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Impfnutzen vs. Impfkomplikationen

Darstellung einer Impfung: Ein Arzt hält eine Impfspritze an den Oberarm eines Patienten.

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Impfnutzen vs. Impfkomplikationen

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Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

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Erschienen in: neuro aktuell

Aktuell wird der Nutzen von Impfungen angezweifelt wie selten zuvor und Impfprogramme geraten zunehmend in Misskredit – wohl auch, weil in der öffentlichen Wahrnehmung und medialen Berichterstattung zu sehr auf seltene Komplikationen und zu wenig auf den Nutzen von Impfungen fokussiert wird. Erschwerend kommt hinzu, dass durch politische Agitation zunehmend wissenschaftliche Fakten negiert und Studienergebnisse grundlos angezweifelt werden. Neurologinnen und Neurologen zeigen sich besorgt, zumal auch errungene Impferfolge im Kampf gegen gefährliche Erreger damit aufs Spiel gesetzt werden.

Der Erfolg von Impfungen lässt sich am besten am Beispiel der Pocken-Impfung verdeutlichen: Trotz Vorbehalten und Rückschlägen konnte die Pockenerkrankung, die noch im 20. Jahrhundert 300 Millionen Todesfälle gefordert hat, weltweit ausgerottet werden. Ein medizinischer Meilenstein, der sich auch „rechnet“: Den Kosten des WHO-Impfprogramms von 300 Millionen US-Dollar stand über viele Jahre die Einsparung von jährlich 1 Milliarde US-Dollar gegenüber.

Neuroinfektiologische Erkrankungen: Polio, bakterielle Meningitis, FSME und Co.

Für die Neurologie von Bedeutung ist eine weitere impfpräventable Erkrankung, die fast vor der Ausrottung steht: die Poliomyelitis. Bis auf wenige verbliebene Fälle in Afghanistan und Pakistan durch den Poliovirus Typ 1 konnte die Kinderlähmung durch Wildtypviren mithilfe globaler Impfprogramme ausgerottet werden. Allerdings zeigt sich, dass für eine globale Ausrottung eine massive Kraftanstrengung notwendig ist und Lücken in der Durchimpfung weltweit zu Rückschlägen im Kampf gegen die Poliomyelitis führen können.

Im Bereich der bakteriellen Meningitis konnte durch die Impfung gegen Haemophilus-Influenza Typ B die Erkrankung sehr stark zurückgedrängt werden und in Mitteleuropa und insbesondere Deutschland finden sich jährlich nur noch Einzelfälle an bakteriellen Meningitiden, die durch Haemophilus-Influenza hervorgerufen werden. Bei den meisten Fällen handelt es sich um die seltenen Serotypen, die nicht im Impfstoff enthalten sind.

Auch in Bezug auf Neisseria meningitidis haben die Impfungen einen deutlichen Effekt auf die Inzidenz invasiver Infektionen gehabt. In Deutschland waren in den letzten Jahren vor allem Erkrankungen durch die Serotypen B und C aufgetreten. Nachdem bereits seit Längerem eine Impfempfehlung gegen Serotyp C bestand, ist die Impfung gegen Typ B noch nicht allzu lange verfügbar und wird seit 2024 von der STIKO empfohlen. Interessanterweise zeigt sich jedoch, dass es seit der COVID-19-Pandemie zu einer Zunahme von Erkrankungsfällen durch den Serotyp Y gekommen ist. Die STIKO hat gerade reagiert und empfiehlt seit 30.10.2025 für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren eine Impfung mit einem quadrivalenten Konjugatimpfstoff gegen die Serogruppen A, C, W und Y – eine richtige Entscheidung.

Eine weitere impfpräventable und in Deutschland heimische Infektion des zentralen Nervensystems ist die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Bis zu 20 % der Infektionen verlaufen schwer, es steht keine kausale Therapie zur Verfügung, Folgeschäden sind bei Patientinnen und Patienten mit schwerem Verlauf nicht selten. „Die Impfquoten sind bisher noch nicht ausreichend – es erscheint dringend erforderlich, dass Personen mit möglichem Kontakt zu Zecken im süddeutschen Raum (inklusive Reisende) noch besser über die Impfmöglichkeiten gegen FSME aufgeklärt werden. Die Schutzwirkung der vollständigen Impfung beträgt 97 %“, erklärt Prof. Dr. Matthias Klein, München, Sprecher der DGN-Kommission Neuroinfektiologie.

