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Schilddrüsenkarzinom bei Kindern: Umweltbelastungen als Risikofaktor

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Schilddrüsenkarzinom bei Kindern: Umweltbelastungen als Risikofaktor

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Erschienen in: pädiatrische praxis

Feinstaub und Lichtverschmutzung als Risikofaktoren bei Kindern

Die Inzidenz des papillären Schilddrüsenkarzinoms steigt weltweit an, Umwelteinflüsse werden als Risikofaktor diskutiert. Eine rezente Studie, erschienen in Environmental Health Perspectives, untersucht die Assoziation zwischen dem Risiko von papillärem Schilddrüsenkrebs bei Kindern und der perinatalen Exposition gegenüber sowohl Feinstaub (PM2,5) in der Umgebungsluft als auch künstlichem Licht im Freien bei Nacht (O-ALAN). Beide Faktoren werden als Umweltkarzinogene eingestuft, die nachweislich die Schilddrüsenfunktion stören. O-ALAN kann auch als Indikator für andere Außenluftschadstoffe oder Verstädterung dienen.

Die Inzidenz des Schilddrüsenkarzinoms bei Personen im Alter 0–19 Jahren steigt weltweit an. Während der Anstieg bei Erwachsenen zu einem Großteil durch die Überdiagnose aufgrund fortschrittlicher Bildgebungstechnologien und vermehrte Diagnostik zu erklären ist, ist die Ätiologie bei Kindern noch weitgehend unklar. Ionisierende Strahlung ist der einzige nachgewiesene modifizierbare Risikofaktor in dieser Altersgruppe. Studien berichten über einen durchschnittlichen Anstieg von 4 % pro Jahr im Zeitraum von 2000–2018 in den USA. Im Vergleich zu Erwachsenen präsentiert sich das Schilddrüsenkarzinom bei Kindern eher in einem fortgeschritteneren Stadium mit größeren Tumoren, regionalem Lymphknotenbefall und Lungenmetastasen. Behandlungsbedingte Spätschäden können u. a. Kopfschmerzen, körperliche Beeinträchtigungen und geistige Erschöpfung, sowie zweite Primärmalignome sein. Die Diagnose, Behandlung und Überwachung stellen eine Herausforderung in entscheidenden Lebensphasen dar und können zu psychosozialen Problemen wie Angst und Depression führen.

Außenluftverschmutzung und insbesondere Feinstaub, d. h. Partikel mit einem aerodynamischen Äquivalentdurchmesser von 2,5 Mikrometern oder weniger (particulate matter[PM]2,5), werden von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als bekannte Karzinogene für den Menschen (Gruppe 1) eingestuft. Eine kleine Partikelgröße begünstigt die Durchdringung der Lunge, systemische Absorption und Verteilung im Körper. Die Exposition gegenüber Feinstaub wurde mit negativen Auswirkungen auf Geburtsergebnisse (z. B. niedriges Geburtsgewicht) in Verbindung gebracht. Hier wird die Störung der Schilddrüsenhormone als potenzieller Mechanismus oder Vermittler dieser Effekte vermutet. Tierexperimentelle Studien haben u. a. ergeben, dass die Exposition gegenüber PM2,5 die Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse aktivieren, die Produktion und den Transport von Schilddrüsenhormonen beeinflussen sowie oxidativen Stress und Entzündungsreaktionen auslösen kann. Künstliches Licht in der Nacht (artificial light at night [ALAN]) wurde mit Tumorentstehung in Verbindung gebracht, wie etwa von Brust-, Darm-, Endometrium- und Prostatakrebs. Es kann zur Störung der zirkadianen Prozesse und dadurch zu Dysregulation von Zellproliferation, Zelltod, der DNA-Reparatur und Stoffwechselveränderungen führen. Im Besonderen wurde künstliches Licht im Freien bei Nacht (Outdoor ALAN [O-ALAN], auch Lichtverschmutzung genannt, mit verschiedenen Krebsarten in Verbindung gebracht. O-ALAN könnte weitere Umwelt- oder demografische Merkmale von Ballungsräumen erfassen, wie z. B. verkehrsbedingte Luftverschmutzung oder Bevölkerungsdichte. 

Deziel et al. untersuchten daher in einer großangelegten, integrierten Fall-Kontroll-Studie, erschienen in Environmental Health Perspectives, die Assoziation zwischen PM2,5 im Freien sowie O-ALAN und dem Risiko der Entstehung von papillärem Schilddrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen.

Methodik

Die Fall-Kontroll-Studie zum papillärem Schilddrüsenkarzinom, welche in eine kalifornische Geburtskohorte integriert war, umfasste 736 Fälle (Diagnose im Alter von 0–19 Jahren, Geburt zwischen 1982 und 2011). Diese verglichen die Forschenden mit 36.800 Kontrollpersonen, welche entsprechend dem Geburtsjahr mittels Frequency-Matching angepasst wurden. Basierend auf dem Wohnort bei der Geburt wurde die individuelle Exposition von PM2,5 mithilfe eines validierten, ensemblebasierten Vorhersagemodells und von O-ALAN unter Verwendung des New World Atlas of Artificial Night Sky Brightness bewertet. Mittels logistischer Regression wurde die Odds Ratio (OR) und 95 %-Konfidenzintervalle (KI) berechnet und um potenzielle Confounder bereinigt sowie nach Alter und Ethnizität stratifiziert.

