Mikhail Borisenkov, Abhishek Pandey
Korrektur von Komplikationen nach Redohypospadien oder multiplen fehlgeschlagenen Harnröhrenrekonstruktionen anderer Genese stellen rekonstruktive Urologen immer vor Herausforderungen. Solche Fälle sind oft durch desaströsen Mangel an Penisschafthaut sowie langstreckige und manchmal panurethrale Strikturen der Harnröhre gekennzeichnet. Nicht selten trägt die voroperierte Harnröhre multiple Haare nach Verwendung von Hauttransplantaten, so dass ein mehrzeitiges Verfahren mit Neuaufbau der Urethra erforderlich ist.
Einleitung
Patienten mit Komplikationen nach multiplen Hypospadiekorrekturen stellen sich in den Zentren für rekonstruktive Urologie häufig mit einem „Albtraumbild“ des äußeren Genitales vor. Dieses kann stark variieren und beinhaltet Harnröhrenstrikturen, persistierende „Hypospade“-Position des Meatus, Harnröhrenfisteln, Penisschaftverkrümmung, haartragende Harnröhre, Harnröhrendivertikeln oder Harnröhrensteinen [1]. Hierbei handelt es sich um eine „Salvage“-Situation im Bereich des äußeren Genitales, so dass klassische einseitige rekonstruktive Verfahren nicht mehr verwendet werden können.
Eine der häufigsten Ursachen für die „Salvage“-Situation im Bereich der Harnröhre ist Hypospadiekorrektur im Kindesalter. In unserer Serie z. B. war diese für 91 % der Fälle verantwortlich. Oft ist die genaue operative Methode, die im Kindesalter verwendet wurde, nicht mehr bekannt. Insofern ist eine korrekte präoperative Beurteilung der gesamten Harnröhre unentbehrlich. Eine mögliche Behaarung der Harnröhrenwand oder multilokuläre Harnrährenstriktur müssen entsprechend bei der Wahl des operativen Verfahrens berücksichtigt werden (▶ Abb. 1, 2).


Die Patienten sind durchschnittlich jung und sexuell aktiv (in unserer Serie z. B. betrug das mittlere Patientenalter 36,4 Jahre, Range 6–71 Jahre). Dies erfordert die Verwendung von komplexen Operationstechniken mit Kombination von freien Transplantaten (Mundschleim-haut, MSH) und vaskularisierten Lappen (in unserer Serie z. B. Skrotalhaut).
Wir präsentieren die bislang größte Serie der mehrseitigen Harnröhrenrekonstruktion mit Mundschleimhaut mit prospektiver Evaluation der Ergebnisse.
Material und Methoden
Im Zeitraum vom Januar 2004 bis Oktober 2022 wurden in Hof 93 Patienten mit Salvage-Situation mehrzeitig operiert. In den meisten Fällen war eine vorausgegangene Hypospadie bzw. frustrane Hypospadiekorrektur die Ursache (▶ Tab. 1).

