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Update Merkelzellkarzinom

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Erschienen in: ärztliches journal onkologie

Das Merkelzellkarzinom (MCC) ist eine seltene, aggressive Form des Hautkrebses. Lange ging die Forschung davon aus, dass das MCC seinen Ursprung in den Merkelzellen der Haut habe: Die Tumorzellen teilen in der Tat zahlreiche morphologische, immunhistochemische und ultrastrukturelle Eigenschaften mit den Merkelzellen – die Ursprungszelle des MCC ist jedoch unbekannt.1 Bei der Jahrestagung der EADV in Berlin diskutierten Experten neueste Erkenntnisse aus der MCC-Forschung.

Das MCC stellt sich in der Regel als kleine (<2 cm), schmerzlose, bläulich-rote Knoten auf der Haut dar, die darüberliegende Haut ist fest und intakt2. Die bevorzugte Lokalisation befindet sich im Kopf- und Halsbereich sowie an den Extremitäten.1 Im Gegensatz zu den häufigsten Hautkrebsarten handele es sich bei MCC um ein äußerst aggressives, primäres kutanes neuroendokrines Karzinom, das vor allem ältere und immunsupprimierte Personen betreffe, erläuterte Prof. Thomas Eigentler, Berlin. Es metastasiere häufig in Lymphknoten, Lunge, Leber oder Knochen.
Die Diagnose erfolgt in der Regel durch Biopsie und mikroskopische Untersuchung.2,3 Aufgrund eines ähnlichen klinischen Erscheinungsbildes könne das MCC ein Basalzell- oder Plattenepithelkarzinom, ein Melanom sowie Lymphom imitieren: „Zögern Sie nicht, im Zweifel eine Biopsie durchzuführen“, riet Eigentler. „Eine Biopsie verschlechtert nicht die Prognose des Merkelzellkarzinoms – eine Unterdiagnose der Erkrankung hingegen schon.“

Inzidenz und Mortalität des MCC
Hinsichtlich der Inzidenz des MCC zeigt sich in den vergangenen Jahren eine Zunahme in Europa, den USA und Australien. So ergab eine Kohortenstudie aus England4 mit 3.775 Tumoren über einen Zeitraum von 15 Jahren, dass zwischen 2004 und 2018 die Inzidenz jeweils um 3,9 % pro Jahr gestiegen ist. Die Gesamt-EASR (European age-standardised incidence rate) kletterte von 0,43 pro 100.000 Personenjahre im Jahr 2004 auf 0,65 pro 100.000 Personenjahre im Jahr 2018.
Interessanterweise stieg die Inzidenz bei Männern doppelt so schnell an wie bei Frauen.4 Eigentler führte dies auf eine vermehrte ungeschützte UV-Exposition von Männern im Vergleich zu Frauen zurück. Die Studienergebnisse zeigten zudem ein krankheitsspezifisches 5-Jahres-Überleben von 65,6 %. Dies sei geringer als bei Patientinnen und Patienten mit malignem Melanom, ordnete der Experte ein. Die krankheitsspezifische Mortalität stieg mit einem späteren Stadium der MCC-Diagnose (Stadium 1 vs. 4).4
Eine Untersuchung von Paulson et al. aus den USA fand heraus, dass eine hohe dermatologische Versorgungsdichte mit einem verbesserten MCC-spezifischen Überleben in Verbindung gebracht werden kann.5 Dies unterstreiche die Bedeutung einer frühen Diagnose sowie einer entsprechenden fachlichen Kompetenz. Die Prognose hängt zudem von der Lokalisation bzw. Ausbreitung des Tumors ab: Betrachtet man die relative 5-Jahres-Überlebensrate, so sind 64–87 % der Betroffenen mit einer ausschließlich lokalen Präsentation nach diesem Zeitraum noch am Leben. Sobald regionale Lymphknoten befallen sind, sinkt die Rate auf 35–42 %. Bei Fernmetastasierung fällt die Wahrscheinlichkeit auf ein 5-Jahres-Überleben auf 0–18 %.6–9

