Urologie » Tumoren der äußeren Genitalien » Hodentumoren

»

RAISN – Robotisch-assistierte ICG-gesteuerte Sentinel-­Lymphknoten-Biopsie bei Hodentumorpatienten

Abb. 2: Sentinel-Lymphknoten nach ICG-Anfärbung unter Infrarotkamerasicht

RAISN – Robotisch-assistierte ICG-gesteuerte Sentinel-­Lymphknoten-Biopsie bei Hodentumorpatienten

Fachartikel

Urologie

Tumoren der äußeren Genitalien

Hodentumoren

mgo medizin

mgo medizin

Autor

5 MIN

Erschienen in: UroForum

Aus UroForum Heft 01/2025

Marieke Vermeulen-Spohn, Yue Che

Die robotisch-assistierte, ICG-gesteuerte Sentinel-Lymphknoten-Biopsie ist eine vielversprechende Technik mit potenzieller klinischer Relevanz für das Staging von Keimzelltumoren des Hodens. Gegenwärtige Staging-­Methoden (CT, MRT, microRNA 371a-3p) haben eine begrenzte Genauigkeit, insbesondere bei der Früherkennung von okkulten Metastasen im klinischen Stadium I von Hodentumoren. Die RAISN-Studie (Robot-assisted Indocyanine Green-guided Sentinel Lymph Node Biopsy in Clinical Stage I Germ Cell Tumor) verfolgt einen innovativen Ansatz, bei dem die laparoskopische oder roboterassistierte Lymphknotenentfernung unter Indocyaningrün-Fluoreszenz-Bildgebung untersucht wird.

Abb. 2: Sentinel-Lymphknoten nach ICG-Anfärbung unter Infrarotkamerasicht
Abb. 2: Sentinel-Lymphknoten nach ICG-Anfärbung unter Infrarotkamerasicht

Sollte sich die Methode als vorteilhaft erweisen, könnte sie dazu beitragen, die Genauigkeit des Stagings zu verbessern somit Überbehandlungen und die damit verbundenen toxischen Nebenwirkungen zu minimieren.

Progressionsrisiko reduzieren, Übertherapie minimieren

Die meisten Patienten mit der ­Diagnose eines Hodentumors präsentieren sich zunächst im klinischen Stadium I [1]. Bei diesen Patienten kommt es – abhängig vom histologischen Subtyp des Tumors – in 20–50 % der Fälle während der aktiven Überwachung zu einem Rezidiv, das häufig auf eine nicht erkannte okkulte Metastasierung zurückzuführen ist [2].
Obwohl das Langzeitüberleben von Patienten mit Hodentumoren insgesamt sehr gut ist, gehen die durch Chemotherapie und Strahlentherapie induzierten Langzeittoxizitäten mit einer erhöhten ­Inzidenz von Nebenwirkungen wie kardiovaskulären Erkrankungen und sekundären Malignomen einher [3–5].

Risikoadaptierte Strategien, die auf dem histologischen Befund des abladierten Hodens basieren, wurden eingeführt, um die Belastung durch adjuvante Therapien zu reduzieren. Diese Strategien haben jedoch eine geringe Sensitivität und Spezifität und führen bei einem Großteil der Patienten, die eine adjuvante Chemotherapie ­erhalten, weiterhin zu einer ­Überbehandlung [2].

Beispielsweise kann Nicht-Seminom-Patienten mit Lymphgefäß­invasion im Orchiektomiepräparat eine adjuvante Chemotherapie mit einem Zyklus Cisplatin, Etoposid und Bleomycin angeboten werden. Das Rezidivrisiko in dieser Patienten­gruppe liegt bei 50 %.

Das bedeutet, dass 50 % dieser Patienten eine Chemotherapie empfohlen wird, ohne dass eine okkulte Metastasierung vorliegt. Daher ist es wichtig, die diagnostischen Verfahren bei der Erstdiagnose zu verbessern, um letztlich das Risiko einer Progression der okkulten Metastasen zu reduzieren und gleichzeitig eine Übertherapie zu minimieren.

