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Immuncheckpoint-Inhibition: Management neurologischer Nebenwirkungen

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Erschienen in: ärztliches journal onkologie

Auf Grundlage der Arbeiten von James Allison und Tasuku Honjo, die als erste die T-Zell-Oberflächenproteine Cytotoxic T-Lymphocyte-Associated Protein 4 (CTLA-4) und Programmed Cell Death 1 (PD-1) als mögliche Angriffspunkte einer zielgerichteten Krebstherapie beschrieben1,2, konnte die Behandlung onkologischer Patienten revolutioniert werden. Die sogenannten Immuncheckpoints dienen dazu, den Organismus vor einer überschießenden Immunantwort zu bewahren und erhalten so die Selbst-Toleranz3. Ihre Hemmung führt zu einer Aufhebung der T-Zell-Inhibition und somit zu einer Aktivierung Tumor-reaktiver T-Zellen mit konsekutiver Zerstörung von Tumorzellen.

Der Erfolg der Immuncheckpoint-Inhibitor (ICI)-Therapie in der Behandlung von Tumorpatienten, insbesondere solchen mit fortgeschrittener bzw. metastasierter Tumorerkrankung, ist enorm. Seit der CTLA-4-Inhibitor Ipilimumab im Jahr 2011 für die Behandlung des fortgeschrittenen Malignen Melanoms zugelassen wurde, nimmt die Anzahl an zugelassenen Präparaten und deren Indikationen immer mehr zu. So zeigen beispielsweise die PD-1-Inhibitoren Nivolumab und Pembrolizumab mit Ansprechraten von 40–45% vielversprechende Ergebnisse bei der Therapie des nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms oder des Malignen Melanoms4. Bislang sind sieben Präparate für insgesamt elf Indikationen zugelassen.

Der Erfolg bei der Behandlung von Tumorerkrankungen kann allerdings mit autoimmunen Nebenwirkungen einhergehen. Diese sogenannten immunbedingten unerwünschten Ereignisse können jedes Organsystem des Körpers betreffen. Häufig sind dermatologische, gastrointestinale oder endokrinologische Nebenwirkungen, die in der Regel früh erkannt werden und meist gut behandelbar sind5.

ICI-bedingte Toxizitäten, die das Nervensystem betreffen, nehmen eine gewisse Sonderstellung ein. Die neurologischen Nebenwirkungen sind meist schwerwiegend, da sie rasch fortschreiten und zu einer erheblichen Morbidität und Mortalität beitragen. Das Spektrum umfasst Symptome wie Kopfschmerzen und Fatigue, es können aber auch tödlich verlaufende Enzephalitiden oder schwere Neuropathien auftreten. Die korrekte Diagnosestellung stellt eine Herausforderung dar, da das gesamte periphere und zentrale Nervensystem betroffen sein kann und die entsprechenden Symptome sehr variabel sind6.

Häufigkeit und Charakteristika neurologischer Nebenwirkungen

In den Zulassungsstudien (Phase I, II und III) variierte die Inzidenz von autoimmunen neurologischen Nebenwirkungen (nAEs) jeglichen Grades sowohl bei der Anti-CTLA-4- als auch bei der Anti-PD-1-Behandlung zwischen 0% und 27%7. Die höchsten nAE-Inzidenzraten wurden bei der Kombinationstherapie aus Anti-CTLA-4- und Anti-PD1-Behandlung beobachtet7. Allerdings lag die Inzidenz von hochgradigen (Grad 3–4) nAEs in klinischen Studien selbst bei Patienten mit Kombinationstherapie unter 1%7,8.

Da abgesehen von den Zulassungsstudien große, prospektive Untersuchungen weitgehend fehlen, variiert die beschriebene Inzidenz von nAEs zwischen den Publikationen erheblich. Kürzlich konnten Mikami und Kollegen eine retrospektive Beobachtungsstudie basierend auf den Daten des FAERS (FDA Adverse Event Reporting System Database) Registers von 01/2014 bis 12/2019 veröffentlichen. Von 50.406 registrierten Nebenwirkungen unter ICI-Therapie waren 3.619 (7,2%) neurologische Fälle gemeldet worden, darunter Myasthenia gravis, Enzephalitis/Myelitis, Meningitis, Guillain-Barre-Syndrom, Vaskulitis und Neuropathie. Ältere Patienten, Patienten mit Melanom bzw. mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom sowie Patienten unter Kombinationstherapie hatten ein erhöhtes Risiko für tödliche nAEs9.

