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Kriminelles Verhalten bei Demenz

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Erschienen in: neuro aktuell

Neurodegenerative Erkrankungen können verschiedene Funktionen des Gehirns beeinträchtigen, vom Gedächtnis bei Alzheimer über das Verhalten, wie bei der frontotemporalen Demenz, bis hin zur sensomotorischen Funktion bei Parkinson. Wenn Menschen aufgrund von Veränderungen in ihrem Verhalten, ihrer Persönlichkeit und ihrer kognitiven Fähigkeiten gegen soziale oder rechtliche Normen verstoßen, können diese Vorfälle erhebliche Auswirkungen auf das familiäre und soziale Umfeld dieser Person haben und zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen.

Ein mutmaßlicher Täter, der sich kaum noch an seinen Namen erinnern kann, mehrere Verkehrsdelikte einer Frau Mitte fünfzig, die völlig unvernünftig ist und ihr Verhalten nicht versteht – sollten solche Fälle vor Gericht gebracht werden? Und wie geht der Staat mit Menschen um, die unbeabsichtigt Gewalttaten begehen? Diese Fragen kommen einem in den Sinn, wenn man solche Beispiele aus der täglichen klinischen Praxis mit Demenzkranken hört.

Wenn Menschen aufgrund von Veränderungen in ihrem Verhalten, ihrer Persönlichkeit und ihrer kognitiven Fähigkeiten gegen soziale oder rechtliche Normen verstoßen, können diese Vorfälle erhebliche Auswirkungen auf das familiäre und soziale Umfeld dieser Person haben und zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Matthias Schroeter und Lena Szabo vom MPI CBS untersuchten dieses Problem in einer breit angelegten Metaanalyse, die 14 Studien mit 236.360 Personen aus verschiedenen Ländern (USA, Schweden und Finnland, Deutschland und Japan) umfasste.

Früher Krankheitsverlauf als Risikofaktor

Ihre systematische Literaturrecherche ergab, dass kriminelles Risikoverhalten im frühen Krankheitsverlauf häufiger auftritt als in der Allgemeinbevölkerung, danach jedoch unter das Bevölkerungsniveau sinkt. Daher könnte erstmals im mittleren Alter begangenes kriminelles Verhalten ein Indikator für eine beginnende Demenz sein, die eine frühestmögliche Diagnose und Therapie erfordert.

„Mit der Metaanalyse, die erstmals systematisch und quantitativ potenzielles kriminelles Verhalten bei Demenzsyndromen untersucht, wollten wir das Bewusstsein für dieses Problem schärfen. Wir hoffen, dass sie zu einem besseren Verständnis der möglichen Auswirkungen solcher Erkrankungen beiträgt, mögliche Ursachen aufzeigt und interdisziplinäre Bemühungen zur Entwicklung von Bewältigungsstrategien fördert“, sagt Matthias Schroeter, Erstautor der Studie.

Das Team zeigt, dass die Prävalenz krimineller Risikoverhaltensweisen bei der Verhaltensvariante der frontotemporalen Demenz (>50 %) am höchsten war, gefolgt von der semantischen Variante der primär progressiven Aphasie (40 %), während sie bei vaskulärer Demenz und Huntington-Krankheit (15 %) sowie bei Alzheimer (10 %) eher gering und bei Parkinson-Syndromen (<10 %) am niedrigsten war.

Betroffene zuvor nie kriminiell auffällig gewesen

„Kriminelles Risikoverhalten bei frontotemporaler Demenz wird höchstwahrscheinlich durch die neurodegenerative Erkrankung selbst verursacht. Die meisten Patienten zeigten zum ersten Mal in ihrem Leben kriminelles Risikoverhalten und hatten zuvor keine Vorstrafen“, erklärt Matthias Schroeter, der die Forschungsgruppe „Kognitive Neuropsychiatrie“ am MPI CBS leitet. „Die Prävalenz scheint bei frontotemporaler Demenz und Alzheimer-Krankheit im frühen Krankheitsverlauf häufiger zu sein als in der Allgemeinbevölkerung vor der Diagnose, vermutlich in Vorstadien wie leichten Verhaltens- oder kognitiven Beeinträchtigungen, nimmt danach jedoch ab und führt schließlich zu einer geringeren Prävalenz bei Demenz nach der Diagnose im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Wir haben auch festgestellt, dass kriminelles Risikoverhalten bei Männern mit Demenz häufiger auftritt als bei Frauen. Nach der Diagnose zeigten Männer viermal häufiger kriminelles Risikoverhalten als Frauen mit frontotemporaler Demenz und siebenmal häufiger als Frauen mit Alzheimer-Krankheit.“

Impulsregulation gestört

In einer zweiten Studie identifizierte die Arbeitsgruppe auch die Veränderungen im Gehirn, die mit kriminellem Verhalten bei frontotemporaler Demenz verbunden sind. Personen, die kriminelles Verhalten zeigten, wiesen eine stärkere Atrophie im Temporallappen auf, was darauf hindeutet, dass kriminelles Verhalten durch eine sogenannte Enthemmung verursacht werden könnte – das heißt durch den Verlust normaler Hemmschwellen oder Hemmungen, was zu einer verminderten Fähigkeit führt, das eigene Verhalten, Impulse und Emotionen zu regulieren. Enthemmung kann sich in impulsivem Handeln äußern, ohne die Konsequenzen zu überdenken, und in einem Verhalten, das für die Situation unangemessen ist.

Gemeinsam gegen das Stigma

Obwohl diese Ergebnisse interessant sind, sollten sie nicht überbewertet werden. „Man muss eine weitere Stigmatisierung von Menschen mit Demenz verhindern. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den meisten Straftaten um geringfügige Vergehen wie unangemessenes Verhalten, Verkehrsdelikte, Diebstahl und Sachbeschädigung handelte, aber auch körperliche Gewalt oder Aggressionen vorkamen. Daher sind Sensibilität für dieses Thema als mögliche Frühsymptome einer Demenz sowie eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von größter Bedeutung. Neben der frühzeitigen Diagnose und Behandlung der Betroffenen muss auch über Anpassungen des Rechtssystems diskutiert werden, wie beispielsweise die Sensibilisierung für Straftaten aufgrund dieser Erkrankungen und die Berücksichtigung der Erkrankungen bei der Verhängung von Strafen und im Strafvollzug“, schließt Matthias Schroeter.

Quelle: Pressemeldung Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (idw, 9.1.25)

Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Prof. Matthias Schroeter, schroet@cbs.mpg.de
Zur Originalpublikation kommen Sie hier.


Bilderquelle: LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com

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