Es wurden bereits einige kleinere Studien durchgeführt, in denen die Sentinel-Lymphknoten-Diagnostik bei Hodentumorpatienten mittels radioaktiver Tracer untersucht wurde [6–8]. In diesen Stu­dien (mit insgesamt 55 Patienten) wurden die Sentinel-Lymphknoten mit einem Technetium-basierten Tracer markiert und laparoskopisch entfernt. Die Detektion des Sentinel-Lymphknotens war bei 93–100 % der Patienten erfolgreich.

Patienten, bei denen okkulte Metastasen im Sentinel-Lymphknoten nachgewiesen wurden, erhielten eine systemische Therapie. Alle anderen Patienten wurden ohne adjuvante Therapie weiter beobachtet. Während der aktiven Überwachung traten insgesamt nur bei zwei Patienten (4 %) Rezidive auf. Die Ergebnisse dieser Pilotstudien zeigen das hohe Potenzial der Sentinel-Lymphknoten-Diagnostik beim Hodentumor.

Um den Einsatz von radioaktiven Tracern zu reduzieren und eine höhere Verfügbarkeit des Verfahrens zur ermöglichen, wird in der RAISN-Studie die Färbung der Sentinel-Lymphknoten mittels Indocyaningrün (ICG) durchgeführt. ICG hat sich bereits als Standard beim lymphonodalen Staging in einer Reihe von Tumorerkrankungen, insbesondere bei gynäko­lo­gischen Malignomen, etabliert [9–11].

Sensitivität auf dem Prüfstand

Das primäre Ziel der RAISN-Studie ist die Untersuchung der Sensitivität von der ICG-gesteuerten Sen­tinel-Lymphknoten-Diagnostik für das nodale Staging im klinischen Stadium I von Hodentumorpatienten (Studiendesign ▶ Abb. 1). In dieser Phase-II-Studie ist die Rekrutierung von 27 Patienten geplant.

Abb. 1: Studiendesign
Abb. 1: Studiendesign

Volljährige Patienten, bei denen ein klinisch eindeutiger Hoden­tumor diagnostiziert wurde (bestätigt durch laborchemische Tumormarker, Sonographie und klinischen Tastbefund) und bei denen ein metastasiertes Krankheitsstadium durch CT-Untersuchung von Thorax und Abdomen ausgeschlossen wurde, können in die Studie eingeschlossen werden.
Den Patienten wird im Rahmen der inguinalen Hodenentfernung auch der Sentinel-Lymphknoten entfernt. Die Operation beginnt mit der laparoskopischen Darstellung des Retroperitoneums. Dann wird die ICG-Lösung in den betroffenen Hoden injiziert. Anschließend kann mit einer Infrarot­kamera (meist nach zwei bis zehn Minuten) die Anfärbung der Lymphbahnen beobachtet werden (▶ Abb. 2). Der erste sich anfärbende Lymphknoten wird entfernt, bei simultaner Anfärbung werden auch mehrere entfernt.

Die entfernten Lymphknoten werden zur Schnellschnittdiagnostik eingesandt. Im gleichen Eingriff wird anschließend der betroffene Hoden inguinal abladiert. Nach ­Erhalt der Schnellschnittergebnisse wird bei negativem Befund die Operation beendet. Bei positivem Schnellschnittbefund erfolgt die robotisch-assistierte systematische retroperitoneale Lymphadenektomie (RLA) der betroffenen Seite.

Anschließend werden alle Patienten in eine strukturierte Nachsorge eingeschlossen, eine adjuvante Chemotherapie soll primär nicht erfolgen.
Das Potenzial des RAISN-Verfahrens liegt in der Möglichkeit, okkulte Metastasen mit einer hohen Sensitivität und minimalen Invasivität nachzuweisen bzw. auszuschließen. Die Notwendigkeit von Chemotherapien wird insgesamt reduziert. Erstens durch den Wegfall der adjuvanten Chemotherapien. Zweitens durch die Vermeidung von Rezidiven, indem bei ­positivem Sentinel eine sofortige RLA durchgeführt wird.

Für Patienten mit negativen Sentinel-Lymphknoten eröffnet sich ­zudem die Möglichkeit, individuellere und weniger belastende Überwachungsprotokolle zu wählen, was zu einer Verringerung der psychischen Belastung durch eine lange Nachsorge führen würde.

