Das „heißeste“ Thema der Tagesordnung, die Abstimmung über die neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), haben sich die Delegierten des 129. Deutschen Ärztetags in der Leipziger Nikolaikirche für heute, Mittwoch den 28. Mai 2025, oder den morgigen Donnerstag aufbewahrt. Zum Auftakt kam die neue Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und äußerte sich sehr vorsichtig. Ansonsten kamen am ersten Tag gleich die großen Themen zur Sprache.
Das Ärzteparlament hat die Bundesregierung in einem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss aufgefordert, wichtige Reformen für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen jetzt umzusetzen. Das Gesundheitswesen stehe angesichts der demografischen Entwicklung der Bevölkerung, des zunehmenden Fachkräftemangels, begrenzter finanzieller Ressourcen sowie globaler Bedrohungen vor massiven Herausforderungen. Als Medizin gegen den kaum gesteuerten Zugang und eine weitgehend unstrukturierte Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sprachen sich die Ärztevertreter für mehr Koordination und Steuerung in der Patientenversorgung aus. Zurecht habe „Schwarz-Rot“ diese Reform in seinen Koalitionsvertrag aufgenommen. Damit eine solche Reform zu einem echten Erfolg werde, müssten alle betroffenen Akteure frühzeitig einbezogen werden. Dafür sei ein Runder Tisch „Versorgungssteuerung“ einzurichten.
Investor-betriebene MVZ müssen strenger reguliert werden
Medizinische Versorgungszentren sind nach der Auffassung des Ärztetags eine sinnvolle Ergänzung der ambulanten Versorgungsstrukturen. Sie müssten aber vor Fehlentwicklungen durch den Einfluss von Finanzinvestoren geschützt werden. Dies gilt unter anderem dann, wenn Fremdkapitalgeber durch Fokussierung auf besonders lukrative Leistungen sowie durch Monopol- und Oligopolbildungen primär darauf ausgerichtet sind, maximale Renditen zu erwirtschaften. Ärztinnen und Ärzte müssen Rahmenbedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen, ihre Entscheidungen in Diagnostik und Therapie an medizinischen Kriterien und nicht an ökonomischen Maßgaben auszurichten. Der 129. Deutsche Ärztetag unterstützt deshalb die von der neuen Bundesregierung angekündigte gesetzliche Regulierung von investorenbetriebenen MVZ. Dafür hat die Bundesärztekammer konkrete gesetzliche Regelungsvorschläge ausgearbeitet, unter anderem ein Verbot von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen, die Gewährleistung des örtlichen und fachlichen Bezugs eines Gründungskrankenhauses zum MVZ, die ausschließliche Zulassung fachübergreifender MVZ und die Herstellung von Transparenz über die Inhaberschaft eines MVZ.
Der 129. Deutsche Ärztetag unterstützt die Bereitschaft der neuen Bundesregierung, die Krankenhäuser finanziell zu stabilisieren, bis das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) umfänglich greift. Unbedingt erforderlich sei jedoch eine angemessene Berücksichtigung der ärztlichen Weiterbildung bei der Krankenhausreform, unter anderem indem Verbundstrukturen gestärkt und Hürden bei der Arbeitnehmerüberlassung abgebaut werden. „Die Verankerung des ärztlichen Personalbemessungssystems (ÄPS-BÄK) im Rahmen der Krankenhausreform ist essenziell, da andernfalls Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, die einen großen Anteil an der ärztlichen Personalbesetzung im Krankenhausbereich haben, gar nicht abgebildet sind“, heißt es auf dem Ärztetag.
Ärztetag begrüßt längere Konvergenzphase für Vergütungssystematik
Die Ärzteschaft unterstützt die vorgesehene Verlängerung der Konvergenzphase zu einer neuen Vergütungssystematik. Die bisher beschlossene Systematik verursacht einen massiven Bürokratieaufwand, ohne die bestehenden Fehlanreize der Vergütung nach Fallpauschalen zu korrigieren. Der 129. Deutsche Ärztetag rät deshalb dringend dazu, die entsprechenden Überarbeitungen nicht, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, erst im Jahr 2027 zu beginnen, sondern sofort.
Zügiger Einstieg in die Entbudgetierung aller fachärztlichen Leistungen
Zwingend müsse der Entbudgetierung hausärztlicher und pädiatrischer Leistungen der Einstieg in die Entbudgetierung aller fachärztlichen Leistungen folgen. Der 129. Deutsche Ärztetag stellt klar: „Bei der im Koalitionsvertrag angekündigten Prüfung einer Entbudgetierung von Fachärztinnen und Fachärzten in unterversorgten Gebieten darf es nicht allein um die Frage gehen, welche Kosten dadurch verursacht würden, sondern vor allem auch um die Frage, welche Verbesserung in der Patientenversorgung damit erreicht werden kann. Außerdem ist es notwendig, dass in einem nächsten Schritt die Entbudgetierung von Leistungen für Patientinnen und Patienten folgt, die den Fachärztinnen und Fachärzten im Rahmen der geplanten hausärztlichen Primärversorgung zugewiesen werden.“ Abgelehnt werden die im Koalitionsvertrag geplanten Abschläge für die fachärztliche Versorgung in formal überversorgten Gebieten. Diese Planung ignoriere, dass die Bedarfsplanung veraltet sei; insbesondere in Großstädten würden viele Patienten des Umlands mitversorgt, die oftmals in anderen Bedarfsplanungsbereichen wohnten.