Jeder Patient erhielt eine standardisierte Diagnostik, die ein Urethrogramm und eine Urethroskopie bzw. eine Sicht-Urethrotomie beinhaltete. Die endoskopische Untersuchung war zum Ausschluss einer behaar-ten Harnröhre oder zusätzlicher Beteiligung der bulbären Harnröhre durch die Striktur und somit zur genauen Therapieplanung unentbehrlich, weil allein ein Miktionscystourethrogramm für die Beurteilung der genauen Strikturlokalisation und -länge nicht ausreichend ist [2].
Falls die bulbäre Harnröhre einen Strikturbefall zeigte, wurde diese in unserer Serie in der ersten Sitzung der mehrzeitigen Rekonstruktion der Harnröhre über perinealen Zugang mit MSH korrigiert.
Die OP-Technik
Bei der Rekonstruktion der penilen Harnröhre wurde ein zweizeitiges Vorgehen gewählt. In der ersten Sitzung erfolgte die Marsupialisation der penilen Urethra und Ausleitung der Harnröhre im Sinne von einer penoskrotalen Boutonniere. Die haartragende oder narbig veränderte Harnröhre sowie narbige und schlecht vaskularisierte Penisschafthaut wurde reseziert. Entsprechend dem intraoperativen Situs und der Strikturlänge in der penilen Harnröhre erfolgte die Entnahme von MSH, so dass eine ausreichend lange und ca. 4 cm breite MSH-Platte von der penoskrotalen Boutonniere bis zum Sulcus coronarius aufgebracht wurde. Der Defekt im Wangenbereich wurde fortlaufend und im Lippenbereich adaptierend mittels Einzelknopfnähten aus resorbierbarem Nahtmaterial verschlossen.
In der Salvage-Situation wurde nach entsprechender präoperativer Aufklärung des Patienten bewusst auf eine oft komplikationsbehaftete Glansrekonstruktion verzichtet und der Meatus coronar positioniert. Am Ende des Eingriffs erfolgte die Harnableitung mittels einem transurethralen Katheter für 1 Woche bis zum ersten Verbandswechsel und zusätzlich mit einem suprapubischen Katheter für 3 Wochen. Außerdem erhielten alle Patienten eine strenge Bettruhe für 1 Woche.
Die zweite Sitzung der penilen Rekonstruktion erfolgte im Abstand von 3–4 Monaten nach kompletter Abheilung der MSH-Platte. Vor dem Eingriff wurden die Patienten unter anderem nach einer Penisschaftdeviation bei der Erektion befragt. In diesem Fall wurde eine Penisschaftaufrichtung mitgeplant. Die Ränder der MSH-Platte wurden mobilisiert und über einen transurethralen Charr. 20 Katheter tubularisiert. Dabei wurde der Neomeatus urethrae im Bereich des Sulcus coronarius angelegt. Bei ausreichender Penissahfthaut erfolgte die Deckung der Neourethra mittels Penisschafthaut (▶ Abb. 3). Bei bestehendem Mangel an Penisschafthaut und subkutanem Gewebe zur Deckung der Neourethra erfolgte die Mobilisierung der Skrotalhaut im Sinne eines gestielten Verschiebehautlappens (▶ Abb. 4). Diese Technik ermöglicht die Deckung der Neourethra mit gut vaskularisiertem Gewebe und verringert das Harnröhrenfistel-Risiko.


Postoperatives Vorgehen
Die Follow-Up Untersuchungen beinhalteten die Uroflowmetrie und Restharnkontrollen sowie standardisierte „Patient-Self-Reported“-Fragebögen zur Lebensqualität, Morbidität und ob der Eingriff weiterempfohlen oder bei Rezidiv erneut gewählt würde. Die Durchführung der Untersuchungen und das Ausfüllen der „Patient-Self-Reported“-Fragebögen wurden alle 3 Monate in den ersten zwei Jahren nach dem Eingriff und danach jährlich auf Dauer empfohlen. Die Daten wurden postalisch oder per E-Mail zugestellt. Eine Studynurse forderte die Patienten regelmäßig schriftlich und telefonisch zur Datenübermittlung auf.
Bei einem maximalen Flow von weniger als 20 ml/s, einem Restharn über 50 ml oder rezidivierenden Harnwegsinfekten empfahlen wir eine Urethroskopie und/oder ein retrogrades Urethrogramm zum Ausschluss eines Strikturrezidivs.
Ergebnisse
Die im oben genannten Zeitraum von 18 Jahren bei uns operierten 93 Patienten stellen nach unserem Wissen die bislang größte Serie der mehrzeitigen Harnröhrenrekonstruktion mit Mundschleimhaut mit prospektiver Evaluation der Ergebnisse dar. Das mittlere Patientenalter betrug 36,4 Jahre, Range 6–71 Jahre. In unserer Serie lag die mittlere Strikturlänge bei 9,1 cm; Range 1–22 cm. Unsere Patienten waren mehrmals voroperiert (mittlere Anzahl der Voroperationen 5,1; Range 1–15).
Komplikationen traten in 22,6 % der Fälle auf. Davon konnte die Mehrheit der Probleme konservativ behandelt werden. Die Gruppe mit vaskularisiertem Skrotallappen zeigte etwas höhere Rate an operativen Korrekturen bei Komplikationen (▶ Tab. 2). In zwei Fällen kam es im Verlauf zur Spaltung der Neourethra bis zum mittleren Drittel der penilen Harnröhre. Bei gutem funktionellem Ergebnis lehnten die Patienten eine erneute Operation ab.

