Aus UroForum, Heft 05/2022
Wie realitätsnah Leitlinien sind, darüber wird immer wieder diskutiert. Das gilt auch für die in der Urologie publizierten Empfehlungen. Für das Thema „Testosteronmangel“ und seine Behandlung haben wir Ihnen daher im Folgenden einen kurzen Überblick über besonders praxisrelevante Aspekte zur Sicherheit der Testosterontherapie aus den aktuellen Leitlinien zusammengestellt – nicht allumfassend, aber auf den Punkt.

Der männliche Hypogonadismus (symptomatischer Testosteronmangel) mit seinen typischen Beschwerden wie z. B. Erektile Dysfunktion und Libidoverlust stellt eine Indikation für die exogene Gabe von Testosteron dar. Bei einer solchen Testosteron-Ersatz-Therapie (TRT, testosterone replacement therapy) sollte das Nutzen-Risiko-Verhältnis aber stets gut abgewogen werden – und hierzu liefern aktuelle Leitlinien und Studienergebnisse verschiedene Ansatzpunkte. Eine Untersuchung aus 2014 zeigte, dass sowohl zu hohe als auch zu niedrige Testosteronspiegel mit einer erhöhten Mortalität assoziiert sind (U-förmiger Zusammenhang) [1]. Es zeigt sich, dass Männer mit niedrigem Gesamttestosteron ein um knapp 40 % höheres Risiko für den kombinierten Endpunkt „Auftreten eines Myokardinfarktes oder Apoplex oder Tod durch KHK“ hatten als jene mit normalen Testosteronwerten (≥ 10,4 nmol/l) [2]. Kurzum: Bei einer TRT sollten mittlere Testosteronwerte im Bereich des Nadir der Mortalitäts-U-Kurve angestrebt werden.
Die meisten Fachgesellschaften (z. B. European Association of Urology (EAU), Endocrine Society) [3, 4] empfehlen als Ziel einen Serumtestosteronwert im mittleren Normbereich. Die Guidelines der American Urology Association (AUA) und der Canadian Urological Association (CUA) sprechen sich für Werte von 15,6 bis 20,8 nmol/l bzw. von 14 bis 17 nmol/l aus [5,6]. Bei einem Gesamttestosteron < 12 nmol/l oder einem freien Testosteron < 225 pmol/l im Serum und entsprechenden Beschwerden besteht gemäß der aktuellen Leitlinie der EAU ein therapiebedürftiger Testosteronmangel [3]. Mithilfe von Testosteron-Gelen lassen sich konstante Werte im mittleren Normbereich gut einstellen, da durch die tägliche transdermale Applikation und die Pharmakokinetik der Gele ein gleichmäßiger Testosteron-Serumspiegel ohne Fluktuationen erreicht wird [3]. Im Gegensatz dazu zeichnen sich zu injizierende Depot-Präparate möglicherweise durch eine bessere Adhärenz aus – liegt die Applikation doch in der Hand der Ärztin bzw. des Arztes.
Hämatokrit im Griff
Insbesondere zu Beginn einer TRT kann es zu behandlungsbedingten unerwünschten Wirkungen wie z. B. erhöhten Hämatokrit- oder PSA-Werten kommen. Laut der aktuellen EAU-Leitlinie sollten daher am Anfang der Behandlung Testosteron-Gele verwendet werden, damit die Therapie bei Bedarf schneller angepasst oder abgebrochen werden kann [3]. Ein regelmäßiges Monitoring von Testosteron und des Hämatokrit (Hkt)-Wertes ist im Rahmen einer TRT generell unerlässlich. Laut EAU-Leitlinie wird hierfür eine Überprüfung nach 3, 6 und 12 Monaten im ersten Jahr und danach einmal jährlich empfohlen [3]. Dies ist besonders bei hypogonadalen Männern mit vorbestehender Herz-Kreislauf-Erkrankung oder chronischer Herzinsuffizienz sowie bei Zustand nach venösen Thromboembolien zu berücksichtigen [3]. Bei einem Hkt > 54 % sollte die TRT abgesetzt und ein Aderlass durchgeführt werden. Nach der Hkt-Normalisierung kann die Therapie in niedrigerer Dosis wieder begonnen werden [3]. Ggf. ist ein Wechsel zu einem Gel in Betracht zu ziehen [3], da die in den meisten Studien beobachteten Erythrozytose-Raten unter einer transdermalen TRT niedriger waren als bei Injektionen [7, 8].
Als absolute Kontraindikationen für eine TRT gelten lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes Prostata- Karzinom, männliches Mammakarzinom, aktiver Kinderwunsch des Mannes, Hkt > 54 % und eine schlecht eingestellte Herzinsuffizienz [3]. Relative Kontraindikationen sind ein IPSS-Score > 19, ein Baseline-Hkt von 48 bis 50 % und eine Familienanamnese mit venösen Thromboembolien [3]. Nicht verordnen sollte man eine TRT generell bei eugonadalen Männern (starker Empfehlungsgrad), zum Gewichtverlust oder zur reinen Verbesserung des kardiometabolischen Status (schwacher Empfehlungsgrad) oder zur alleinigen Verbesserung der Kognition und physischen Kraft bei alternden Männern (starker Empfehlungsgrad) [3]. (cb)
Literatur:
- Yeap BB et al. J Clin Endocrinol Metab. 2014; 99(1): E9–E18
- Boden WE et al. Am Heart J 2020; 224: 65–76
- Salonia A et al. (https://uroweb.org/guidelines/sexual-and-reproductive-health/chapter/male-hypogona-dism). Zugegriffen am 11.04.2023
- Bhasin S et al. J Clin Endocrinol Metab 2018; 103(5): 1715–44
- Mulhall JP et al. J Urol 2018; 200: 423–32
- Grober ED et al. Can Urol Assoc J 2021; 15(5): E234–43
- Zitzmann M et al. Aging Male 2022; 25(1): 134–44
- Pastuszak A W et al. Sex Med 2015; 3: 165–73