Therapieoptionen des MCC
Fasst man die europäischen konsensbasierten Empfehlungen des Expertenpanels aus EADO, EDF und EORTC,10 sowie der NICE*-Empfehlungen11 für die Behandlung des MCC zusammen, so ist in den Stadien I bis II ein chirurgischer Eingriff sowie eine Strahlentherapie angezeigt. Zusätzlich werden in Stadium III (Lymphknotenbefall) im Falle von nicht resezierbaren Tumoren eine Elektrochemotherapie oder isolierte Extremitäteninfusion empfohlen.
Im Stadium IV (Fernmetastasen) stellt die Immuntherapie aktuell den Behandlungsstandard dar. Hierfür ist in Europa der gegen PD-L1 (Programmed cell death ligand-1) gerichtete Antikörper ­Avelumab (Bavencio®) für Erwachsene mit metastasiertem MCC zugelassen. Die 4-Jahres-Nachbeobachtung für Avelumab als Firstline-Therapie bei metastasiertem MCC ergab ein mittleres Gesamtüber­leben (OS) von 20,3 Monaten.12 Das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) betrug 4,1 Monate.13 Es wurde ein numerischer Trend für ein längeres OS unter Avelumab bei Patienten mit PD-L1+ vs. PD-L1– Tumoren beobachtet.13 Diese Daten unterstützen laut Eigentler jedoch keine Patientenauswahl basierend auf dem PD-L1-Status. Auch in zweiter Therapielinie konnte Avelumab seine Wirksamkeit, unabhängig vom PD-L1-Status, bestätigen.14
Nach der Therapie sei ein engmaschiges Follow-up unerlässlich, so Eigentler. Ziel sei es, ein Wiederauftreten oder eine sekundäre Krebserkrankungen frühzeitig zu erkennen. Ebenso gelte es, potenzielle Nebenwirkungen einer lokalen oder systemischen Behandlung zu behandeln. Die Nachsorge sollte eine sorgfältige, regelmäßige Ganzkörper-Hautuntersuchung mit einer körperlichen Palpation der Narbe, der umgebenden Haut und Knotenbereiche umfassen. Hinzu komme eine radiologische Bildgebung wie Ultraschall der Lymphknoten, CT-Scans, MRT und PET-CT.­ ­Gehirnscans seien bei asymptomatischer Erkrankung im Stadium I und II nicht erforderlich, empfahl der Experte.

Real World-Evidence zu ICI
Prof. Mahtab Samimi aus Tours/Frankreich, präsentierte in ihrem Vortrag eigene Real-World-Daten zum Einsatz von Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) bei MCC. So erhielten in einer französischen Kohorte von 498 MCC-Patientinnen und Patienten 81 eine ICI-Therapie wegen nicht resezierbarer Stadien III und IV (entweder Avelumab oder off-label Pembrolizumab bzw. ­Nivolumab). In 65 % der Fälle erfolgte die Therapie in Firstline, in 30 % Secondline und in 5 % Thirdline. Die Gesamtansprechrate (ORR) lag bei 52 %, was laut Samimi mit den Ergebnissen klinischer Studien übereinstimme. Ein vollständiges Ansprechen (CR) erzielten 30 ­% der Behandelten, 22 % ein teilweises Ansprechen (PR). Das mediane OS lag bei 39,4 Monaten. Die Publikation dieser Daten werde aktuell vorbereitet.
Real-World-Daten aus anderen Regionen zeigen ebenfalls sehr hohe Gesamtansprechraten: In den USA15 (n=90) wurde eine ORR von 73 % beobachtet, in den Niederlanden16 (n=54) 57 % und in Israel17 (n=62) 59 %.
Es stelle sich laut Samimi die Frage, ob es prädiktive Faktoren für das Ansprechen auf PD-L1-Inhibitoren bei MCC gebe. In Studien konnte bisher kein Biomarker für ein potenzielles Ansprechen identifiziert werden. Es stellte sich jedoch heraus, dass das OS mit der Ansprechrate korreliert, berichtete die Expertin. Das möge auf den ersten Blick nicht überraschen, doch bedenke man die früheren Therapieverläufe nach Chemotherapie bei MCC vor Einführung der ICI, dann hätte man damals zwar eine hohe Response erzielen können, die sich jedoch nicht in einen Benefit hinsichtlich des Überlebens übersetzen ließe.
In den noch nicht publizierten Real-World-Daten von Samimi et al. zeigte sich bei denjenigen Patientinnen und Patienten, die eine CR (n=24) erzielten, ein OS von 100 %. Dies ließe sich durch die Ansprechdauer erklären.