Die Daten bzgl. Strikturrezidiv waren von 67 % (62/93) der Patienten verfügbar. Dabei betrug die mittlere FU-Dauer 28 Monate (med. 19,5 Monate; Range 3–142). Drei (4,8 %) Patienten erlitten ein Strikturrezidiv. Meatus lag bei 6 Patienten (9,6 %) subcoronar.
Diskussion
Die Rekonstruktion mehrfach voroperierter Harnröhrenstrikturen mit Mangel an Penisschafthaut macht einen komplexen Neuaufbau der penilen Urethra und der Penisschaftdeckung mit Verschiebelappenplastik oder Meshgraft erforderlich.
Das Transplantat für die Harnröhre muss ausreichend verfügbar, leicht zu entnehmen, urinverträglich und haarlos sein und zu einem kosmetisch und funktionell guten Ergebnis führen. Die Haut zur Deckung der Neourethra sollte über ausreichende Durchblutung besitzen, so dass bestmögliche Bedingungen für die Abheilung der tubularisierten Neourethra erreicht werden können.
Mundschleimhaut als Transplantat
Die Mundschleimhaut als Transplantat für die Harnröhre zeigt eine Resistenz gegenüber Infektionen, ist nahezu immer ausreichend (auch bei panurethralen Strikturen), einfach zu entnehmen und leicht einzupflanzen. Weitere Vorteile sind die Adaptation an Feuchtigkeit und die Ausstattung mit einem optimalen subepithelialen Gefäßplexus, was sie zu einem nahezu idealen Gewebeersatzmaterial in der rekonstruktiven Harnröhrenchirurgie macht. Aus eigener Erfahrung mit zwischenzeitlich mehr als 2.000 Harnröhrenplastiken mittels Mundschleimhaut wissen wir, dass selbst Rekonstruktionen bis 25 cm problemlos möglich sind.
Die von uns beobachtete Erfolgsrate von nun mehr ca. 90 % bei der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 28 Monaten deckt sich mit den publizierten Daten, die je nach Dauer des Follow-Up‘s eine Erfolgsrate von 75–90 % für unkomplizierte Strikturen beschreibt. Das mehrzeitige Vorgehen ermöglicht gleiche Ergebnisse wie sie bei einfachen Strikturen zu erzielen sind.
Die Verwendung von Mundschleimhaut hat sich wegen der einfacheren Technik, der kürzeren Operationszeit sowie der geringeren Komplikationsrate im Vergleich zum Einsatz vaskularisierter Lappen und der gemeshten extragenitalen Haut weitgehend als Therapie der ersten Wahl durchgesetzt. Nichtsdestotrotz sollten diese beiden Therapieoptionen aber im Portfolio eines Harnröhrenchirurgen verfügbar sein.
Vaskularisierte Hautlappen (zum Beispiel aus Skrotalhaut) kommen bei komplizierten Salvage-Fällen zur Deckung der Neourethra zur Anwendung und gewährleisten eine gute Durchblutung. Meshgraft könnte eine Therapiemöglichkeit im Fall eines erneuten Strikturrezidivs darstellen.
Grenzbereiche der OP-Technik
Die vorgeschlagene Technik hat aber auch ihre Grenzen. Ein Patienten mit Z.n. zweimaliger MSH-Harnröhrenplastik in einer auswärtigen Klinik, bei diesem keine MSH mehr zur Verfügung stand. Wir haben den zweizeitigen Neuaufbau der penilen Harnröhre, in diesem Fall mittels Meshgraft (aus der Flanke), erfolgreich durchgeführt. Ein weiterer Patient befand sich im Z.n. Knochenmarktransplantation mit „graft versus host disease“. Die MSH-Rekonstruktion der bulbären Harnröhre in Rahmen der geplanten ersten Sitzung verlief zweimal frustran, so dass auf die Rekonstruktion der penilen Harnröhre verzichten werden musste. Der Patient erhielt eine perineale Urethrostomie.
Schlussfolgerung
Korrekturen von Komplikationen nach Redohypospadien oder multiplen fehlgeschlagenen Harnröhrenrekonstruktionen anderer Genese ist durch einen komplexen OP-Situs gekennzeichnet und erfordern die Verwendung von verschiedenen Operationstechniken. Nach multiplen Voroperationen ist unter Umständen ein mehrzeitiger Neuaufbau der Harnröhre mit Kombination der freien Transplantate und vaskularisierter Lappen notwendig.
Literatur unter www.uroforum.de

Korrespondenzadresse:
Mikhail Borisenkov
Oberarzt der Klinik für Urologie,
Kinderurologie, Urologische
Onkologie und Palliativmedizin
Sana Klinikum Hof
Eppenreuther Str. 9
95032 Hof
mikhail.borisenkov@sana.de



