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Highlights vom diesjährigen Kongress der Viszeralmedizin

Highlights vom diesjährigen Kongress der Viszeralmedizin

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Erschienen in: ärztliches journal onkologie

Es gab viele spannende Themen bei der DGVS-Jahrestagung. Neue Leitlinien, aktuelle Therapieoptionen, innovative Erkenntnisse zum Zusammenspiel des Mikrobioms mit dem Immunsystem sind Beispiele dafür. Drei besondere Schwerpunkte standen darüber hinaus im Fokus: Inflammation, Onkologie und Nachhaltigkeit. Kongresspräsident der DGVS, Prof. Ansgar W. Lohse, Hamburg, fasst die wichtigsten Kongresshighlights zusammen.

Herr Prof. Lohse, welche relevanten Neuerung gab es bezüglich der GI-Leitlinien?
Lohse: Kein medizinisches Fach ist so vielfältig wie die Viszeralmedizin – und in keinem Fach gibt es so viele Leitlinien und so viele neue Leitlinien, wie hier. Wichtige Neuerungen haben sich insbesondere im Bereich der Gerinnungsstörungen bei Leberzirrhose ergeben, wo erkannt wurde, dass die Thromboseneigung deutlich erhöht ist und deswegen trotz niedriger Blutgerinnungswerte eine Blutverdünnung oft indiziert ist. Neu ist auch, dass der Gemeinsame Bundesausschuss erstmalig die Erstellung von Leitlinien, in diesem Falle für seltene Lebererkran­kungen, finan­ziell unterstützt und auch Patientenvertreter bei der Erstellung dieser neuen Leitlinie aktiv mitwirken.

Wie wichtig ist interdisziplinäres ­Management in der Viszeralmedizin?
Viszeralmedizin ist vom Grundgedanken eher ein interdisziplinäres Fach, bei dem Chirurgen und Internisten immer enger zusammenarbeiten. So werden bei vielen Tumoren des Verdauungstraktes zunehmend häufiger neo-adju­vante Therapieverfahren angewendet, d.h. dass die Krebserkrankung zunächst mit Medikamenten behandelt wird und dann erst zeitversetzt eine Operation erfolgt. Für viele Tumoren hat sich damit die Prognose deutlich verbessert, und die Operationen sind immer häufiger minimal-invasiv möglich.

Wird das ausreichend praktiziert?
Wie stark die Interdisziplinarität in der Viszeralmedizin bereits gelebt wird, ist erkennbar an der Planung und Struktur des Kongresses, der gemeinsam von einem chirurgischen und internistischen Präsidenten, zusammen mit einem Vertreter der Endoskopie, organisiert und geleitet wird. In mindestens der Hälfte der Sitzungen des Kongresses waren sowohl Internisten als auch Chirurgen als Referenten vertreten. Zunehmend reflektiert dies auch die Interdisziplinarität in den Kliniken.

Immunsuppressive Therapien sind mit vielen Risiken und Komplikationen verbunden. Gibt es hier neue Lösungsansätze?
Entzündliche Erkrankungen der Bauchorgane sind häufig und bedürfen oft einer immunsuppressiven Therapie. Hier haben wir in den letzten Jahren enorme Fortschritte in der Entwicklung neuer Therapieformen gesehen. Neben den Biologika kommen jetzt auch die „small molecules“ dazu, die gezielt bestimmte Signalwege im Entzündungsprozess blocken. Durch immer spezifischere Medikamente werden die Therapien nicht nur wirkungsvoller, sondern auch die Nebenwirkungen und Risiken geringer. Gleichzeitig kann man durch Impfungen und weitere Vorsorgemaßnahmen das Risiko von Infektionen unter einer Immunsuppression weiter reduzieren.

Was gibt es Neues bei der Endoskopie und Bildgebung?
Wir können mittlerweile immer präziser Erkrankungen endoskopisch feststellen und einordnen, wodurch sich die Therapiemöglichkeiten enorm erweitern. Dies gilt insbesondere für die Therapie früher Krebsformen im Verdauungstrakt, wo eine endoskopische Abtragung des Tumors oft schon heilen und einen chirurgischen Eingriff unnötig machen kann. Aber auch Störungen in der Funktion der Speiseröhre, wie beispielsweise die Achalasie, können durch gezielte endoskopische Eingriffe in hochspezia­li­sierten Zentren hervorragend behandelt werden.

