Am Freitagmittag ging im hub27 der Berliner Messe der 28. Hauptstadtkongresses Medizin und Gesundheit mit knapp 5.000 Besuchern zu Ende. Drei Tage lang kam alles zur Sprache, was im Gesundheitssystem reformbedürftig ist. Zum Auftakt sprach Bundesgesundheitsministerin Nina Warken und gab ein Baustellen-Update des Gesundheitssystems.

Nur eine Viertelstunde ließ der eng getaktete Terminplan der CDU-Ministerin, um zentrale Reformprojekte abzuhaken. Reform der Gesetzlichen Krankenversorgung, Umbau der ambulanten Versorgung, Pfelegversicherung, Notfallreform und Krankenhausreform. Ein Primärarztsystem soll Patienten besser versorgen, schnellere Termine beim Facharzt produzieren und Zufriedenheit der Patienten erhöhen. Der Handlungsbedarf ist groß, aber trotzdem scheut Warken versorgungsferne Schnellschüsse, die ihrem Vorgänger Karl Lauterbach viel Ärger und politische Isolation eingebracht hatten.
„Es können Kosten eingespart werden, beispielsweise durch eine Vermeidung von Doppel- und Mehrfachuntersuchungen oder durch eine schnellere Behandlung in der zuständigen Facharztpraxis.“
Nina Warken probiert das Kunststück, Geld im Gesundheitssystem zu sparen und gleichzeitig Versorgungsqualität und Patientenzufriedenheit zu erhöhen. Wer solch hohe Ziele ansteuert, muss sich der Fallhöhe bewusst sein. Deshalb nimmt die Ministerin erstmal das Tempo aus dem Spiel und baut auf eine Art Schmusekurs mit den Akteuren. „Um diese Ziele nicht zu gefährden, werden wir bei diesem hochkomplexen Vorhaben sehr sorgfältig vorgehen“, beruhigte Warken. Die Leistungserbringer will sie in den Veränderungsprozess einbeziehen. Offen bleibt aber, was Warken tun wird, wenn sich die diversen Lobby-Interessen nicht unter einen Hut bringen lassen. Grundpfeiler ihrer Reform soll der Primärarzt werden, also nicht der Urologe. Die Hausarztpraxis solle „künftig regelhaft die erste Anlaufstelle“ sein.
Brückenbau zwischen den Schuldenbergen
Die Milliarden-Defizite der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind ein riesiges Problem für das Bundesgesundheitsministerium. Als Brückenbauerin gestartet, probiert es Warken vorerst mit einer Behelfsbrücke. Ein Bundesdarlehen von 4,6 Milliarden Euro für die GKV und zwei Milliarden Euro für die Pflege sind ein „erster Schritt“, so Warken, um die Krise kurzfristig abzufedern. Nicht realisiert wird vorerst der Plan, die pro Jahr zehn Milliarden Euro Behandlungskosten für Bürgergeldempfänger aus dem GKV-Budget zu nehmen und mit Steuergeldern zu finanzieren.
Die Krankenhausreform soll kommen, aber mit mehr Spielraum für die Länder, für bestimmte Fachkrankenhäuser und die stationäre Versorgung auf dem Land. Gerade die Klinik-Medizin muss dringend reformiert werden, denn nie zuvor war die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser so schlecht wie 2024. Das brachte der Krankenhaus Rating Report 2025 an den Tag – traditionell neben den Botschaften des Bundesministers bzw. der -ministerin Höhepunkt des Hauptstadtkongresses. „Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser war noch nie so angespannt“, sagt RWI-Gesundheitsexperte und Autor Prof. Boris Augurzky. „Der Koalitionsvertrag bietet zwar erste Ansatzpunkte für Verbesserungen, doch reicht er bei Weitem nicht aus. Wollen wir die Finanzierung des Gesundheitswesens nachhaltig sichern, ohne Unternehmen und Bürger zu überfordern, muss die Bundesregierung mutiger sein.“
Historisch schlechte wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser
Datengrundlage des Reports von Augurzky, Dr. Sebastian Krolop, Dr. Adrian Pilny und anderen ist eine Stichprobe von 442 Jahresabschlüssen aus dem Jahr 2023 sowie eine Sonderauswertung von 124 geprüften Jahresabschlüssen aus dem Jahr 2024. Sie umfassen zusammen 888 Krankenhäuser. Die Fakten: Die deutschen Krankenhäuser stehen unter Druck – mehr als die Hälfte schreibt Verluste. Die wirtschaftliche Lage hat sich im Jahr 2023 und nach ersten Schätzungen auch 2024 weiter verschlechtert. 56 Prozent der Kliniken dürften 2024 einen Jahresverlust ausweisen und erstmals dürfte die durchschnittliche EBITDA-Marge – eine betriebswirtschaftliche Kennzahl für den nachhaltigen operativen Cashflow vor Steuern – negativ sein.
