Viktoria Märker
Die Sexualtherapie für Paare befindet sich im Wandel: Neben klassischen Verfahren gewinnen digitale Tools und Psychedelika-gestützte Ansätze zunehmend an Bedeutung. Der Beitrag gibt einen Überblick über Methoden und neue Perspektiven im Spannungsfeld von Technologie, Psychotherapie und rechtlichen Rahmenbedingungen.
Sexuelle Störungen bei Paaren bezeichnen Beeinträchtigungen im sexuellen Erleben oder Verhalten, die zwischen den Partner:innen auftreten und das gemeinsame Sexualleben belasten. Die Sexualtherapie stellt eine spezialisierte Form der Psychotherapie dar, die auf die Behandlung sexueller Funktionsstörungen, die Verbesserung der Kommunikationsdynamik, die Förderung von Nähe und Intimität sowie den Umgang mit Unterschieden im sexuellen Verlangen ausgerichtet ist. Sie kann sowohl im Einzel- als auch im Paarsetting durchgeführt werden. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, zwei Individuen auf gemeinsame Therapieziele auszurichten und zugleich ihre Individualität zu wahren.
Historischer Ausblick
Die von Masters und Johnson 1976 publizierte „schnelle duale Sexualtherapie“ markierte einen bedeutenden Fortschritt in der Sexualmedizin [1]. Das zweiwöchige Kurzzeitprogramm verfolgte einen verhaltensorientierten Ansatz zur Behandlung sexueller Funktionsstörungen durch die Verbesserung von Paarverhalten und Kommunikation.
Zentrales Element war die Einführung der „Sensate Focus“-Technik, bei der durch fokussierte, druckfreie Berührungen sexuelle Erregung ohne Orgasmuserwartung erlebt werden sollte, um Ängste abzubauen und Intimität zu fördern. Die Kombination aus Verhaltensmodifikation, Kommunikationstraining und sexualmedizinischer Psychoedukation führte zu einem umfassenden therapeutischen Modell mit einer dokumentierten Erfolgsquote von etwa 80 %, das international bis heute Anwendung findet. Während anfänglich der Fokus auf physiologischen Funktionen lag, rückte später die Bedeutung sexueller Kommunikation als zentraler Faktor für sexuelle Zufriedenheit und Therapieerfolg in den Vordergrund.
Neue Perspektiven
Im Kontext der Sexualtherapie lassen sich in den letzten Jahren verschiedene innovative Entwicklungen beobachten, insbesondere im Hinblick auf neue Interventionsformate. Dazu zählen onlinebasierte Therapieangebote, die eine flexiblere und niedrigschwellige Inanspruchnahme ermöglichen. Während klassische sexualtherapeutische Ansätze hauptsächlich auf Präsenzverfahren, Gesprächen und übungsorientierten Interventionen basierten, zeichnet sich zunehmend eine Erweiterung hin zu digitalen Anwendungen ab. Diese Entwicklung spiegelt den gesellschaftlichen Wandel und die fortschreitende Digitalisierung des Alltags wider.
Digitale Interventionen, wie etwa DiGAs in der Sexualtherapie bei Vaginismus und Erektionsstörungen, eröffnen neue Möglichkeiten für eine niedrigschwellige, flexible und effektive Behandlung. Online-Coachings und virtuelle Beratungsangebote ermöglichen Paaren, Unterstützung ortsunabhängig in Anspruch zu nehmen. Beispiele hierfür sind die von Psycholog:innen entwickelten Apps Paaradies® und PAIRAPY, die interaktive Übungen zur Verbesserung der Beziehungs- und Kommunikationsqualität bieten [2, 3]. Plattformen wie besser:lieben vermitteln zertifizierte Expert:innen für Paar- und Sexualberatung.
Zunehmend kommen auch KI-basierte Tools zum Einsatz. Virtuelle Anwendungen analysieren die Interaktionen zwischen Partnern und bieten darauf aufbauend personalisierte Empfehlungen. KI-gesteuerte Chatbots ermöglichen eine jederzeit verfügbare Unterstützung bei Beziehungsfragen, während spezialisierte Lernprogramme auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten werden.
Technologische Innovationen betreffen auch den Bereich der körperlichen Nähe: Anwendungen wie HUGGSTER oder HandsOn kombinieren Avatare, Sensortechnologien und Expertenwissen, um Berührungsfähigkeit virtuell zu fördern [4]. Ein weiterer Bereich ist die Nutzung von Teledildonics, Virtual Reality und Augmented Reality, um intime Erlebnisse über Distanz hinweg zu ermöglichen. Solche Virtual-Reality-Tools könnten auch dabei unterstützen, sexuelle Aversionen zu identifizieren [5, 6, 7]. Digitale Anwendungen erweitern somit die traditionellen therapeutischen Angebote um innovative Elemente und reagieren gezielt auf die Bedürfnisse moderner Paare nach unkomplizierten, flexiblen Therapieoptionen.