Sind endoskopische Verfahren dementsprechend im Vormarsch?
Ähnlich wie die Chirurgie ist die Endoskopie nicht nur Personal-, sondern auch Ressourcen-aufwändig. Deswegen war ein großes Thema des Kongresses auch die „green endoscopy“, also Möglichkeiten, Material- und Energieauf­wand bei endoskopischen Eingriffen zu minimieren, um eine nachhalti­gere Medizin der Zukunft zu entwickeln.

Was ist der aktuelle Stand zu Biomarkern, um das potenzielle Ansprechen besser beurteilen zu können?
Die Therapieziele haben sich bei vielen entzündlichen Erkrankungen geändert: Während wir früher damit zufrieden waren, wenn die Beschwerden gebessert waren, so wissen wir inzwischen, dass die langfristige Prognose davon abhän­gt, wie gut es uns gelingt, die Entzündung nachhaltig und möglichst vollständig zu unterdrücken. Gerade im Bereich der entzündlichen Darmerkrankungen ist dies zuletzt deutlich geworden. Auch wenn der ultimative Test die Gewinnung einer Gewebeprobe und die Untersuchung dieser Probe unter dem Mikroskop ist, so kann im Alltag bereits die Untersuchung einer Stuhlprobe auf den Entzündungsmarker Calprotectin sehr gut darüber Auskunft geben, wie gut die Entzündung im Darm unterdrückt ist. Auch bei entzündlichen Lebererkran­kungen, insbesondere der autoimmu­nen Hepatitis, sind Biomarker wie Leberwerte und Immunglobulin G im Blut in der Regel ausreichend, um ein gutes Ansprechen auf die immunsuppressive Therapie anzuzeigen, und kann auf eine Leberpunktion im Verlauf der Erkran­kung fast immer verzichtet werden. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass selbst Narben in der Leber sich zurückentwickeln können, wenn die Entzündung, gemessen an diesen Werten, vollständig unterdrückt wurde

Können Biomarker auch für eine personalisierte Therapie genutzt werden?
Wir können noch nicht zuverlässig vorhersagen, welches Medikament bei welchem Patienten besonders gut ansprechen wird. Hier sind wir alle noch auf der Suche nach entsprechenden spezifischen Biomarkern. Dies wird in einigen Jahren sicherlich möglich sein.

Was war für Sie persönlich das größte Highlight auf dem Kongress?
Die Ismar-Boas Medaille, die wichtigste Auszeichnung unserer Fachgesellschaft, benannt nach dem jüdischen Gründer, der in der Nazi-Zeit emigrieren musste, wurde erstmalig an einen israelischen Wissenschaftler verliehen, den international führenden Mikrobiomforscher Prof. Eran Elinav vom Weizmann-Institute of Science in Rehovot, Israel. Seine Arbeiten öffnen ganz neue Perspektiven im Verständnis des Zusam­menspiels zwischen der Vielfalt der Mikroben in unserem Verdauungstrakt und dem menschlichen Immunsystem sowie deren Beeinflussung durch äußere Faktoren wie die Ernährung. Störungen des Mikrobioms sind bei fast allen Erkrankungen der inneren Organe festzustellen, und häufig sind diese ursächlich zumindest mitbeteiligt.

Werden die Erkenntnisse den Therapie-Algorithmus der Leitlinien verändern?
Durch diese Erkenntnisse eröffnen sich für die Zukunft exzellente Perspektiven, Krankheiten durch die Beeinflussung des inneren Mikrobiom irgendwann sehr gezielt, und sehr nebenwirkungsarm, zu verhindern oder zu behandeln. Dies wird therapierelevant werden und damit auch ein Thema für entsprechende Leitlinien sein.
Angesichts des jüdischen Erbes unser Fachgesellschaft und unseres Landes war es besonders schön, diese Auszeichnung an einen solch exzellenten israelischen Forscher verleihen zu dürfen. Genauso beschämend ist es allerdings jetzt im Nachhinein zu wissen, dass auch Prof. Eran Elinav angesichts der Bedrohungslage zum Militärdienst einberufen wurde und statt jetzt zu forschen sein Land verteidigen muss.

Interview: Elke Engels

Bildquelle: © Pixel-Shot – stock.adobe.com

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