In den bisherigen Veröffentlichungen sind neuromuskuläre Komplikationen der ICI-Therapie die häufigsten neurologischen Manifestationen, wobei die Myasthenia gravis in einigen Arbeiten als die häufigste PD-1-Inhibitor-assoziierte neuromuskuläre Nebenwirkung bezeichnet wird10,11. Das durch die ICI-Therapie ausgelöste Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine schwere autoimmune Nebenwirkung des peripheren Nervensystems11–13. Die Häufigkeit von muskulären Symptomen in zwei großen Serien mit 347 und 654 anti-PD-1-behandelten Patienten betrug 0,6% bzw. 0,8%14,15, wobei Myopathien und Neuropathien die häufigsten Krankheitsbilder darstellten14. Eine Augenbeteiligung ist dabei typisch für ICI-assoziierte Myopathien und führt häufig zur Diagnose eines Myositis-Myasthenie-Overlap-Syndroms15–17.

Für alle nAEs des peripheren Nervensystems (PNS) gilt: Die zugrundeliegenden Mechanismen und ihre Pathogenese sind noch nicht vollständig aufgeklärt. Es ist zu vermuten, dass die Aktivierung zytotoxischer T-Lymphozyten bei gleichzeitiger verminderter Suppression von Autoantikörper-produzierenden B-Lymphozyten durch PD-1- oder CTLA-4-Inhibition zur Bildung von Autoantikörpern gegen neuronale Strukturen führt11.

ZNS-Nebenwirkungen meist nur in kleinen Fallstudien

Im Vergleich zu Symptomen des PNS treten Manifestationen von nAEs am zentralen Nervensystem (ZNS) seltener auf. Sie wurden bisher meist in kleinen Fallstudien und Einzelfall-berichten beschrieben. Im Jahr 2017 veröffent-lichten Larkin und Kollegen eine Serie von sechs Enzephalitis-Fällen, die im Rahmen der Zulassungsstudien von Nivolumab und Ipilimumab auftraten18. Die mittlere Zeit bis zum Auftreten der Symptome ab Beginn der Behandlung betrug 95 Tage. Die meisten Patienten zeigten Symptome wie Aphasie, Verwirrung, Desorientierung und Unruhe18. Galmiche und Kollegen führten eine retrospektive Beobachtungsstudie bei 209 Melanompatienten durch, die mit ICI behandelt wurden, und untersuchten dabei das Auftreten von Enzephalitiden. Bei fünf von 209 Patienten (2,4%) trat eine ICI-induzierte Enzephalitis auf, wobei das mittlere Intervall zwischen dem Beginn der ICI-Behandlung und dem Auftreten der Symptome 42 Tage betrug19.

Nebenwirkungen frühzeitig erkennen …

Die frühzeitige Diagnose von neurologischen Nebenwirkungen unter ICI-Therapie ist der entscheidende Schlüssel für ein erfolgreiches Management dieser mitunter lebensbedrohlichen Krankheitsbilder. Auch aktuell gibt es keine einheitlichen Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der nAEs, wenn auch die einzelnen onkologischen Fachgesellschaften jeweils Handlungsanweisungen veröffentlicht haben. Hervorzuheben sind hier die 2019 von Spain und Kollegen publizierten Empfehlungen20. Unsere eigene Erfahrung zeigt, dass eine Orientierung an diesen Handlungsempfehlungen mit Anpassungen im individuellen Fall sinnvoll ist.

Die Schweregrad-Einteilung der nAEs erfolgt in Studien gemäß den Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE)21. Im klinischen Alltag hat sich jedoch die Unterscheidung in leichtgradige (keine relevante Funktionsbeeinträchtigung), moderate (Funktionsbeeinträchtigung) und schwerwiegende (schwere Funktionsbeeinträchtigung, Lebensbedrohlichkeit) neurologische Nebenwirkungen bewährt. Initial sollten Tumor-assoziierte Ursachen der neurologischen Beschwerden ausgeschlossen werden22. Diagnostisch steht eine ausführliche klinische neurologische Untersuchung im Vordergrund.