Auch die Liquiditätsreserven vieler Häuser sind bedrohlich niedrig: Bei der Hälfte reichen die Finanzmittel nur für zwei Wochen oder weniger. Damit ist die wirtschaftliche Lage in der vorliegenden Zeitreihe angespannter als je zuvor. Die Sozialabgaben drohen bis zum Jahr 2035 ohne einschneidende Reformen im Gesundheitswesen auf über 50 Prozent zu steigen und würden sich damit weit jenseits der Zumutbarkeit bewegen. Die geplanten Maßnahmen der neuen Bundesregierung gehen zwar in die richtige Richtung. Sie reichen aber nicht aus, um das Gesundheitssystem finanziell nachhaltig zu stabilisieren, unterstreicht der Rating Report.
Die einundzwanzigste Ausgabe des „Krankenhaus Rating Report“ wurde gemeinsam vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und der Institute for Healthcare Business GmbH (hcb) in Kooperation mit der Bank im Bistum Essen (BIB) erstellt.
Die zentralen Erkenntnisse in Kürze:
- Im Jahr 2023 schrieben 43 Prozent der Kliniken einen Jahresverlust. 2020 waren es lediglich 22 Prozent.
- Das durchschnittliche Jahresergebnis fiel im Jahr 2023 erstmals unter null auf -0,2 Prozent der Erlöse.
- 16 Prozent der Krankenhäuser fanden sich im roten Bereich mit erhöhter Insolvenzgefahr wieder.
- Bereits für 2024 vorliegende Jahresabschlüsse deuten darauf hin, dass sich im Jahr 2024 die Lage weiter verschlechtert haben dürfte. Über die Hälfte aller Krankenhäuser dürften einen negativen Jahresverlust ausweisen (56 Prozent)
- Die Hälfte der Häuser konnte im vergangenen Jahr ihre laufenden Kosten nur noch für maximal zwei Wochen im Voraus decken.
- Erfreulicherweise stellten die Länder im Jahr 2023 neun Prozent mehr Investitionsfördermittel zur Verfügung, insgesamt fast 3,9 Milliarden Euro. Sie reichen jedoch nach wie vor nicht aus.
Durch die angestoßenen Strukturveränderungen des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) ist mittel- und langfristig mit Effizienzverbesserungen zu rechnen. Die Zahl der Krankenhäuser mit einem Jahresverlust könnte von 56 Prozent im Jahr 2024 auf unter 30 Prozent bis zum Jahr 2030 sinken und danach weiter zurückgehen, erwarten die Autoren des Reports. Die Verfasser gehen in einem Szenario davon aus, dass Krankenhäuser in den Jahren 2025 und 2026 einmalig Hilfen in Höhe von 2,5 beziehungsweise 1,5 Milliarden Euro erhalten. Der Anteil der Kliniken mit Jahresverlusten könnte dann auf 23 Prozent im Jahr 2025 und 25 Prozent im Jahr 2026 zurückgehen. Da diese Hilfe jedoch im Jahr 2027 ausläuft und wichtige Strukturreformen abgeschwächt würden, dürfte der Anteil der Kliniken mit Jahresverlusten bis zum Jahr 2030 wieder auf etwa 34 Prozent wachsen. Fazit: Ob die stationäre Versorgung mittel- und langfristig wirklich gesichert werden kann, wird davon abhängen, dass ein realer Strukturumbau trotz der vielen Ländereinflüsse geschafft werden kann.
Bildquelle: cirquedesprit – adobe.stock.com
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Franz-Günter Runkel
Chefreporter UroForum