Ergebnisse und Ausblick

Bisher wurden 18 Patienten mit der Erstdiagnose eines Hoden­tumors in die RAISN-Studie eingeschlossen. Bei allen Patienten konnte laparoskopisch oder robotisch ein Sentinel-Lymphknoten nachgewiesen werden. Insgesamt traten keine Komplikationen auf. Die Patienten zeigten im Anschluss an die Operation keine höhere Krankenhausverweildauer als Patienten, bei denen eine Ablatio testis allein durchgeführt wird (ein bis zwei Tage postoperativ).

Alle Patienten werden regelmäßig in unserer Klinik nachuntersucht. Die Rekrutierung verläuft bisher sehr erfolgreich, sodass diese erweiterte Stichprobengröße realistisch in den nächsten Monaten erreicht werden kann. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt nach Abschluss der mindestens zweijährigen Nachbeobachtungszeit. Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse ist daher 2027 zu rechnen.

Insgesamt hoffen wir, mit dieser Studie ein neues diagnostisches ­Instrument bei der Erstdiagnose eines Hodentumors zu etablieren, mit dem eine okkulte Metasta­sierung zuverlässig nachgewiesen oder ausgeschlossen werden kann. Dadurch könnten Hodentumorpatienten im Stadium I wesentlich gezielter behandelt und nachbeobachtet werden.

Insgesamt könnte die Anzahl ­der notwendigen Chemotherapien und damit deren therapieassoziierte Toxizität reduziert werden. ◼

Literatur unter www.uroforum.de

Dr. med. Yue Che
Universitätsklinikum Düsseldorf
Moorenstr. 5
40225 Düsseldorf
yue.che@med.uni-duesseldorf.de
Dr. med. Yue Che

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Yue Che
Universitätsklinikum Düsseldorf
Moorenstr. 5
40225 Düsseldorf
yue.che@med.uni-duesseldorf.de

Schlagworte zu diesem Beitrag

Ein Beitrag von

mgo medizin

mgo medizin

Autor

Autor des Beitrags

Weitere Beiträge zu diesem Thema

Chirurgen bei einer Operation im sterilen Operationssaal unter OP-Lichtern.

Heinzelbecker-Stöckle: Tandem soll Marburger UK retten

Uroskop

2025 ist ein Jahr mit Personalwechseln an den Spitzen der urologischen Universitätskliniken in Deutschland. Marburg, Heidelberg, Homburg- das sind nur einige Schauplätze personeller Wechsel in diesem Jahr. Am interessantesten ist sicher das Dreieck Marburg, Heidelberg, Homburg, das im Mittelpunkt des heutigen Uroskops steht.

Urologie

Beitrag lesen
Stethoskop auf einem Tisch vor einem Regierungsgebäude, Symbol für Gesundheitspolitik und medizinische Versorgung.

Krebsgesellschaft: Reform-Softening gefährdet Krebsversorgung

News

Die Deutsche Krebsgesellschaft warnt vor Abstrichen bei der Qualität der Krebsbehandlung durch das geplante Krankenhausanpassungsgesetz (KHAG), das heute im Bundestag zur ersten Lesung steht. Bei zu vielen Ausnahmeregelungen für die Bundesländer bestehe die Gefahr, dass Krebspatienten  je nach Wohnort nach unterschiedlichen Standards behandelt würden.

Urologie

Berufspolitik

Beitrag lesen
Dres. Andreas Gassen (v.l.), Sibylle Steiner und Stephan Hofmeister weisen auf das KBV-Angebot einer erweiterten 116117-Struktur hin. (Foto: KBV)

KBV: Notfallreform bringt mehr Probleme als Lösungen

Berufspolitik

„Dieser Entwurf löst keine Probleme, sondern schafft eher noch neue“, lautet das kritische Fazit des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) angesichts des Referentenentwurfs einer Notfallreform. Die ambulante Medizin könne die politisch zugedachte Rolle in keiner Weise erfüllen.

Urologie

Berufspolitik

Beitrag lesen