Schätzungen zufolge arbeiten 1-2% der Weltbevölkerung, sprich rund 100 Millionen Menschen, irgendwann in ihrem Leben einmal als Soldaten [1, 2]. Damit sind sie besonders hohen psychischen Belastungen ausgesetzt, die das Potenzial für starke Traumatisierungen mit sich bringen [3]. Traditionell wurde davon ausgegangen, dass das Töten eines anderen Menschen als universelles moralisches Tabu gegen die menschliche Natur verstößt und deswegen immer zu einer Traumatisierung führt [4]. Eine große Studie aus Norwegen mit über 14.600 Kriegsveteranen als Teilnehmern [5] zeigte nun jedoch, dass der Kontext des Tötens entscheidend ist: Wo Kämpfe erwartet werden und die Einsatzregeln klar sind, sind Soldaten hinterher weniger psychisch belastet. Die Studie legt nahe, dass die Übereinstimmung zwischen den Erwartungen an die Mission, den Gruppennormen und der Handlung des Tötens eine entscheidende Rolle für die psychologischen Folgen spielt.
Durchgeführt wurde die Untersuchung vom Leiter der Forschung und Entwicklung am Institut für Militärpsychiatrie der norwegischen Streitkräfte, Andreas Espetvedt Nordstrand, und seinem Team. Sie umfasste 10.605 Libanon-Veteranen und 4053 Afghanistan-Veteranen, wobei nur ein kleiner Teil der Soldaten tatsächlich jemanden getötet hatte. Bei allen Teilnehmenden wurden Depressionen, Schlafstörungen, Angstzustände, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Alkoholkonsum und Lebensqualität erhoben. Auffällig war dabei, dass es für beide Gruppen signifikant unterschiedliche Ergebnisse gab.
„Das Töten eines Menschen im Kampf war ein Schlüsselfaktor bei den Veteranen, die im Libanon gedient hatten. Die Veteranen, die jemanden im Kampf getötet hatten, litten später häufiger unter psychischen Gesundheitsproblemen, erhöhtem Alkoholkonsum und einer verminderten Lebensqualität“, sagte Nordstrand [6]. „Für die Afghanistan-Veteranen hatte das Töten eines Menschen aber keine nachträglichen Auswirkungen auf ihr psychisches Wohlbefinden. Wir konnten bei keiner der untersuchten Variablen einen Trend feststellen.“
Dieses Ergebnis wird durch den großen Unterschied zwischen beiden Missionen erklärt. Während die Aufgabe der Soldaten im Libanon dem Ziel der Friedenssicherung unterlag, war die Mission in Afghanistan gefährlich und beinhaltete mehr Kampfsituationen mit aggressiven Gegnern. In letzteren wurde der Tötungsakt von den Soldaten als „legitimer“ bewertet. Dies sei ein wichtiger Kontextfaktor: „Gruppennormen bestimmen, was die Soldaten als richtig oder falsch wahrnehmen. Die Einhaltung oder Verletzung dieser Normen hat dann Einfluss darauf, wie das Erlebnis hinterher verarbeitet wird“, erklärte Nordstrand.
Die Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der mentalen Gesundheit von Menschen, die durch das Militär in Kriegsregionen eingesetzt werden. Sie betont, dass selbst das Töten einer anderen Person eine Handlung ist, die in einem sozialen Kontext stattfindet. Besondere psychische Belastung, etwa eine Traumatisierung, entstünde demnach dann, wenn Soldaten Handlungen ausführen, die ihre moralischen Überzeugungen verletzen. Ob das Töten als moralisch problematisch wahrgenommen wird, hinge dabei davon ab, ob die Handlung mit den Normen und Werten der jeweiligen Gruppe, etwa den militärischen Einsatzregeln, übereinstimmt.
Julina Pletziger
Zitierte Literatur:
1 Länderdaten. Aktive Truppenanzahl der Streitkräfte weltweit. Verfügbar unter: https://www.laenderdaten.de/militaer/manpower.aspx
2 IMI – Informationsstelle Militarisierung. Reservist*innen an die Front. Verfügbar unter: https://www.imi-online.de/2025/04/14/reservistinnen-an-die-front/
3 Xue C, Ge Y, Tang B et al. A Meta-Analysis of Risk Factors for Combat-Related PTSD among Military Personnel and Veterans. PLoS One 2015; 10(3): e0120270. DOI: 10.1371/journal.pone.0120270
4 Grossman D. On Killing: The Psychological Cost of Learning to Kill in War and Society. Little, Brown and Co 1996
5 Nordstrand AE, Noll LK, Wickham RE et al. Killing in Combat as a Potentially Morally Injurious Event: The Diverging Psychological Impact of Killing on Peacekeepers and Combat-Oriented Troops. Armed Forces & Society 2025; OnlineFirst. DOI: 10.1177/0095327X251321389
6 Bazilchuk N. Killing in Combat Doesn’t Always Harm Soldiers’ Mental Health. NeuroScience News 2025
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