Die Digitalisierung schreitet auch in der Augenheilkunde rasch voran. Die Patientenaufklärung weist hier jedoch erhebliche Defizite auf. Welche dies sind, wie man sie beheben kann und welche zukünftigen Entwicklungen anstehen, erklärt Prof. Dr. med. Lothar Schweigerer. Er ist emeritierter Lehrstuhlinhaber für Pädiatrie und arbeitet Senior Medical Officer” bei dem medizinischen Start-up Medudoc.
Herr Prof. Schweigerer, mit welchen grundlegenden Herausforderungen ist die Ophthalmologie konfrontiert?
Schweigerer: In der Ophthalmologie existieren grundsätzlich sehr ähnliche Herausforderungen wie in den anderen klinischen Disziplinen: Das DRG-System verursacht knappe finanzielle Ressourcen, die Feminisierung der Ärzteschaft und der zunehmende Wunsch nach einer Work-life-Balance knappe Personalressourcen. Das Ziel muss deshalb der möglichst ökonomische Einsatz des vorhandenen ärztlichen Personals sein, indem man es von redundanten arztfernen Aufgaben befreit. Beispielhaft muss das aufklärende Personal mit Patientinnen und Patienten vor geplanten Eingriffen täglich mehrmals prinzipiell identische Aufklärungsgespräche führen. Maßgeschneiderte Hard- bzw. Software könnte den zeitlichen Aufwand reduzieren.
Welchen Stellenwert besitzt die Patientenaufklärung, wie ist die aktuelle Rechtssituation?
Prinzipiell entspricht jeder ärztliche Eingriff einer Körperverletzung mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen. Letztere lassen sich nur mittels expliziter mündlicher und schriftlicher Einwilligung des Patienten verhindern. Waren früher die Regeln zur Aufklärung einzig von der Rechtsprechung festgelegt und weder für Patienten noch für Ärzte explizit nachlesbar, wurde im Jahr 2013 die ärztliche Aufklärung erstmals im Bürgerlichen Gesetzbuch in Form des Patientenrechtegesetzes festgeschrieben.
Für das aufklärende Personal ist wesentlich, dass die Beweislast bei Komplikationen und einer nachweislich inkompletten Aufklärung beim Aufklärenden liegt. Eine umfangreiche, laienverständliche Patientenaufklärung und deren eindeutige Dokumentation sind deshalb unverzichtbar.
Welche Nachteile hat die analoge Patientenaufklärung?
Die Digitalisierung erfasst mittlerweile auch den Medizinsektor. In vielen Kliniken und Praxen existieren bereits digitale Patientendokumentationssysteme, doch wird die Aufklärung in vielen Fällen weiterhin analog und mittels Papierformularen erledigt. Diese analogen Lösungen sind nicht kompatibel mit der bereits digitalisierten Patientenakte, sie sind zeitaufwändig, redundant und für die Patientinnen und Patienten meist wenig verständlich. Einige Anbieter haben die Papierformulare als digitale (pfd)-Formulare aufbereitet. Vorteilhaft sind ein breites Indikationsspektrum und die Sprachenvielfalt. Einige Hersteller bieten die Möglichkeit handschriftlicher und / oder fotografischer Eintragungen in das Formular und die digitale Erfassung von Patientenanamnese und -unterschrift. Nachteilig sind bei all diesen Lösungen die limitierte Fähigkeit zur Individualisierung, geringe Patientenverständlichkeit, hoher Zeitaufwand und – abhängig vom Erfahrungsschatz der Aufklärenden – eine variable Aufklärungsqualität.
Welche Vorteile bietet die digitale Aufklärung?
Volldigitale Lösungen der Patientenaufklärung bieten prinzipiell folgende Vorteile: Reduktion des Zeitaufwandes für die Aufklärenden, konstante Aufklärungsqualität und Verständlichkeit für die Patienten, nahtlose Integration in die digitale Patientenakte und schließlich Rechtssicherheit. Alle diese Vorteile bietet die Aufklärungssoftware des medizinischen Start-ups Medudoc.
Wie funktioniert die Aufklärung mit dieser Lösung?
