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Innovative Plattformstudie zur Beschleunigung der Depressionsforschung in Europa gestartet

Viele Menschen laufen über einen Platz. Das Bild wirkt verschwommen und melancholisch. In der Mitte steht eine Person mit einer gelben Regenjacke.

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Erschienen in: neuro aktuell

Eine Depression kann jeden treffen. Die Erkrankung ist häufig, oft ist sie schwer. Inzwischen sind Depressionen gut behandelbar, meist in einer Kombination von Psychotherapie und Medikamenten. Dennoch: Es kann einige Zeit dauern, bis die passende Therapie gefunden ist. Nicht jede Medikation schlägt bei jedem Menschen gleich gut an. Forschende an sechs europäischen Universitätsklinika unter der Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben sich zusammengeschlossen, um schneller belastbare Erkenntnisse zu neuen und bekannten Therapien zu gewinnen. Schlüssel soll ein gemeinsames Studiendesign sein, unterstützt in den kommenden vier Jahren durch den Wellcome Trust mit umgerechnet mehr als 13 Millionen Euro.

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO gehören schwere Depressionen zu den Hauptursachen der globalen Krankheitslast. Obwohl es zahlreiche Medikamente zur Behandlung von Depressionen gibt – allein in Deutschland sind rund 30 Antidepressiva zugelassen – kann einigen dieser Patienten trotz mehrfacher Behandlungsversuche nicht dauerhaft geholfen werden. Woran liegt das und wie lässt sich für die jeweiligen Patienten schneller herausfinden, was wirklich hilft? Systematisch und im Schulterschluss suchen Forschende an sechs Häusern der European University Hospital Alliance (EUHA) im Projekt PEARLDIVER nach Antworten.

Klinische Studien sind die Basis einer evidenzbasierten Medizin. Allerdings sind viele der durchgeführten Studien nicht aussagekräftig genug, um sichere Rückschlüsse auf die klinische Praxis zu ziehen. Verfügbare Behandlungen sind häufig nur bei einem Teil der Patienten wirksam und die Zulassung neuer Therapeutika liegt bei psychischen Erkrankungen hinter denen anderer medizinischer Bereiche wie Onkologie, Infektiologie oder Neurologie.

„Für depressive Patienten, bei denen die erste Behandlung nicht wirkt, gibt es einen großen Bedarf an neuen, sicheren und nachweislich wirksamen Therapien“, konstatiert Prof. Christian Otte, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Benjamin Franklin der Charité. Der ärztliche Leiter des europäischen Großprojekts setzt große Hoffnungen in das neue und strukturierte Vorgehen: „Unsere Plattformstudie wird die Entwicklung und Prüfung solcher Behandlungen erheblich beschleunigen. Gleichzeitig können wir schneller klären, welche der bereits verfügbaren Therapien individuell am besten geeignet ist.“

Um die Perlen der Depressionsforschung ausfindig und neue Medikamente zügig verfügbar zu machen, setzen die Forschenden auf die hocheffiziente Methodik einer Plattformstudie. Während neue oder bestehende Behandlungsansätze bisher in Einzelstudien bewertet wurden, bei denen Teilnehmende nach dem Zufallsprinzip der Interventions- oder einer Kontrollgruppe zugeteilt wurden, kommen dabei eine gemeinsame Infrastruktur und eine gemeinsame Kontrollgruppe zur Prüfung vieler Therapieansätze zum Einsatz, wobei das Zufallsprinzip der Gruppenzuteilung erhalten bleibt.

„Klinische Studien sind sehr ressourcenintensiv und aufwändig. Bislang werden die komplette Infrastruktur und Logistik für jede Studie immer wieder von Neuem aufgebaut. Man könnte das bildlich damit vergleichen, für jedes Fußballspiel ein neues Stadion zu bauen. Mit PEARLDIVER gehen wir einen anderen Weg: Wir bauen im übertragenen Sinne einmal gemeinsam ein großes Fußballstadion und diese Infrastruktur können dann alle Partner für nahezu unbegrenzt viele Spiele – oder eben Studien – nutzen“, erklärt der Professor für Klinische Neurowissenschaften an der Charité und wissenschaftlicher Leiter des Projektes Stefan Gold. „Neben der Geschwindigkeit steigen auch Aussagekraft und Vergleichbarkeit der einzelnen Studien.“

Ziel ist es, in den kommenden vier Jahren eine europaweite Forschungsinfrastruktur aufzubauen, mithilfe derer solide Erkenntnisse entsprechend höchsten wissenschaftlichen Standards in Vergleichen von Studien- und Kontrollgruppen zu neuen und bekannten Behandlungsansätzen gewonnen werden können. Dabei dient das erste Jahr insbesondere dem Aufbau der Plattform. Ihre Eignung und Effizienz wird die Plattform dann bei der Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit zweier neu für die Depression angewandter Medikamente unter Beweis stellen. Erste Patienten sollen 2026 in Studien aufgenommen werden.

Plattformstudien werden bereits erfolgreich in anderen medizinischen Bereichen, beispielsweise in der onkologischen Forschung, eingesetzt. Neu ist dieser Ansatz auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit. Ebenfalls neu ist, dass Betroffene als Kooperationspartner das Studiendesign mitgestaltet haben. Die Vertreterin der Patienten im Projekt, Fanni-Laura Mäntylä, sagt: „Wir wollen gemeinsam bessere Lösungen dafür finden, wie klinische Studien im Bereich der psychischen Gesundheit konzipiert und durchgeführt werden, wie die Behandlung psychischer Erkrankungen weiterentwickelt und Menschen mit psychischen Problemen besser geholfen werden kann.“

Da mehrere Behandlungen gleichzeitig geprüft werden können, ist eine wieder verwendbare Infrastruktur äußerst effizient. Die Belastung für Studienteilnehmende verringert sich. Behördliche und ethische Genehmigungsprozesse verkürzen sich. Zwischenanalysen lassen schnelle Rückschlüsse darüber zu, ob eine Behandlung erfolgversprechend sein wird. Offenkundig unwirksame Studienarme können rasch eingestellt werden.

„Der innovative Ansatz einer Plattformstudie ist insbesondere deshalb interessant, weil er die Erprobung neuer Therapien für Depressionen ressourcenschonender und einheitlicher gestaltet. Das Projekt wird Forschenden helfen, gemeinsam schneller Antworten darauf zu finden, ob Behandlungen wirksam sind und für wen sie sich am besten eignen“, betont Dr. Kim Donoghue, Senior Research Manager bei Wellcome. Vielleicht kann die europaweit größte Depressionsstudie zugleich auch Modell sein für andere Erkrankungen auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit.


Kontakt
Prof. Christian Otte
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Campus Benjamin Franklin
Charité – Universitätsmedizin Berlin
T: +49 30 450 517 501

Bilderquelle: ©M2A

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