Neurologie und Psychiatrie » Demyelinisierende Erkrankungen » Multiple Sklerose

»

Geschlechtsspezifische Besonderheiten bei der Therapie von MS-Patientinnen

Schwangere Frau im Rollstuhl, Hände auf den Bauch gelegt. Orange geblümtes Kleid

Geschlechtsspezifische Besonderheiten bei der Therapie von MS-Patientinnen

Kongressberichte

Neurologie und Psychiatrie

Demyelinisierende Erkrankungen

Multiple Sklerose

mgo medizin

mgo medizin

Autor

3 MIN

Erschienen in: neuro aktuell

Dimyelinisierende Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS) werden bei Frauen mit zunehmender Inzidenz beobachtet. Frauen sind etwa dreimal häufiger betroffen als Männer. Expertinnen beleuchteten während des diesjährigen EAN die Gründe dafür sowie die geschlechtsspezifischen Besonderheiten der Erkrankung. Dr. med. Emine Rabia Koc, Türkei, ging auf Kinderwunsch und Schwangerschaft bei MS ein, Dr. med. Natalia Szejko, Polen, auf Risikofaktoren für gynäkologische Krebserkrankungen und das Therapiemanagement bei MS-Patientinnen mit onkologischen Erkrankungen.

Szejko zufolge sei es wichtig zu wissen, dass Frauen mit MS im Gegensatz zu Männern bestimmte Symptome häufiger und mit unterschiedlicher Intensität erleben können. Beispiele dafür sind Fatigue, Blasen- und Darmfunktionsstörungen, kognitive Beeinträchtigungen, sexuelle Dysfunktion oder Depressionen und Angstzustände. Eines der Gründe dafür sind hormonelle Faktoren, beispielsweise in der prämenstruellen Phase oder in der Schwangerschaft.

Koc betonte, dass Schwangerschaften unter der Erkrankung kein Problem seien, wenn das Therapiemanagement darauf abgestimmt sei. Deshalb sollte mit den Patientinnen das Thema Kinderwunsch bereits bei Therapiebeginn besprochen werden. Geplante Schwangerschaften seien besser händelbar als ungeplante, dennoch liegen bei circa 40% der Frauen ungeplante Schwangerschaften vor. In beiden Fällen sei ein multimodales Therapiekonzept gefragt. Der Expertin zufolge konnte in Studien gezeigt werden, dass unter der Schwangerschaft das Schubrisiko aufgrund der hormonellen Veränderungen abnimmt. Dafür sei die immunmodulierende Wirkung von Östrogen und Progesteron verantwortlich. Nach der Geburt steige das Schubrisiko allerdings wieder an.

Unter der Schwangerschaft sollte die Therapie auf die Patientin abgestimmt werden. Eine mögliche Medikation sei nach Risiko-Nutzen-Abwägung beispielsweise durch Interferone (Beta-Interferon 1a/1b) und Glatirameracetat geben. Sie zählen zu den sichersten Medikamenten während der Schwangerschaft und haben kein teratogenes oder abortives Potenzial. Laut einer prospektiven Kohortenstudie1 waren auch andere krankheitsmodifizierende Therapien („Disease Modifying Therapy“, DMT) nicht mit einem erhöhten Risiko an Schwangerschaftskomplikationen verbunden. Allerdings steigert der Studie zufolge die Exposition mit S1P-Modulatoren, Natalizumab und Anti-CD20-Antikörpern die Wahrscheinlichkeit für ein niedriges Geburtsgewicht und ein verlangsamtes intrauterines Kindswachstum.

Szejko ging der Frage nach, ob DMTs das Risiko für gynäkologische Krebserkrankungen erhöhen können. Der Expertin zufolge sei das Gesamtkrebsrisiko bei MS-Patientinnen gegenüber der Gesamtbevölkerung nicht generell erhöht, allerdings gebe es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko von Gebärmutterhalsdysplasien oder Gebärmutterhalskarzinomen. Deshalb sei eine HPV-Impfung vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie unbedingt zu empfehlen. Die Impfung sei allerdings auch unter der Therapie möglich, möglichst in einem Therapieintervall, in dem eine ausreichende Immunantwort möglich ist. Die Impfung beeinflusst aktuellen Daten zufolge den Krankheitsverlauf nicht negativ.

Es gebe laut Szejko auch Daten zu anderen leicht erhöhten Krebsrisiken (Brustkrebs, Hautkrebs) unter der DMT-Therapie. Deshalb solle man mit der Patientin einen individuellen, auf die Therapie abgestimmten Screening Plan erstellen, in dem das persönliche Risikoprofil berücksichtigt wird. Dabei spiele beispielsweise auch das Alter, die Familiengeschichte und die Lebensführung mit ein. Gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen oder Haut- und Darmkrebs-Screenings sollten beispielsweise empfohlen werden. Ebenso sollten die Betroffenen zu Frühsymptomen einer Krebserkrankung aufgeklärt werden.  

Elke Engels

Quelle
EAN 22.06.25, Helsinki, Finnland: Underrecognized issues in females with demyelinating diseases

Literaturangabe
1 Bast N et al: Einfluss krankheitsmodifizierender Therapien auf den Schwangerschaftsverlauf bei Multipler Sklerose: Eine prospektive Kohortenstudie des deutschen Multiple-Sklerose- und Schwangerschaftsregisters, in: The Lancet Regional Health Europe, 2024. https://www.thelancet.com/journals/lanepe/article/PIIS2666-7762(24)00306-5/fulltext

Bildquelle: © GrayFrog – stock.adobe.com

Schlagworte zu diesem Beitrag

Ein Beitrag von

mgo medizin

mgo medizin

Autor

Autor des Beitrags

Weitere Beiträge zu diesem Thema

Wissenschaftler untersucht eine Cannabispflanze

Mehr Psychosen nach Legalisierung von Cannabis

News

Die Legalisierung von Cannabis könnte für mehr Psychosen und Aufnahmen in Kliniken verantwortlich sein. Dies legt eine Pilotuntersuchung am Lehrstuhl und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatik der Universität Augsburg unter Leitung von Prof. Dr. Alkomiet Hasan nahe.

Neurologie und Psychiatrie

Psychische Erkrankungen

Schizophrenie

Beitrag lesen
Die Reichstagskuppel des Deutschen Bundestages in Berlin, erleuchtet in der Dämmerung

Budgetkürzungen beschneiden die psychiatrische Versorgung

Berufspolitik

Die im November 2025 vom Bundestag beschlossenen Budgetkürzungen zur Stabilisierung der GKV-Beiträge bedeuten laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) eine erhebliche zusätzliche Belastung für die Krankenhäuser in einer Phase der Unsicherheit durch die Krankenhausreform.

Neurologie und Psychiatrie

Psychische Erkrankungen

Allgemeine Aspekte

Beitrag lesen
Eine Ärztin macht sich Notizen am Schreibtisch. Vor ihr stehen ein anatomisches Herz-Modell und das Wort "Cardiomyopathy" in Holzbuchstaben.

Zeit ist Herz: Aufdeckung der ATTR-Kardiomyopathie

Fachartikel

Die Transthyretin-Amyloidose (ATTR) ist eine fortschreitende, systemische Erkrankung, die durch die Ablagerung fehlgefalteter Transthyretin-Proteine (TTR) in verschiedenen Organen gekennzeichnet ist. Je nach genetischer Form, hereditär (ATTRv) oder Wildtyp (ATTRwt), und individueller Krankheitsausprägung kann die Symptomatik sehr unterschiedlich sein.

Neurologie und Psychiatrie

Demyelinisierende Erkrankungen

Polyneuropathie

Beitrag lesen