Dimyelinisierende Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS) werden bei Frauen mit zunehmender Inzidenz beobachtet. Frauen sind etwa dreimal häufiger betroffen als Männer. Expertinnen beleuchteten während des diesjährigen EAN die Gründe dafür sowie die geschlechtsspezifischen Besonderheiten der Erkrankung. Dr. med. Emine Rabia Koc, Türkei, ging auf Kinderwunsch und Schwangerschaft bei MS ein, Dr. med. Natalia Szejko, Polen, auf Risikofaktoren für gynäkologische Krebserkrankungen und das Therapiemanagement bei MS-Patientinnen mit onkologischen Erkrankungen.
Szejko zufolge sei es wichtig zu wissen, dass Frauen mit MS im Gegensatz zu Männern bestimmte Symptome häufiger und mit unterschiedlicher Intensität erleben können. Beispiele dafür sind Fatigue, Blasen- und Darmfunktionsstörungen, kognitive Beeinträchtigungen, sexuelle Dysfunktion oder Depressionen und Angstzustände. Eines der Gründe dafür sind hormonelle Faktoren, beispielsweise in der prämenstruellen Phase oder in der Schwangerschaft.
Koc betonte, dass Schwangerschaften unter der Erkrankung kein Problem seien, wenn das Therapiemanagement darauf abgestimmt sei. Deshalb sollte mit den Patientinnen das Thema Kinderwunsch bereits bei Therapiebeginn besprochen werden. Geplante Schwangerschaften seien besser händelbar als ungeplante, dennoch liegen bei circa 40% der Frauen ungeplante Schwangerschaften vor. In beiden Fällen sei ein multimodales Therapiekonzept gefragt. Der Expertin zufolge konnte in Studien gezeigt werden, dass unter der Schwangerschaft das Schubrisiko aufgrund der hormonellen Veränderungen abnimmt. Dafür sei die immunmodulierende Wirkung von Östrogen und Progesteron verantwortlich. Nach der Geburt steige das Schubrisiko allerdings wieder an.
Unter der Schwangerschaft sollte die Therapie auf die Patientin abgestimmt werden. Eine mögliche Medikation sei nach Risiko-Nutzen-Abwägung beispielsweise durch Interferone (Beta-Interferon 1a/1b) und Glatirameracetat geben. Sie zählen zu den sichersten Medikamenten während der Schwangerschaft und haben kein teratogenes oder abortives Potenzial. Laut einer prospektiven Kohortenstudie1 waren auch andere krankheitsmodifizierende Therapien („Disease Modifying Therapy“, DMT) nicht mit einem erhöhten Risiko an Schwangerschaftskomplikationen verbunden. Allerdings steigert der Studie zufolge die Exposition mit S1P-Modulatoren, Natalizumab und Anti-CD20-Antikörpern die Wahrscheinlichkeit für ein niedriges Geburtsgewicht und ein verlangsamtes intrauterines Kindswachstum.
Szejko ging der Frage nach, ob DMTs das Risiko für gynäkologische Krebserkrankungen erhöhen können. Der Expertin zufolge sei das Gesamtkrebsrisiko bei MS-Patientinnen gegenüber der Gesamtbevölkerung nicht generell erhöht, allerdings gebe es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko von Gebärmutterhalsdysplasien oder Gebärmutterhalskarzinomen. Deshalb sei eine HPV-Impfung vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie unbedingt zu empfehlen. Die Impfung sei allerdings auch unter der Therapie möglich, möglichst in einem Therapieintervall, in dem eine ausreichende Immunantwort möglich ist. Die Impfung beeinflusst aktuellen Daten zufolge den Krankheitsverlauf nicht negativ.
Es gebe laut Szejko auch Daten zu anderen leicht erhöhten Krebsrisiken (Brustkrebs, Hautkrebs) unter der DMT-Therapie. Deshalb solle man mit der Patientin einen individuellen, auf die Therapie abgestimmten Screening Plan erstellen, in dem das persönliche Risikoprofil berücksichtigt wird. Dabei spiele beispielsweise auch das Alter, die Familiengeschichte und die Lebensführung mit ein. Gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen oder Haut- und Darmkrebs-Screenings sollten beispielsweise empfohlen werden. Ebenso sollten die Betroffenen zu Frühsymptomen einer Krebserkrankung aufgeklärt werden.
Elke Engels
Quelle
EAN 22.06.25, Helsinki, Finnland: Underrecognized issues in females with demyelinating diseases
Literaturangabe
1 Bast N et al: Einfluss krankheitsmodifizierender Therapien auf den Schwangerschaftsverlauf bei Multipler Sklerose: Eine prospektive Kohortenstudie des deutschen Multiple-Sklerose- und Schwangerschaftsregisters, in: The Lancet Regional Health Europe, 2024. https://www.thelancet.com/journals/lanepe/article/PIIS2666-7762(24)00306-5/fulltext
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