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Neuartige Gentherapie soll Kindern das Hören ermöglichen

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Neuartige Gentherapie soll Kindern das Hören ermöglichen

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Erschienen in: pädiatrische praxis

Am Universitätsklinikum Tübingen wurde im April 2025 erstmals in Deutschland ein Kind mit einer durch eine Mutation im Otoferlin-Gen (OTOF) bedingten Taubheit durch eine innovative Gentherapie behandelt. Die neue Therapie wird derzeit im Rahmen einer klinischen Studie erprobt, erste Ergebnisse aus anderen Ländern sind vielversprechend.

Wirkprinzip der Gentherapie

Bis zu 80 % aller Fälle von Schwerhörigkeit bei Neugeborenen und Kindern vor dem Spracherwerb sind genetisch bedingt [1]. Krankheitsverursachende Mutationen im Otoferlin-Gen liegen bei etwa 1–8 % der genetisch bedingten Fälle vor [2]. Die Behandlung richtet sich an Kinder mit Hörverlusten aufgrund dieser krankheitsverursachenden Veränderungen im Otoferlin-Gen.

Bei der Behandlung wird mittels eines Vektors eine gesunde Kopie des OTOF-Gens chirurgisch direkt in die Cochlea eingebracht. Dadurch soll der ursächliche Defekt behoben werden, der verhindert, dass Signale vom Innenohr an den Hörnerv übertragen werden.

Prof. Hubert Löwenheim, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Tübingen, spricht von einem Eintritt in die Ära der »Molekularen Otologie«, in der die etablierten mechanischen und elektrischen Lösungen durch eine molekulare Behandlungsmethode ergänzt werden: »Wir versuchen, an der genetischen Ursache der Erkrankung anzusetzen.«

Bisher erhalten betroffene Kinder Cochlea-Implantate, die bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit in einem chirurgischen Eingriff eingesetzt werden und über eine in die Cochlea eingeführte Elektrode den Hörnerv stimulieren. Cochlea-Implantate sind auch für andere Formen des Hörverlusts anwendbar.

Internationale Studie mit vielversprechenden ersten Ergebnissen

Die Behandlung an der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde in Tübingen erfolgte im Rahmen der internationalen klinischen Studie CHORD (Clinical trial of Hearing Restoration with Otoferlin gene Delivery), die im Mai 2023 gestartet ist. In die Studie eingeschlossen werden Kinder zwischen 0 und 17 Jahren aus Deutschland, Spanien, Vereinigtem Königreich und den USA. Untersucht wird der Einsatz der experimentellen Gentherapie DB-OTO zur Behandlung von Hörverlusten, die durch krankheitsverursachende Veränderungen im Otoferlin-Gen verursacht werden. Die CHORD-Studie wird von dem US-Unternehmen Regeneron Pharmaceuticals, Inc. gesponsert. Erste Ergebnisse der Studie sind ermutigend: Bei zehn von elf behandelten Kindern in verschiedenen Ländern wurden laut Regeneron bereits Verbesserungen des Hörvermögens festgestellt.

Bedeutung für die Praxis

»Ähnlich wie die Cochlea-Implantation sollten Gentherapien für angeborene Schwerhörigkeit oder Taubheit möglichst früh im Leben der betroffenen Kinder durchgeführt werden. Deshalb ist es wichtig, Kinder mit Auffälligkeiten in diesem Bereich möglichst früh genetisch zu untersuchen, um eine spezifische Ursache feststellen zu können. Nur so kann sich das Gebiet der Molekulare Otologie wirklich weiterentwickeln.«

Prof. Hubert Löwenheim, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Tübingen

Die Gentherapie steht laut Prof. Löwenheim nicht im Wettbewerb mit Cochlea-Implantaten. Sie soll – falls von den Regulierungsbehörden genehmigt – das Behandlungsspektrum für jene Kinder erweitern, deren Schwerhörigkeit oder Taubheit durch eine Mutation im OTOF-Gen bedingt ist. Für Patientinnen und Patienten bedeutet dies, dass künftig verschiedene therapeutische Optionen oder Kombinationen zur Wahl stehen könnten.

Der potenzielle Erfolg der Gentherapie bei der Behandlung von durch Mutation im OTOF-Gen bedingter Schwerhörigkeit ebnet den Weg für ähnliche Ansätze, die auf andere genetische Ursachen von Hörverlust abzielen. Die innovative Methode eröffnet nicht nur neue Perspektiven für Kinder mit angeborenem Hörverlust, sondern könnte auch als Modell für die Behandlung anderer seltener Erkrankungen dienen.

[1] Shearer AE, Hildebrand MS, Odell AM, Smith RJH. Genetic Hearing Loss Overview. 1999 Feb 14 [updated 2025 Apr 3]. In: Adam MP, Feldman J, Mirzaa GM, Pagon RA, Wallace SE, Amemiya A, editors. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993–2025. PMID: 20301607.

[2] Azaiez H, Thorpe RK, Odell AM, Smith RJH. OTOF-Related Hearing Loss. 2008 Feb 29 [updated 2025 Mar 13]. In: Adam MP, Feldman J, Mirzaa GM, Pagon RA, Wallace SE, Amemiya A, editors. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993–2025. PMID: 20301429.

Quelle: Universitätsklinikum Tübingen (zur Pressemitteilung)

Weitere Informationen:

Universitätsklinikum Tübingen: https://www.medizin.uni-tuebingen.de/de

Familien, die an der Teilnahme in klinischen Studien interessiert sind, sowie Ärztinnen und Ärzte, die Patientinnen und Patienten überweisen möchten, können sich an die Studienzentrale Auge und Ohr wenden:

Dr. Tobias Peters, Leitung
Universitätsklinikum Tübingen
Elfriede-Aulhorn-Str. 5, 72076 Tübingen, Deutschland
Tel.: 07071 29-84894 oder -64349
E-Mail: uktee@med.uni-tuebingen.de
www.medizin.uni-tuebingen.de/de/studienzentrale-auge-ohr#startseite

Bilderquelle: © Ivan – stock.adobe.com; Symbolbild

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