Neue Anwendungen von Substanzen
Bereits in der Antike wurden Aphrodisiaka eingesetzt, um sexuelle Wahrnehmungen zu beeinflussen. Traditionelle psychedelische Substanzen wie Psilocybin, LSD, Ayahuasca, DMT, Meskalin sowie Ketamin und MDMA verändern das Bewusstsein und intensivieren Sinneserfahrungen. Aktuelle Fachliteratur diskutiert potenzielle Wirkmechanismen psychedelischer Substanzen, wie emotionale Öffnung, Verbesserung kommunikativer Fähigkeiten und Abbau sexueller Hemmungen, als vielversprechende Ansätze in der Sexualtherapie.
Psilocybinhaltige Pilze, die bereits von den Azteken genutzt wurden, wirken als klassische Halluzinogene und können tiefgreifende psychische Veränderungen hervorrufen. Studien belegen, dass Psilocybin die globale neuronale Konnektivität erhöht [8]. Psilocybin kann akut zu veränderten Wahrnehmungen führen, die sexuelle Reaktionen erschweren, langfristig jedoch eine erweiterte Offenheit gegenüber sexuellen Fantasien, eine achtsamere Haltung und ein gesteigertes Interesse am Lusterleben fördern. In Kombination mit Psychotherapie könnte niedrig dosiertes Psilocybin vielversprechende Ansätze zur Behandlung sexueller Traumata, sexueller Ängste und zwanghaften Sexualverhaltens bieten.
Neben positiven Effekten werden jedoch auch unerwünschte Nebenwirkungen wie Suizidgedanken, traurige Gefühle und angstbesetzte Visionen beschrieben. Die Studie von T. Barba et al. (2024) untersuchte erstmals systematisch die Effekte psychedelischer Substanzen auf die sexuelle Funktion in einer großen naturalistischen sowie einer kontrollierten klinischen Studie. Dabei zeigte sich, dass Psychedelika mit Verbesserungen der sexuellen Lust, der Kommunikation, der Partnerzufriedenheit und der Körperwahrnehmung assoziiert waren [9].
Ketamin, insbesondere in niedrig dosierten Anwendungen, beeinflusst die Sexualität auf mehreren Ebenen [10]. Auf die Libido hat Ketamin selbst keine direkte Wirkung, kann aber durch eine starke körperliche Entspannung „body high“-Effekt indirekt das sexuelle Erleben positiv beeinflussen. Im Bereich der sexuellen Erregung führt Ketamin durch enthemmende Effekte und körperliche Sensibilisierung zu verstärkten sinnlichen Gefühlen. Gleichzeitig kann Ketamin die Orgasmusfähigkeit beeinträchtigen: Anorgasmie oder verzögerter Orgasmus treten relativ häufig auf.
Physiologisch bewirkt Ketamin eine Relaxation der glatten Muskulatur, was auch eine Entspannung des Analsphinkters umfasst. Diese Wirkung wird teils bei extremen sexuellen Praktiken genutzt. In der psychotherapeutischen Anwendung eröffnet niedrig dosiertes Ketamin durch Entspannung, Enthemmung und eine verstärkte Körperwahrnehmung neue Ansätze, um im therapeutischen Rahmen tiefere emotionale Prozesse zu bearbeiten und Hemmungen abzubauen. Die Kombination könnte besonders bei Themen wie Angst, Scham oder sexueller Dysfunktion vielversprechend sein. Neben Ketamin zeigen auch andere Substanzen wie MDMA in frühen Studien positive Effekte auf das emotionale Erleben und die zwischenmenschliche Nähe und könnten in Zukunft im Rahmen von sexualtherapeutischen Ansätzen untersucht werden.
Insgesamt deuten Forschungsergebnisse auf ein potenziell positives Wirkungspotenzial psychedelischer Substanzen auf die sexuelle Funktion hin und unterstreichen den Bedarf weiterer Forschung [11].
Fazit
Sexualtherapie hat sich von klassischen Präsenzverfahren hin zu innovativen digitalen Formaten entwickelt, die flexiblere und niedrigschwelligere Angebote für Paare ermöglichen.
Darüber hinaus deuten erste Forschungsergebnisse darauf hin, dass psychedelische Substanzen wie zum Beispiel Psilocybin, in Kombination mit Psychotherapie, ein innovatives Potenzial zur Behandlung sexueller Traumata, Ängste und dysfunktionaler Verhaltensweisen bieten könnten. Insgesamt erweitern technologische Innovationen und neue pharmakologische Ansätze das Spektrum sexualtherapeutischer Interventionen und tragen zu einer stärkeren Individualisierung der Behandlung bei.
Allerdings sind rechtliche Rahmenbedingungen, Zulassungsaspekte sowie die notwendige Zustimmung beider Partner:innen für den therapeutischen Einsatz psychedelischer Substanzen derzeit noch nicht geklärt. ◼
Aus UroForum Heft 04/2025
Literatur unter www.uroforum.de
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Autorin
Viktoria Märker
Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Sexualmedizin
v.maerker@uke.de