Der 129. Deutsche Ärztetag appelliert an die neue Bundesregierung, den im Koalitionsvertrag angekündigten Entbürokratisierungsmaßnahmen jetzt konkrete Taten folgen zu lassen. „Zur Vorbereitung des vorgesehenen Entbürokratisierungsgesetzes ist eine Bürokratie-Task-Force aus Politik und Selbstverwaltung einzurichten, die die bereits zahlreich vorliegenden Einzelvorschläge zum Bürokratieabbau auswertet, damit der Bürokratieabbau rasch konkret umgesetzt werden kann.“ Darüber hinaus unterstützt der Ärztetag die Ankündigung der neuen Bundesregierung, eine Bagatellgrenze für Krankenkassenprüfungen im ambulanten Bereich einzuführen. Im stationären Bereich muss insbesondere das KHVVG von unnötiger Bürokratie entschlackt werden.
In seiner Eröffnungsrede hat Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt der neuen Bundesregierung Unterstützung bei der Bewältigung der großen gesundheitspolitischen Zukunftsaufgaben zugesichert. „Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht vor massiven Herausforderungen, die mutige Reformen in allen Leistungsbereichen des Gesundheitssystems erfordern“, sagte Reinhardt vor rund 1.000 Gästen in der Leipziger Nikolaikirche. Aus Sicht der Ärzteschaft bietet der Koalitionsvertrag von Union und SPD eine gute Grundlage für die notwendigen Reformen. „Er zeigt, dass die Koalitionäre bereit sind, eingefahrene Wege zu verlassen und Raum für neue – auch unkonventionelle – Lösungsansätze zu schaffen“, betonte Reinhardt.
In diesem Zusammenhang hob er die von Union und SPD angekündigte Einführung eines Primärarztsystems in Deutschland hervor. Demnach sollen sich Patientinnen und Patienten zunächst bei einer Hausarztpraxis einschreiben, die dann die Koordinierung der Weiterbehandlung übernimmt. Entscheidend sei nach Reinhardts Worten die konkrete Umsetzung: Das System müsse gemeinsam mit der Ärzteschaft intelligent, praktikabel und an den Versorgungsrealitäten orientiert ausgestaltet werden.
Direkt an die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken gewandt, forderte Reinhardt die Einsetzung einer Bürokratie-Task-Force für das Gesundheitswesen. Er verwies darauf, dass die Bundesärztekammer und andere Organisationen aus dem Gesundheitswesen bereits in der letzten Legislaturperiode zahlreiche konkrete Entbürokratisierungsvorschläge an das Bundesgesundheitsministerium übermittelt hatten. Die neue Regierung müsse also nicht bei Null anfangen. Reinhardt forderte, jedes Formular, jede Prozedur und jede Berichtspflicht im Gesundheitswesen auf den Prüfstand zu stellen.
Das Schwerpunktthema des diesjährigen Ärztetages ist der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin. „KI wird unsere Gesellschaft und auch die Medizin tiefgreifend verändern“, sagte Reinhardt. Sie böte enorme Chancen für die Forschung, für präzisere Diagnosen und für individuell zugeschnittene Therapien. Dennoch seien ethische Leitplanken und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen unerlässlich. Sensible Gesundheitsdaten müssten geschützt und wirtschaftliche Einflussnahmen Dritter auf medizinische Entscheidungen ausgeschlossen werden. Die Entscheidung über eine Behandlung müsse stets von Ärztinnen und Ärzten getroffen werden – nicht von digitalen Algorithmen. Reinhardt: „Verantwortung ist nicht teilbar – auch nicht zwischen Mensch und Maschine.“
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken spielte sehr defensiv
Klare Aussagen zu den anstehenden Reformen hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken auf dem 129. Deutschen Ärztetag eher vermieden. Konkret wurde sie nur in der positiven Bewertung der neuen Gebührenordnung für Ärzte, deren Verabschiedung Warken deutlich unterstützt. „Es ist Zeit, sie nach Jahrzehnten des Stillstands auf den neuesten Stand der Medizin zu bringen“, so die Ministerin. Sie stehe hinter der Reform, wenn es einen „nachvollziehbaren und durchkalkulierten Vorschlag“ der Beteiligten gebe. In Sachen Primärarztsystem hielt sich Warken bedeckt. Sie wiederholte lediglich, dass das Ziel eine Steuerung über ein verpflichtendes Primärarztsystem sei. Die Hausarztpraxis müsse die erste Anlaufstelle sein. Die Krankenhausreform werde zwar fortgeführt, aber auch auf den Prüfstand gestellt. „Wir werden die bestehenden Vorgaben noch einmal in den Blick nehmen und nötige Anpassungen vornehmen. Dabei setzen wir auch auf den Dialog mit den Ländern.“, so Warken.
Ab heute, Mittwoch den 28. Mai 2025, wird sich nun alles auf die Abstimmung der GOÄneu konzentrieren. Die Ärzteschaft ist in dieser zentralen Frage uneins. Kurz vor dem Ärztetag heizte ein „Faktencheck“ der Initiative „GOÄ neu – so nicht!“ nochmals die Diskussion an. Die Bundesärztekammer reagierte mit einem eigenen Faktencheck. Ein kluger Schachzug war vielleicht das Gespräch mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, bei dem PKV-Verband und BÄK die Kliniker auf die GOÄ-Seite zogen. Andererseits verhielt sich der Marburger Bund eher neutral. Eine Prognose fällt schwer, die Spannung steigt.
Bildquelle:© christian Glawe-Griebel/helliwood.com
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