoren-System mit diversen, komplexen Trägerstrukturen und marktwirtschaftlichen Einheiten existiert. Ein Masterplan müsse also auf der marktwirtschaftlichen Realität des deutschen Gesundheitssystems fußen.
„Der Lobbyismus (…) ist die härteste Nuss, die es zu knacken gilt.“
Ein solches Miteinander beißt sich aus der Perspektive Michels allerdings noch mit dem komplexen Lobbyistentum. Man sollte versuchen, diese Lobby-Struktur zugunsten des Großen und Ganzen zu überwinden. „Alle schauen nur auf ihren Bereich und ihr Überleben oder ihren Profit. Das ist die härteste Nuss, die es zu knacken gilt. Dafür ist es notwendig, den polemischen Lobbyismus zu beseitigen. Ein neuer Masterplan Gesundheitssystem Deutschland muss Vorrang haben“, unterstreicht Prof. Michel.
Dem Gremium Masterplan müssen neben Politik und den Gesundheitsberufen auch die industrielle Gesundheitswirtschaft angehören. „In Deutschland gibt es Medizintechnik, Health IT, Biotechnologie und Pharma, die zusammen rund 200 Mrd. Euro Bruttoinlandsprodukt pro Jahr haben. Die Industrie muss ein intrinsisches Interesse daran haben, neue Wege im Gesundheitssystem zu gehen. Diese Wirtschaftsmacht sollte einer der Motoren des Masterplans werden“, erläutert Michel.
„Da wurde die Axt genommen und rücksichtslos zugeschlagen,
ohne einen abgestimmten Masterplan mit schrittweiser
Umsetzung mit Augenmaß zur Hand zu haben.“
„Die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Lauterbach ist eine der epochalsten Veränderungen im Gesundheitssystem in den vergangenen Jahrzehnten“, bestätigt der Klinik-Urologe. Sie schüttele insbesondere das Krankenhaus-System kräftig durch, könne aber am Ende nur durch konsequente Digitalisierung und eine auskömmliche Honorierung erfolgreich sein. Diese Reform sei zu stark auf das Krankenhaus konzentriert und vernachlässige die Kolateraleffekte. Der Masterplan brauche ein abgestuftes Konzept, damit solche Reformen nicht am Ende auf dem Rücken der Patienten stattfinden. Das BMG habe auf Kraftakte zur Reform des Systems gesetzt, aber die Verantwortung für die Patienten und die Leistungserbringer des Systems vernachlässigt.
Prävention und Früherkennung können Kosten im Rahmen halten
Um die Kosten im Rahmen zu halten, müssten Prävention und Früherkennung gestärkt werden. Die palliative medikamentöse Therapie für metastasierte uro-onkologische Patienten werde immer besser, aber auch teurer. „Im Schnitt kostet diese Palliativ-Therapie heute zum Teil mehr als 100.000 Euro pro Patienten und Behandlungsjahr. Heute können wir das Überleben palliativer Patienten länger gestalten, aber um den Preis einer Verfünffachung der Kosten“, so der Klinikurologe. Die DRG`s für kurative Krebsoperationen hingegen werden teilweise abgewertet. Mehr Früherkennung reduziere Leiden und Kosten. „Die Früherkennungsprogramme müssen ausgeweitet werden; Prävention palliativer Situationen muss stärker in den Focus rücken.“
Der DGU-Vizepräsident fordert einen deutlich besseren Zugang der Patienten zum Facharzt-Termin. Dafür aber muss der Unternehmer Facharzt in der Niederlassung genügend Honorar erhalten, um sich wirtschaftlich über Wasser halten zu können. „Heute braucht ein niedergelassener Urologe oft die Privatmedizin, um die wirtschaftliche Existenz seiner Praxis zu sichern“, betont Prof. Michel. Das deutsche Gesundheitssystem sei nun mal marktwirtschaftlich aufgebaut und keine Staatsmedizin. Dazu muss sich die Politik bekennen und ihre Reformen darauf aufbauen. „Anders wird es nicht gehen.“
Stationäre Urologie muss auf Spezialisierung setzen
Die Kliniken müssen sich aus der Sicht des Klinikdirektors weiter spezialisieren. „Wir brauchen ein Verständnis dafür, dass ein urologischer Chefarzt in Zukunft nicht mehr alles machen kann, was in der Urologie möglich ist. In einem regionalen Netzwerk geht es darum, sich die Spezialisierung aufzuteilen. Es ist ein Department-System unter einer Faculty“, beschreibt Prof. Michel seinen Plan. Die Träger der Kliniken müssten mit ins Boot geholt werden, denn Spezialisierung habe wirtschaftliche Auswirkungen, die vom Management bedacht werden müssten. Michels Idee sind regional abgestimmte Versorgungs-Netzwerke – über Kliniken und Träger hinaus in Abstimmung mit den Praxen.
Im Zeichen der Ambulantisierung brauchen die Kliniken und Praxen dringend einen Aufbau ambulanter effizienter Operations-Ressourcen. Es muss aber finanzielle Anreize geben, denn die Investitionen in ambulante Strukturen müssen finanziert werden, so Michel. Das Beispiel der Hybrid-DRG Ureterorenoskopie zeige deutlich, dass es nur mit einer auskömmlichen Vergütung funktionieren könne. „Bis heute gibt es in der URS-Hybrid-Vergütungen keine wirtschaftlichen Nachbesserungen durch das Bundesgesundheitsministerium. Aktuell gibt es vereinzelt in Deutschland Wartezeiten bis in den Dezember für die URS eines Harnleitersteins. Das geht so nicht“, ärgert sich Michel. Wie auskömmliche Finanzierung funktioniere, zeigten die Hybrid-DRGs für Hydrozele oder Urethrotomie.
Im stationären Operationsgeschehen bekräftigt Michel seine Forderung nach einem Aus der unteren Grenzverweildauer – zum Beispiel nach laparoskopischer roboterassistierter Radikaler Prostatektomie oder Nierentumorchirurgie. So könnten Betten frei gemacht werden für andere Patienten, die sie dringend benötigen. Das BMG hat daran bislang nichts geändert – trotz vieler Empfehlungen der DGU.
Mein Fazit: Ein Reformplan für das Gesundheitssystem wird auch in der neuen Legislatur nicht einfach werden, zumal Gruppeninteressen immer stärker und Kompromisse immer schwieriger werden.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Franz-Günter Runkel
Chefreporter UroForum