Gefahren von Impflücken: Masern im Aufwärtstrend

Eine nicht ausreichend hohe Impfquote bezüglich Masern-Infektionen hat in den letzten Jahren weltweit und in einigen Bereichen der USA deutlich gemacht, wie schnell Impferfolge in Richtung einer Erregerausrottung zunichte gemacht werden können [1]. Die abnehmende Impfbereitschaft der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten bereitet hier Anlass zur Sorge – so kam es in mehreren amerikanischen Gemeinden mit niedriger Masern-Impfquote zu signifikanten Ausbrüchen. Weltweit verstarben im Jahr 2023 insgesamt 107.500 Menschen an Masern, hauptsächlich Kinder [2].

Das Argument der Masern-Impfgegner, die Vakzinierung führe zu Autismus, ist wissenschaftlich widerlegt. Bereits 2002 zeigte eine große dänische Studie [3] mit über 500.000 Kindern, dass es in der geimpften Gruppe nicht zu mehr Autismusfällen kam als bei Ungeimpften. Bis heute gibt es keine Studie, die Gegenteiliges belegt. „Wir stehen vor dem Problem, dass aufgrund von Mythen wissenschaftliche Fakten negiert werden. Damit kämpft die Impfmedizin übrigens schon, seitdem es sie gibt. Auch bei der Pocken-Impfung gab es heftige Widerstände, die u. a. mit Argumenten wie mangelnde Sicherheit oder ungewollte Einmischung in die Natur begründet wurden“, erklärt Klein.

Das Monitoring funktioniert, bei Impfkomplikationen wird in Deutschland umgehend gehandelt

An die Entwicklung von Vakzinen sind hohe Sicherheitsanforderungen geknüpft. Sie durchlaufen wie Medikamente die Phasen der klinischen Prüfungen, die Gesundheitsbehörden schauen sehr genau auf mögliche Sicherheitssignale. Auch die behördliche Überwachung von Impfprogrammen (in Deutschland durch das Meldeportal des Paul-Ehrlich-Instituts) bietet verlässlichen Schutz: Kommt es unerwartet zu Impfkomplikationen, wird schnell reagiert: Als der Impfstoff Pandemrix, der während der Schweinegrippe-Pandemie 2009 verwendet wurde, mit der Auslösung von Narkolepsien in Verbindung gebracht wurde, wurde gehandelt. Seit 2012 wird er in Deutschland nicht mehr verwendet. Nach dem Auftreten von Sinusvenenthrombosen nach Gabe eines Vektorimpfstoffs (Vaxzevria) gegen SARS-CoV-2 bei jüngeren Menschen im April 2021 empfahl das Robert Koch-Institut bereits Ende April, also binnen weniger Wochen, den Impfstoff nicht mehr bei Personen unter 60 Jahren einzusetzen. Seit dem 1. Dezember 2021 wird der Impfstoff in Deutschland gar nicht mehr verwendet.

Neurologische Impfreaktionen vs. Impfkomplikation am Beispiel von SARS-CoV-2

Während Impfreaktionen in der Regel harmlos, aber häufig sind, sind schwere Nebenwirkungen nach einer Impfung äußerst selten. Beispielsweise konnten nach der SARS-CoV-2-Impfung mit den mRNA-Impfstoffen keine Zusammenhänge zwischen der Impfung und dem Auftreten von Guillain-Barré-Syndromen (GBS) oder von demyelinisierenden Erkrankungen gefunden werden. „Mittlerweile liegen dazu viele Studien an mehreren Millionen geimpften Personen vor. Aus neurologischer Sicht gilt die Impfung als sicher“, schlussfolgert Prof. Klein.

Der Experte betont, dass Erkrankungen nach einer Impfung nur sehr selten Impffolgen seien. „Viele Krankheiten treten sporadisch, also ohne benennbaren Grund, auf. Menschen haben aber das Bedürfnis nach Erklärungen. Eine typische Frage nach einer lebensverändernden Diagnose lautet: ‚Warum gerade ich?‘ Eine erfolgte Impfung kann als einfache Begründung dienen, nach der dann gern gegriffen wird.“ Wie der Experte darlegt, wurde z. B. 2021 von Impfgegnern kolportiert, dass die mRNA-Impfung krebsauslösend sei. Fakt ist aber, dass die Zahl von Krebsneudiagnosen bis heute relativ stabil geblieben ist. Ähnliches gilt für Schlaganfälle oder Herzinfarkte.

