Der Einfluss der COVID-19-Impfung, welche vor einer Infektion erfolgt, auf das Risiko von Long COVID bei Kindern ist noch ungeklärt. Eine rezente, in EClinicalMedicine publizierte Real-World-Impfstoffwirksamkeitsstudie analysierte die »Effectiveness« von BNT162b2 auf das Long-COVID-Risiko von Kindern und Jugendlichen bei verschiedenen Stämmen des SARS-CoV-2-Virus. Hierfür wurden Daten aus dem größten klinischen Netzwerk für elektronische Gesundheitsakten von Kindern in den USA analysiert. Außerdem gingen die Forschenden der Frage nach, ob eine Impfung vor der Infektion das Long-COVID-Risiko über den nachgewiesenen Infektionsschutz hinaus mindern kann.
Als postakute Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion (PASC [post acute sequelae of SARS-CoV-2 infection]), auch Long COVID genannt, werden persistierende, exazerbierte, oder neu entstandene Symptome oder gesundheitliche Auswirkungen bezeichnet, welche verschiedene Organsysteme betreffen können. Die »Efficacy«*1 und »Effectiveness«*2 von COVID-19-Impfungen, eine symptomatische oder schwere COVID-19-Erkrankung zu verhindern, wurde durch randomisierte klinische Studien sowie beobachtende Impfeffektivitätsstudien bestätigt. Jedoch ist die Wirkung in Bezug auf Long COVID vor allem bei Kindern noch unklar. Studien an Erwachsenen weisen teilweise auf einen protektiven Effekt hin, jedoch wurde auch über unterschiedliche Effekte, z. B. je nach Virusstamm und Altersgruppen, und sogar über gegenteilige Effekte berichtet.
Wu et al. untersuchten daher im Rahmen einer Real-World-Studie die Wirksamkeit des BNT162b2-Impfstoffs auf Bevölkerungsebene in Bezug auf das Risiko von Long COVID. Mittels einer kausalen Mediationsanalyse ermittelten die Forschenden, ob eine Impfung das Risiko von Long COVID indirekt durch den Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion oder darüber hinaus auch durch direkte Effekte verringern kann.
Methodik
Die Real-World-Impfstoffwirksamkeitsstudie und Mediationsanalyse basiert auf Daten des Programms »RECOVER PCORnet electronic health record (EHR)«. Drei unabhängige Kohorten wurden gebildet: Jugendliche (12–20 Jahre) während der Deltapandemieperiode (01.07.2021–30.11.2021), Kinder (5–11 Jahre) und Jugendliche (12–20 Jahre) während der Omikronperiode (01.01.–30.11.2022). Die Studiengruppe verglich die Intervention einer ersten Dosis der BNT162b2-Impfung mit der Nichtverabreichung.
Der primäre Endpunkt war die Diagnose von Long COVID, 28–179 Tage nach dokumentierter SARS-CoV-2-Infektion. Wegen des heterogenen Erscheinungsbildes von Long COVID wurden körpersystemspezifische »condition clusters« einer PASC (kardiale, gastrointestinale, muskuloskelettale, respiratorische und Syndromkategorien) als sekundärer Endpunkt definiert. Die »Effectiveness« wurde als (1-relatives Risiko) *100 und die vermittelten Effekte wurden als relative Risiken angegeben.
Wirksamkeit von BNT162b2 gegen Long COVID durch Prävention der Infektion vermittelt
112.590 Jugendliche (88.811 geimpft) wurden in die Kohorte für die Analyse bei der Deltavariante, 188.894 Kinder (101.277 geimpft) und 84.735 Jugendliche (37.724 geimpft) für die Analyse bei der Omikronvariante miteingeschlossen.
Während der Deltaperiode ergab die geschätzte »Effectiveness« der BNT162b2-Impfung gegen Long COVID bei Jugendlichen 95,4 % (95 %-KI: 90,9 %–97,7 %). Somit war BNT162b2 bei Jugendlichen in der Deltawelle 2021 zu etwa 95 % wirksam, was bedeutet, dass geimpfte Individuen im Vergleich zu Ungeimpften nur mit einer 5 %-igen Wahrscheinlichkeit Long COVID entwickelten. Während der Omikronperiode betrug die geschätzte »Effectiveness« gegen Long COVID bei Kindern 60,2 % (95%-KI: 40,3 %–73,5 %) und 75,1 % (95 %-KI: 50,4 %–87,5 %) bei Jugendlichen. Die geringere Wirksamkeit kann durch die höhere Übertragbarkeit, geringe Symptomschwere und den geringen Schutz vor Infektion gegen Omikronvarianten erklärt werden.