Nachdem das aufklärende ärztliche Personal die Indikation zum Eingriff gestellt hat, stellt es am Bildschirm mittels weniger Klicks aus einer umfangreichen Bibliothek kleiner Videoschnipsel in weniger als einer Minute ein auf den Patienten bzw. die Patientin, den Eingriff und die jeweiligen Vorerkrankungen maßgeschneidertes Gesamtvideo zusammen. Es verfügt über je einen individuellen QR-code bzw. Internet-Link, mittels derer der Patient sich das eigene Video zuhause oder in der Klinik bzw. Praxis so oft wie gewünscht anschauen kann.
Welche ophthalmologischen Indikationen sind verfügbar?
Es wird Patientenaufklärungsmaterial für alle gängigen ophthalmologischen Eingriffe angeboten, darunter Blepharoplastik, intravitreale operative Medikamenteninjektion (IVOM), Kapsulotomie, Katarakt-OP, LASIK, photorefraktive Keratektomie (PRK), refraktive Lentikelextraktion (ReLEx) und die Iridotomie.
Welche Vorteile bietet die Software im Klinik- bzw. Praxisablauf?
Sie wurde von praktizierenden Chirurgen initiiert aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung. Sie erkannten, dass die bislang verfügbaren, analog-basierten Patientenaufklärungen prinzipiell vier Nachteile haben: Sie sind erstens zeitintensiv, zweitens redundant, drittens qualitativ variabel und viertens inkompatibel mit digitalen Patienteniformationssystemen. Dementsprechend benötigt das Arztpersonal mit der medudoc-Lösung durchschnittlich weniger als eine Minute zur Anfertigung eines maßgeschneiderten Aufklärungsvideos. Viele Fragen entfallen, das präoperative persönliche Aufklärungsgespräch wird dadurch verkürzt. Die Aufklärung ist standardisiert, die Qualität konstant und weitgehend unabhängig vom Erfahrungsschatz des Aufklärenden. Die Software ist webbasiert und bietet Schnittstellen für alle Patienteninformationssysteme.
Können ältere Menschen das Produkt bedienen?
Auch die meisten älteren Menschen besitzen heutzutage ein eigenes Smartphone. Sie können somit das Aufklärungsvideo betrachten, anamnestische Angaben machen und digital unterschreiben. Bei eingeschränktem intellektuellem Verständnis ist das Vorgehen wie bei der konventionellen Aufklärung, wo die Betroffenen durch die anwesenden Angehörigen unterstützt werden. Ist kein Smartphone vorhanden, so können sämtliche Informationen auch auf Papierform ausgedruckt und den Patienten mitgegeben werden.
Sind die Patientenschutzrechte gesichert?
Ja. Das dem Patienten ausgehändigte Video samt seiner „Baukasten“-Schnipsel sind nummeriert, anonymisiert und auf einem zentralen Server außerhalb der Klinik/Praxis hinterlegt. Sie können, wie gesetzlich vorgeschrieben, mindestens zehn Jahre lang wieder regeneriert werden.
Ist die Aufklärung rechtssicher?
Bei der Medudoc-Lösung sind alle Videoinhalte dokumentiert und digital und/oder analog hinterlegt. Der Patient unterschreibt (digital), alle Inhalte des Videos und des mündlichen Aufklärungsgespräches verstanden zu haben. Auch die Unterschrift ist digital hinterlegt. Das Verfahren ist somit rechtssicher.
Welche Hardware wird benötigt?
Wie bereits erwähnt, ist die Patientenaufklärungssoftware webbasiert und damit Plattform-agnostisch. Die Anschaffung separater Hard- oder Software entfällt.
Wie sehen Sie die Zukunft der Patientenaufklärung?
Die digitale Patientenakte ist vielerorts bereits Teil der alltäglichen Versorgung. Die Patientenaufklärung ist jedoch oft noch nicht digitalisiert und integriert. Volldigitalisierte, videoanimierte, individualisierbare Lösungen mit der Möglichkeit zur Zeitersparnis werden sich zukünftig durchsetzen.
Interview aus: CONCEPT Ophthalmologie, Ausgabe 08/2023. Quelle: medudoc
Grafik: Medudoc Education GmbH



