Neuroplastizität ist ein zentrales Konzept der Neurowissenschaften und bildet die Grundlage für Lernen, Gedächtnis und die Anpassungsfähigkeit des Gehirns. Eine aktuelle Studie der University of Pittsburgh stellt nun eine jahrzehntelange Annahme infrage: Die Regulation verschiedener Formen synaptischer Plastizität erfolgt nicht über gemeinsame, sondern über getrennte Übertragungsorte. Diese Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis neuronaler Anpassungsprozesse und potenziell auch für die Therapie neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen.
Im Mausmodell untersuchte das Team um Oliver Schlüter die primäre Sehrinde und differenzierte zwischen spontaner und evozierter synaptischer Übertragung. Während bisher angenommen wurde, dass beide Signalarten an denselben synaptischen Orten und mittels identischer molekularer Mechanismen ablaufen, zeigte die Studie, dass spontane und evozierte Übertragungen an funktionell und entwicklungsbiologisch unterschiedlichen synaptischen Arealen stattfinden. Nach Öffnung der Augen verstärkte sich die evozierte Übertragung weiter, während die spontane Aktivität ein Plateau erreichte – ein Hinweis auf divergierende Regulationsmechanismen im Verlauf der Entwicklung.
Funktionelle Trennung unterstützt Stabilität und Anpassungsfähigkeit
Durch pharmakologische Aktivierung bislang „stiller“ postsynaptischer Rezeptoren konnte die spontane Aktivität gezielt gesteigert werden, ohne die evozierte Übertragung zu beeinflussen. Dies belegt die funktionelle Trennung beider Signalwege. Die Autoren interpretieren diese Organisation als Schlüsselstrategie des Gehirns: Während spontane Aktivität die homöostatische Stabilität sichert, ermöglicht die evozierte Übertragung eine gezielte, erfahrungsabhängige Anpassung (Hebb’sche Plastizität). So kann das Gehirn flexibel auf neue Anforderungen reagieren, ohne die Grundaktivität zu destabilisieren.
Klinische Relevanz und Ausblick
Die Ergebnisse liefern neue Ansatzpunkte für die Erforschung und Behandlung von Erkrankungen, bei denen synaptische Signalwege gestört sind – darunter Autismus, Alzheimer-Erkrankung und Substanzgebrauchsstörungen. Ein besseres Verständnis der getrennten Regulation könnte dazu beitragen, gezieltere Therapien zu entwickeln, die spezifische Signalwege adressieren, ohne die Gesamtfunktion zu beeinträchtigen. Zukünftige Forschung sollte klären, wie diese Mechanismen in anderen Hirnregionen und beim Menschen wirken und inwieweit sie therapeutisch modulierbar sind.
Julina Pletziger
Zur Originalstudie kommen Sie hier.
Yang Y, Wong MH, Huang X et al. Distinct transmission sites within a synapse for strengthening and homeostasis. Science Advances 2025; 11(15): DOI: 10.1126/sciadv.ads5750
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