Aus UroForum, Heft 08/23
Astrid Fueting, Mira Faßbach
Das Bewusstsein für die Bedeutung der Arzt-Patientenbeziehung und die Einflüsse seelischer sowie sozialer Faktoren auf Krankheiten wächst ständig. Der Kurs „Psychosomatische Grundversorgung“ soll die ärztlichen Fähigkeiten in diesen Bereichen stärken. Was beinhaltet der Kurs und warum ist er für die Urologie wichtig?
Was bietet „Psychosomatische Grundversorgung“?
In dem Kurs psychosomatische Grundversorgung geht es um eine patientenzentrierte Kommunikation und die damit verbundene als positiv empfundene Patient-Arzt-Beziehung. Dafür sind vertiefende Kompetenzen wichtig, wie die Grundlage der Psychodiagnostik, der Gesprächsführung und der Kooperation im psychotherapeutischen Versorgungssystem [1].
Diese definierten Kompetenzen werden in einem Kurs anhand von Theorieanteilen, Fallbeispielen sowie patientenzentrierter Selbsterfahrung in Balint-Gruppen vermittelt.
Der psychosomatische Grundversorgungskurs zielt darauf ab, teilnehmende Ärztinnen und Ärzte zu befähigen:
- eine gute und nützliche Patient-Arzt-Beziehung aufzubauen,
- Nutzung der patientenzentrierten Selbstreflexion zur Beziehungsgestaltung,
- Anwendung dafür nötiger Gesprächstechniken,
- Verständnis der Beschwerden der Patienten im Kontext ihres früheren und aktuellen sozialen Umfelds,
- Krankheitsbilder des psychosomatischen und psychiatrischen Gebiets zu erkennen und mit den entsprechenden Experten zu kooperieren,
- Durchführung eigene Beratungs- und Behandlungsinterventionen, zur Förderung der Selbstkompetenz und Selbstwirksamkeit von Patienten,
- in interdisziplinären und multidisziplinären Teams effektiv zu agieren,
- die notwendige Fürsorge für die eigene Stabilität und Zufriedenheit zu betreiben [2].
Im Kurs geht es darum, mit achtsamem Zuhören und dem Einsatz sinnvoller Interventionen, die Arzt-Patienten-Beziehung zu stärken. Dies ermöglicht nicht nur eine potenziell schnellere und effektivere Unterstützung der Patienten, sondern dient auch dem Schutz des Arztes vor emotionaler Überlastung und einem möglichen Burnout-Syndrom.
In Deutschland ist der Kurs der psychosomatischen Grundversorgung Voraussetzung zur Erlangung der Facharztprüfung in der Allgemeinmedizin und Frauenheilkunde, sowie für die Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie.
Weiter ist ein 80 Stunden Kurs-Weiterbildung gemäß § 4 Absatz 8 in Psychosomatische Grundversorgung Pflicht für die urologische Facharztprüfung in Hessen und Berlin (neue Weiterbildungsordnung – WBO 2020) [3, 4].
Dieser 80 Stunden Kurs besteht unter anderem aus 20 Stunden theoretische Grundlagen, 30 Stunden Übungen zur verbalen Interventionstechniken und 30 Stunden Balintgruppen. Ein Teil der Balintgruppen wird meist in den einwöchigen Seminaren absolviert, danach sollten über mindestens sechs Monate diese Gruppen fortgeführt werden. Weiter lebt der Kurs/ die Seminare von Fallvorstellungen, Gruppendiskussionen und Übungen in Kleingruppen [1].
Wofür ist der Kurs in der Urologie wichtig?
In der Urologie wird geschätzt, dass der Anteil psychosomatischer Patient:innen in der Praxis bei 15–50% liegt [5].
Typische somatoforme Erkrankungen bzw. Symptome im urologischen Fachgebiet sind „Somatoforme Störungen (ICD-10-GM 45.-) nach der ICD-10 folgendermaßen definiert: Das Charakteristikum ist die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherungen der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich sind. Wenn somatische Störungen vorhanden sind, erklären sie nicht die Art und das Ausmaß der Symptome oder das Leiden und die innerliche Beteiligung des Patienten. Die funktionellen Störungen des Urogenitaltrakts, nach ICD-10 als somatoforme (autonome) funktionelle Störungen (ICD-10-GM 45.3) klassifiziert, sind durch das Auftreten von 3 korrespondierenden Symptombereichen charakterisiert:
- Störungen der Miktion,
- Schmerzsyndrome,
- sexuelle Funktionsstörungen [5].“
Betrachtet man jedoch die anerkannten psychosomatischen Modelle der Krankheitsentstehung, insbesondere das biopsychosoziale Modell nach Üexhüll et al wird schnell deutlich: Eine strikte Trennung zwischen somatischer und psychischer Morbidität sowie den sozialen Umständen ist eine Illusion. Hierzu passend belegen etliche Studien eindeutige Auswirkungen von Stress/ Adaption und Infektanfälligkeit, Wundheilung und Metastasierungstendenz [6]. Auch auf neurobiologischer und epigenetischer Ebene lassen sich maladaptive Prozesse unter Stress Einfluss nachweisen [7].
Dieser Ansatz bringt uns dazu, zu verstehen, dass gute und funktionierende, patientenzentrierte und individuelle Kommunikation nun gleichzeitig Therapie der bestehenden Erkrankung sowie Vorbeugung möglicher Komplikationen ist – auch bzw. insbesondere unserer operativ-onkologischen Patient:innen. Zudem agieren wir vermehrt in Feldern, in denen sensible Kommunikation schambehafteter Themen notwendig ist.
Wir verstehen damit, dass ein psychosomatisch- ganzheitlicher (nicht im komplementärmedizinischen Sinne) Ansatz über das “bloße konzentrierte psychoexplorative Interventionsgespräch” oder verhaltenstherapeutische Ansätze wie die Klingelhose (bei Enuresis nocturna) hinaus geht und wir nicht alleine den Anteil unserer Patient:innen mit rein somatoformer Störung identifizieren müssen.
Ganz praktisch konnte auch in der Urologie gezeigt werden, dass eine hohe ärztliche und interprofessionelle Kommunikationskompetenz die Versorgung uroonkologischer Patient:innen verbessert [8]. Zudem bietet eine hohe Selbstreflexions- und Kommunikationskompetenz mit schlussendlich auch erfolgreicherer individuell-patientenzentrierter Behandlung einen Mehrwert für die Behandler:innen: Es resultiert eine höhere Zufriedenheit und durch o. g. Kompetenzen auch eine Stabilität, die die so geschulte Fachärztin oder den versierten Facharzt selbst besser vor Stress und psychischer Belastung schützt.
Wir als GeSRU befürworten daher eine Aufnahme des Kurses “psychosomatische Grundversorgung” in den urologische Facharztweiterbildungskatalog der Landesärztekammer. Hessen und Berlin gehen hierbei mit positivem Beispiel voran.
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