Eine internationale Studie unter Leitung von Forschenden der Universität Aarhus (Dänemark) und in Zusammenarbeit mit Partnern wie dem Broad Institute of MIT und Harvard (USA), der Radboud Universiteit (Niederlande) und dem Universitätsklinikum Würzburg (UKW) hat seltene genetische Varianten identifiziert, die das Risiko für eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) deutlich erhöhen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlicht.
Zentrale Ergebnisse der Studie
Die Forschenden fanden heraus, dass seltene Varianten in den Genen MAP1A, ANO8 und ANK2 das ADHS-Risiko zum Teil um mehr als das 15-Fache steigern können. Diese Varianten beeinflussen die Aktivität von Genen in Nervenzellen und können die Entwicklung sowie Kommunikation zwischen Nervenzellen stören, was zu ADHS führen kann. Besonders betroffen sind dopaminerge und GABAerge Neurone, die für Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Motivation von großer Bedeutung sind. Die Auswirkungen dieser genetischen Varianten lassen sich bereits im fetalen Leben nachweisen und reichen bis ins Erwachsenenalter.
»Die Ergebnisse zeigen erstmals klar benannte Gene, in denen seltene, stark wirkende Varianten eine hohe Anfälligkeit für ADHS verursachen und grundlegende biologische Mechanismen beeinflussen.«
Professor Anders Børglum vom Department of Biomedicine der Universität Aarhus, Seniorautor der Studie
Einfluss auf Bildung und kognitive Fähigkeiten
Durch die Verknüpfung genetischer Daten mit dänischen Registerdaten fanden die Forschenden heraus, dass Personen mit ADHS und seltenen Varianten im Durchschnitt einen geringeren Bildungsstand und einen niedrigeren sozioökonomischen Status haben als Betroffene ohne diese Varianten. Bei Erwachsenen mit ADHS der Würzburger Stichprobe wurde eine durchschnittliche Abnahme des IQ-Werts um etwa 2,25 Punkte pro seltener Hochrisikovariante beobachtet.
Fortbestehen von ADHS im Erwachsenenalter
ADHS ist die häufigste neuroentwicklungsbedingte Störung im Kindesalter. Bei bis zu 60 % der Betroffenen besteht sie auch im Erwachsenenalter fort und ist mit erheblichem psychischem Leidensdruck verbunden. Viele Betroffene entwickeln im Laufe ihres Lebens weitere psychische Erkrankungen, wie Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen. Nur etwa die Hälfte der Betroffenen spricht ausreichend auf die derzeit gängigen Behandlungsformen an.
Ausblick
»Unsere Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass Störungen der Gehirnentwicklung und -funktion zentral für die Entstehung von ADHS sind. Unsere Kolleginnen und Kollegen am Broad Institute analysierten, welche Proteine mit den Proteinen interagieren, die von den drei identifizierten ADHS-Genen kodiert werden, und identifizierten ein größeres Netzwerk von Proteinen, das ebenfalls bei anderen neurologischen Entwicklungsstörungen wie Autismus und Schizophrenie eine Rolle spielt. Das liefert Einblicke in biologische Zusammenhänge über mehrere psychiatrische Diagnosen hinweg.«
Ditte Demontis, Professorin am Department of Biomedicine der Universität Aarhus und Erstautorin der Studie
Die Ergebnisse erweitern das Verständnis der biologischen Grundlagen von ADHS und könnten die Basis für zukünftige Behandlungsmethoden bilden. Laut Studienteam ist das erst der Anfang. Ihre Berechnungen zeigen, dass es viele weitere seltene kausale Varianten gibt, die in noch größeren Studien identifiziert werden können.
Quelle: Universitätsklinikum Würzburg (Pressemitteilung, 18.11.2025)
Originalpublikation: Demontis D, Duan J, Hsu YH, Pintacuda G, Grove J, Nielsen TT, et al. Rare genetic variants confer a high risk of ADHD and implicate neuronal biology. Nature 2025. https://doi.org/10.1038/s41586-025-09702-8



