Zur Erhebung der Diagnose wurde der Videotest CAMI neben einem standardisierten Elternfragebogen (Skala zur Erfassung sozialer Reaktivität, »social responsiveness scale« [SRS]) sowie die diagnostische Beobachtungsskala für autistische Störungen – 2 (autism diagnostic observation schedule second edition [ADOS-2]) angewendet. Für ADHS wurde die Bewertungsskala von Conners herangezogen. Des Weiteren wurden die motorischen Fähigkeiten (physische und neurologische Untersuchung von »soft signs«) beurteilt. Die Spezifität der CAMI-Methode für ASS wurde mittels vier verschiedener analytischer Ansätze nachgewiesen: diagnostische Gruppenvergleiche, nuancierte Dimensionsmetriken, ROC(receiver operating curve)- und Support-Vector-Machine(SVM)-Analysen.
CAMI unterscheidet ASS von Neurotypie mit einer 80 % Richtig-positiv-Rate
Unabhängig von gleichzeitig vorhandener ADHS zeigten Kinder mit ASS eine geringere Leistung beim CAMI-Videotest als neurotypische Kinder (p<0,0001; korrigierte R2 = 0,28). Bei neurotypischen Kindern und solchen mit ADHS war die Leistung ähnlich. ROC- und SVM-Analysen zeigten, dass mittels CAMI zwischen ASS und sowohl Neurotypie (80 % Richtig-positiv-Rate) als auch ADHS (70 % Richtig-positiv-Rate) unterschieden werden kann. Die Erfolgsrate lag signifikant über dem Zufall. Ein Chi-Quadrat-Test mit Yates Korrektur zeigte, dass obwohl Betroffene mit ASS mit Signifikanz über dem Zufall korrekt klassifiziert wurden (verglichen mit neurotypischen Kindern: χ2(1) = 15,15, p< 0,0001, verglichen mit Kindern mit ADHS: χ2(1) = 6,41, p = 0,01), die Zuordnung von Individuen mit ADHS gegenüber solchen mit Neurotypie nicht signifikant vom Zufall lag (χ2(1) = 0,25, p = 0,62).
Bei Kindern mit ASS war eine geringe Leistung im CAMI-Videotest vermehrt mit autistischen Merkmalen assoziiert. Hier waren vor allem die Merkmale, welche mit ADOS-2 erfasst wurden, wie soziale Affekte und eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, betroffen (korrigierte R2 = 0,23), jedoch nicht mit ADHS-Merkmalen oder motorischen Fähigkeiten. Demgegenüber war die Leistung beim Videotest von Kindern mit ADHS und neurotypischen Kindern kaum unterscheidbar (60 % Richtig-positiv-Rate).
Santra et al. konnten anhand der Videotestmethode CAMI zeigen, dass motorische Nachahmungsschwierigkeiten im Besonderen bei Kindern mit ASS auftreten, jedoch nicht bei ADHS, verglichen mit neurotypischen Kindern. Die Forschungsgruppe hebt hervor, dass nicht Unaufmerksamkeit oder geringe motorische Fähigkeiten, sondern autistische Merkmale, im Besonderen die sozial-kommunikativen Fähigkeiten, mit Nachahmung bei ASS verbunden sind.
Eine Limitation der Studie war, dass die Anzahl der Probandinnen und Probanden in der Gruppe der Kinder mit ausschließlich ASS und in der ADHS-Gruppe gering war. Dies könnte die fehlende statistische Signifikanz bei den Unterschieden zwischen der ADHS-Gruppe und der ASS-Gruppe (ohne ADHS) erklären. Lt. den Forschenden sollte der Videotest CAMI für Studien mit jüngeren Kindern adaptiert werden, um eine frühere Diagnose zu ermöglichen.
Fazit
Santra et al. konnten in Ihrer Querschnittsstudie zeigen, dass mittels des kostengünstigen Videotests »CAMI« nicht nur zwischen ASS und Neurotypie differenziert werden kann, sondern dass diese Methode auch ASS von gleichzeitig auftretendem ADHS unterscheiden kann. Lt. der Forschungsgruppe liefern ihre Ergebnisse die Grundlage für eine Etablierung des Videotests CAMI als spezifischer Biomarker für ASS.
Text: Dr. med. Charlotte Gröschel, PhD
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