Signifikante Assoziation zwischen PM2,5 und papillärem Schilddrüsenkarzinom bei 15–19-Jährigen

Die Forschenden fanden eine signifikante Assoziation zwischen der PM2,5-Exposition und dem Gesamtrisiko für das papilläre Schilddrüsenkarzinom. Die OR betrug 1,07 (95 %-KI 1,01–1,14) pro Anstieg der PM2,5-Belastung um 10 g/m3. In der Subgruppenanalyse ergab sich ebenfalls eine signifikante Assoziation für die Altersgruppe 15–19 Jahre mit einer OR von 1,08 (95 %-KI 1,00–1,16) und bei hispanischen Kindern mit einer OR von 1,13 (95 %-KI 1,02–1,24).

Hinsichtlich O-ALAN wurde eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit für das papilläre Schilddrüsenkarzinom in höheren Expositionsterzilen ermittelt (2. Terzil: OR = 1,25, 95 %-KI 1,04–1,50; 3. Terzil: OR = 1,23, 95 %-KI 1,02–1,50) – im Vergleich zum Referenzterzil der Population und bei Modellierung als stetige Variable (OR 1,07 pro 1 millicandela [mcd]/m2, [Abstract]). In altersstratifizierten Analysen fanden die Forschenden signifikante Assoziationen in der Altersgruppe der 15–19-Jährigen (Abstract), aber nicht in der Gruppe der 0–14-Jährigen. Es wurden keine signifikanten Unterschiede bei Stratifizierung nach Ethnizität festgestellt.

Limitation und Stärken der Studie  

Diese umfassende, bevölkerungsbasierte Studie liefert Hinweise für einen möglichen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber PM2,5 und O-ALAN im frühen Lebensalter und papillärem Schilddrüsenkrebs in der Kindheit und Jugend.

Deziel et al. führen als Stärke ihrer Forschungsarbeit an, dass ihr Studiendesign den Einfluss dieser Umweltfaktoren während der Perinatalperiode untersuchte – ein Zeitfenster der Exposition, welches als besonders vulnerabel hinsichtlich kindlicher Krebsentstehung gilt. Durch das Record-Linkage-Design entfällt die Notwendigkeit, die teilnehmenden Personen zu kontaktieren, sodass alle infrage kommenden Probandinnen und Probanden miteingeschlossen wurden, was zu einer geringen Wahrscheinlichkeit von Selektionsbias führt, so die Forschenden.

Die Autorinnen und Autoren zeigen mehrere Limitationen der Studie auf. Da die teilnehmenden Personen nicht kontaktiert wurden, fehlten Informationen über Verhaltensweisen nach der Geburt, andere Faktoren wie körperliche Aktivität, Ernährung sowie die Exposition gegenüber Innenraumlicht. Änderungen des Wohnorts während der Schwangerschaft und im postnatalen Zeitraum könnten zu einer Fehlklassifikation hinsichtlich der Exposition geführt haben. Deziel et al. weisen darauf hin, dass die Anwendung von zwei verschiedenen validierten, geografisch basierten Luftverschmutzungsmodellen in ihrer Studie eine flexible und weitreichende Abdeckung in Bezug auf Gebiet und retrospektive Schätzungen ermöglicht. Jedoch ist es möglich, dass die Schätzungen der Luftverschmutzung nicht mit der individuellen Luftverschmutzungsexposition korrelieren, die durch die Mobilität und das Verhalten beeinflusst wird. Hinsichtlich der O-ALAN-Exposition sollten zukünftige Studien mit direktem Teilnehmerkontakt die satellitengestützten Messungen durch Fragebögen oder Messungen in Innenräumen ergänzen, um die Expositionsbewertung zu verbessern.   

Fazit für die Praxis  

Lt. Deziel et al. konnten die Forschenden in ihrer Studie den Zusammenhang zwischen perinataler Exposition gegenüber erhöhten Feinstaubkonzentrationen sowie höherer Intensität des nächtlichen Außenlichts und dem Risiko für das papilläre Schilddrüsenkarzinom bei Kindern zeigen. Sie betonen, dass eine Replikation dieser Ergebnisse und eine Verfeinerung der Expositionsmetriken aufschlussreich wäre und weiterführende Forschung zu umweltbedingten Risikofaktoren und Schilddrüsenkrebs bei Kindern nötig ist.   

Originalpublikation: Deziel NC, Wang R, Warren JL, Dinauer C, Ogilvie J, Clark CJ, et al. Perinatal Exposures to Ambient Fine Particulate Matter and Outdoor Artificial Light at Night and Risk of Pediatric Papillary Thyroid Cancer. Environ Health Perspect 2025;133: 57026.   

Link zur Originalpublikation: https://ehp.niehs.nih.gov/doi/epdf/10.1289/EHP14849

Autorin: Dr. med. Charlotte Gröschel, PhD


Bilderquelle: © witsarut – stock.adobe.com; Symbolbild

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