„Dennoch erlebe ich immer wieder, dass sich Menschen mit diesen per se häufigen Krankheiten als Impfopfer verstehen, obwohl es keinen wissenschaftlichen Hinweis auf eine Kausalität gibt“, erklärt Prof. Klein. „Man kann nicht jede Krankheit, die nach einer Impfung auftritt, als Impffolge deklarieren.“ Wie der Experte einräumt, gibt es aber natürlich auch seltene Fälle von Impfkomplikationen und wenn ein wissenschaftlicher Nachweis der Ursache-Wirkungs-Kette besteht, haben die Betroffenen Anspruch auf Unterstützung durch die Solidargemeinschaft, z. B. in Form einer Versorgungsrente, wie sie z. B. den Narkolepsie-Betroffenen nach Schweinegrippe-Impfung zugestanden wurde.

Der Nutzen von Impfungen wird oft nicht wahrgenommen

Natürlich würde zu Recht ein großes Augenmerk der öffentlichen Wahrnehmung auf die Sicherheit von Impfprogrammen gelegt, so Prof. Klein. Für die Betroffenen seien Impffolgen ein schweres Schicksal. Doch durch die Fokussierung auf die negativen Folgen komme es zu einem Ungleichgewicht in der öffentlichen Wahrnehmung. So gebe es über den Nutzen von Impfungen wenig Berichterstattung. Eine Studie der WHO [4] hatte z. B. gezeigt, dass in Europa durch das COVID-19-Impfprogramm zwischen Dezember 2020 und März 2023 insgesamt 1,4 Millionen Todesfälle verhindert werden konnten. Auch kommt es immer wieder vor, dass unerwartet positive Folgen einer Impfung in Studien entdeckt werden. So kann eine Zoster-Impfung nicht nur vor Gürtelrose schützen, sondern möglicherweise auch das Demenzrisiko reduzieren [5]. Für Aufsehen sorgte vor wenigen Tagen eine Meldung vom europäischen Krebskongress, dass die mRNA-Impfung gegen SARS-CoV-2 die Wirkung von Immuntherapien gegen Krebs verbessern könnte, die Studie wurde hochkarätig in „Nature“ publiziert [6].

„Auch über die Erfolge von Impfungen muss geredet werden“, schlussfolgert der Experte.

Quelle: Pressemeldung Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (idw, 11.11.25)

Referenzen

[1] Bidari S, Yuan H, Yang W. Assessing the transmissibility and outbreak risk of measles in the United States, 2024 – 2030. J Infect Dis. 2025 Jun 25:jiaf342. doi: 10.1093/infdis/jiaf342.
[2] https://www.cdc.gov/global-measles-vaccination/data-research/index.html
[3] Madsen KM, Hviid A, Vestergaard M, Schendel D, Wohlfahrt J, Thorsen P, Olsen J, Melbye M. A population-based study of measles, mumps, and rubella vaccination and autism. N Engl J Med. 2002 Nov 7;347(19):1477-82. doi: 10.1056/NEJMoa021134. PMID: 12421889.
[4] Meslé MMI, Brown J, Mook P et al. Estimated number of lives directly saved by COVID-19 vaccination programmes in the WHO European Region from December, 2020, to March, 2023: a retrospective surveillance study. Lancet Respir Med. 2024 Sep; 12(9):714-727. doi: 10.1016/S2213-2600(24)00179-6.
[5] Eyting M, Xie M, Heß S, Geldsetzer P. Causal evidence that herpes zoster vaccination prevents a proportion of dementia cases. medRxiv [Preprint]. 2023 May 25:2023.05.23.23290253. doi: 10.1101/2023.05.23.23290253. Update in: Nature. 2025 May;641(8062):438-446. doi: 10.1038/s41586-025-08800-x.
[6] Grippin AJ, Marconi C, Copling S et al. SARS-CoV-2 mRNA vaccines sensitize tumours to immune checkpoint blockade. Nature. 2025 Oct 22. doi: 10.1038/s41586-025-09655-y.

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