Der direkte Effekt der Impfung auf das Long-COVID-Risiko, definiert als die Wirkung über die Infektionsverhinderung hinaus, war in allen drei Kohorten statistisch nicht signifikant – geschätztes relatives Risiko: 1,08 (95%-KI: 0,75–1,55) bei Jugendlichen der Deltastudie, 1,24 (95 %-KI: 0,92–1,66) bei Kindern und 0,91 (95 %-KI: 0,69–1,19) bei Jugendlichen der Omikronstudien. Die geschätzten indirekten Effekte durch die Verhinderung einer Infektion betrugen 0,04 (95%-KI: 0,03–0,05) bei Jugendlichen während der Deltaperiode, 0,31 (95 %-KI: 0,23–0,42) bei Kindern und 0,21 (95 %-KI: 0,16–0,27) bei Jugendlichen während der Omikronperiode. Somit wird der Effekt der Impfung hinsichtlich Long COVID großteils durch die Verringerung des Infektionsrisikos mediiert.
Die kausale Mediationsanalyse ergab ein vergleichbares Risiko von Long COVID für Personen mit dokumentierter Infektion nach der Impfung und für solche ohne vorherige Impfung.
Die Ergebnisse deuten somit darauf hin, dass der vorrangige Benefit der Impfung in Bezug auf den Schutz gegen Long COVID auf der Reduktion der SARS-CoV-2-Infektion beruht.
Limitationen und Stärken der Studie
Als Limitationen gaben die Forschenden unter anderem nicht auszuschließende Bias an, etwa durch potenziell nicht dokumentierte Infektionen in der Kohorte der Nichtinfizierten oder die Identifizierung von Long COVID über Daten aus elektronischen Gesundheitsakten, falls Daten falsch erfasst worden waren.
Die Forschungsgruppe merkt an, dass die Mehrzahl der Studien an Erwachsenen Long COVID nach Durchbruchsinfektion bei Impfung mit Long COVID nach Infektion bei Ungeimpften vergleicht. Dies zeige nur die Wirksamkeit des Impfstoffs in der infizierten Bevölkerung. Allerdings gebe dies nicht den tatsächlichen Effekt der Impfung auf Long COVID wieder, da das Infektionsrisiko der geimpften Personen wesentlich geringer sei und eine Selektionsverzerrung einbringe. Durch die kausale Mediationsanalyse werde die Gesamtwirksamkeit der Impfung in ihrer Studie berichtet, welche den protektiven Effekt für infizierte und nicht infizierte Kinder und Jugendliche reflektiert, so Wu et al.
Fazit für die Praxis
Die Studie legt nahe, dass BNT162b2 effektiv das Risiko von Long COVID bei Kindern und Jugendlichen in den USA während der Delta- und Omikronpandemieperiode verringerte. Die Mediationsanalyse konnte zeigen, dass die Wirksamkeit des Impfstoffs in erster Linie auf die Verringerung des Risikos einer SARS-CoV-2-Infektion zurückzuführen ist. Wu et al. schlussfolgern, dass ihre Ergebnisse die Bedeutung der Infektionsprävention und Impfung für die öffentliche Gesundheit bestätigen.
*Anmerkung der Redaktion:
*1Efficacy: Wirksamkeit einer Intervention unter kontrollierten Bedingungen (klinische Studie, RCT), *2Effectiveness: Wirksamkeit einer Intervention in der Routineversorgung (Real-World-Data)
Originalpublikation: Wu Q, Zhang B, Tong J, Bailey LC, Bunnell HT, Chen J, et al.; RECOVER Consortium. Real-world effectiveness and causal mediation study of BNT162b2 on long COVID risks in children and adolescents. EClinicalMedicine 2024; 79:102962.
Link zur Originalpublikation: https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(24)00541-8/fulltext
Autorin: Dr. med. Charlotte Gröschel, PhD
Bilderquelle: © ricka_kinamoto – stock.adobe.com; Symbolbild