Therapiestrategien bei CR: Absetzen oder reduziert verlängern?
Könne man in diesen Fällen die ICI-Therapie beenden, wie es inzwischen Behandlungsstandard beim Melanom sei? Dies wurde in zwei kleinen retrospektiven Studien18,19 untersucht. In beiden Untersuchungen wurde MCC-Betroffene rund ein Jahr mit ICI behandelt. In dieser Zeit erzielten 85 %18 bzw. 95 %19 eine CR oder PR. Nach Absetzen der Therapie trat bei 33 % bzw. 26 % der Patientinnen und Patienten mit CR ein erneutes MCC auf. In den Fällen ohne CR betrug die Rückfallrate 71 % bzw. 67 %. Bei wiederaufgenommener Therapie mit ICI sprachen 50 % bzw. 75 % der Teilnehmenden erneut an. Man müsse basierend auf diesen Ergebnissen sehr vorsichtig bei der Absetzung der ICI-Therapie vorgehen, wertete Samimi. Als mögliche Strategien nannte sie eine verlängerte Behandlungsdauer bis zu 24 Monate bei allen Respondern, eine Einstellung der Therapie lediglich bei einer sehr sorgfältig ausgewählten Patientengruppe sowie eine verlängerte Behandlungsdauer durch eine reduzierte Dosierungshäufigkeit der PD-(L)1-Therapie.
Eine retrospektive Studie aus den Niederlanden befasste sich mit dem Absetzen der Avelumab-Behandlung bei einer ausgewählten Patientenkohorte20: Es wurden 25 MCC-Betroffene, die eine im PET-CT bestätigte CR erzielten, eingeschlossen. Die mediane Therapiedauer betrug elf Monate. Im Follow-up trat bei zwei Personen das MCC erneut auf, jeweils nach vier bzw. sieben Monaten. Das rückfallfreie Überleben (RFS) betrug somit 88 % (95% KI 0,74–1,0).
Die Autoren schlussfolgern, dass Avelumab bei einer im PET-CT bestätigten CR nach einjähriger Behandlung sicher abgesetzt werden könne.20
Tachiki et al. verfolgten den Ansatz einer verlängerten Therapie mit einer reduzierten Dosierungsfrequenz (RFD)21: Hier wurden retrospektiv die Daten von fünf MCC-Patientinnen und -Patienten ausgewertet, die eine PD-L1-Therapie erhielten. Die Standard-Dosierungsfrequenz wurde im median über 1,1 Jahre eingehalten. Wurde eine CR oder PR erzielt, erfolgte ein Switch auf eine dreimonatige Gabe. Das 3-Jahres-PFS nach Beginn der reduzierten Dosierung betrug in dieser sehr kleinen Kohorte 100%. Die RFD-Strategie biete laut den Autoren einen alternativen Ansatz zur Verlängerung der Therapiedauer. Dies sei auch mit einem geringeren finanziellen und logistischen Aufwand im Vergleich zum Standardschema verbunden.21

Resistenz gegen PD-(L)1-Therapie – was tun?
Eine besondere Herausforderung bei der MCC-Therapie sei eine Resistenz gegen die PD-(L)1-Inhibition, führte Samimi aus. So würden Daten aus der KEYNOTE-017-Studie zu Pembrolizumab22 zeigen, dass 50 bis 70 % der Teilnehmenden mit fortgeschrittenem MCC eine primäre oder sekundäre Resistenz aufwiesen. Um dies zu umgehen, müsse man sich näher mit der Tumorbiologie beschäftigen, meinte die Expertin. So könne man die Präsentation und Freisetzung von Tumorantigenen erhöhen, beispielsweise durch Strahlentherapie oder T-VEC. Eine weitere Option sei die Förderung der proinflammatorischen Signalübertragung in der Tumormikroumgebung, z.B. durch den Einsatz von Zytokinen.
Ein anderer Ansatz sei die Umkehrung der epigenetischen Regulierung durch HDAC-Inhibitoren. Das Targeting weiterer Checkpoint-Inhibitoren, wie anti-CTLA4, TIM-3 oder LAG-3 käme ebenfalls in Betracht. Auch Zelltherapien wie adoptiver T-Zelltransfer oder die Infusion von natürlichen Killerzellen könnten ihre Anwendung finden. Zu guter Letzt seien zielgerichtete Tumortherapien wie anti-SSTR, MDM2– oder mTOR-Inhibitoren möglich, erläuterte Samimi. All diese Strategien seien derzeit in klinischer Untersuchung.
Als vielversprechender Ansatz bei refraktären MCC-Patientinnen und -Patienten erscheint die Kombination aus Ipilimumab und Nivolumab (IPI/NIVO): In einer multizentrischen randomisiert-kontrollierten Phase-II-Studie (n=50) erhielten die Probanden entweder IPI/NIVO (Gruppe A) oder IPI/NIVO+ stereotaktische Radiotherapie (Gruppe B). Von den ICI-naiven Patienten zeigten 22 von 22 (95%-KI 82–100) ein objektives Ansprechen. Von den Patienten, die zuvor ICI erhalten hatten, erzielten acht (31 %) der 26 Patienten (95%-KI 15–52) ein objektives Ansprechen. Es wurden keine signifikanten Unterschiede in der ORR zwischen den Gruppen beobachtet. IPI/NIVO sei demnach eine erfolgversprechende Strategie bei MCC-Patienten, die gegen PD-(L)1-Inhibitoren resistent sind und könne ebenfalls als Erstlinienbehandlung bei einem ausgewählten Patientenklientel in Betracht gezogen werden, resümierte Samimi.
Ein weiterer therapeutischer Ansatz, der derzeit für MCC in klinischen Studien untersucht werde, sei der Einsatz von ICI im adjuvanten Setting. Hier seien in naher Zukunft interessante Daten zu ­erwarten, die die Versorgung von MCC-Patientinnen und -Patienten weiter verbessern könnten.

Martha-Luise Storre

Quelle: EADO: European Association of Dermato-Oncology; EDF: European Dermatology Forum; EORTC: European Organisation for Research and Treatment of Cancer; **NICE: National Institute for Health and Care Excellence.

Literatur bei c.weber@fachverlage.de

Abb.: AdobeStock/David A Litman

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