In einem zweiten Schritt werden laborchemische und apparative diagnostische Verfahren eingesetzt, um die nAEs näher zu charakterisieren. Eine wichtige Rolle spielen hier sicherlich die Liquoranalyse sowie die Untersuchung auf Auto-Antikörper. Die Bildgebung mittels Magnetresonanztomografie (MRT) dient vorwiegend dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen.

Ein besonderes Augenmerk muss auf Patienten mit Myositis bzw. Myositis-Myasthenie-Overlap-Syndrom12 gerichtet werden, da diese häufig zusätzlich eine z.T. lebensbedrohliche kardiale Beteiligung aufweisen10. Hier sollten ein Echokardiogramm (EKG), eine transthorakale Echokardiografie sowie die Bestimmung der Herz-enzyme (Troponin-T, CK-MB) ergänzt werden.

… und therapieren

Grundsätzlich sollte die ICI-Therapie bei Patienten mit dem Verdacht auf autoimmune neurologische Nebenwirkungen frühzeitig pausiert werden, bis eine weitere Diagnostik erfolgen konnte. Dies gilt für nAEs aller Schweregrade.

Besteht eine relevante Funktionsbeeinträchtigung, ist zusätzlich umgehend eine immunmodulatorische Therapie im stationären Rahmen zu initiieren. Die größte Evidenz gibt es hier für den Einsatz von Steroiden.  Analog zu dermatologischen, gastrointestinalen oder pneumologischen Nebenwirkungen wird auch bei nAEs häufig Prednisolon (oral oder intravenös) in der Dosis 1mg/kg Körpergewicht eingesetzt20.

Da dies unserer Erfahrung nach in der klinischen Praxis oft keine ausreichende Wirkung zeigt, setzen wir insbesondere bei neuromuskulären Symptomen und Enzephalitiden eine hochdosierte Methylprednisolon-Therapie mit 1.000mg/Tag über drei bis fünf Tage ein. Anders als bei der nicht ICI-assoziierten Form sind Steroide auch beim ICI-induzierten GBS wirksam23. Bei potenziell lebensbedrohlichen nAEs wie dem Myositis-Myasthenie-Overlap-Syndrom mit kardialer Beteiligung muss die Therapie häufig frühzeitig auf intravenöse Immunglobuline oder Plasmaaustauschverfahren eskaliert werden.  Entscheidend ist außerdem ein engmaschiges Monitoring der Patienten, die häufig einer intensivstationären Behandlung bedürfen. Die Erfahrungen mit anderen Immunsuppressiva sind sehr begrenzt, vereinzelt finden sich Berichte zum Einsatz von Methotrexat, Infliximab oder auch Rituximab21,24. Pyridostigmin kann bei myasthener Symptomatik zusätzlich hilfreich sind, ist aber in der Regel als Monotherapie unwirksam.

Re-Challange nach neurologischen Nebenwirkungen?

Eine Besonderheit stellen Patienten dar, die unter ICI-Therapie neurologische Nebenwirkungen entwickelt haben und im Verlauf einen Tumorprogress erleiden, sodass die Frage einer erneuten ICI-Therapie im Raume steht. Ob das Risiko erneuter Nebenwirkungen zu Gunsten der Tumorkontrolle eingegangen werden sollte, kann nur im individuellen Fall entschieden werden.

Patienten mit lebensbedrohlichen, insbesondere neuromuskulären Nebenwirkungen mit kardiologischer Beteiligung, sind in der Regel von dieser sogenannten Re-Challenge ausgeschlossen. In anderen Fällen muss zwischen der Schwere der im Vorfeld aufgetretenen Nebenwirkungen und der Bedrohung durch das Tumorleiden abgewogen und die Möglichkeit alternativer onkologischer Behandlungsoptionen (zielgerichtete Therapie, Chemotherapie o.ä.) geprüft werden. Traten neurologische Nebenwirkungen unter anti-CTLA-4-Monotherapie auf, kann der Wechsel auf eine anti-PD-1-Monotherapie angestrebt werden25.

Dr. med. Nora Möhn,
Prof. Dr. med. Thomas Skripuletz,
Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Neurologie
E-Mail: skripuletz.thomas@mh-hannover.de

www.mh-hannover.de

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Beitragsbild: Artur – stock.adobe.com

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