Diabetologie » Komorbiditäten von Diabetes

»

Neue Studie: MC4R-Mutation schützt trotz Adipositas vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Arzt der Frau abhört

Neue Studie: MC4R-Mutation schützt trotz Adipositas vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen

News

Diabetologie

Komorbiditäten von Diabetes

mgo medizin

mgo medizin

Autor

3 MIN

Erschienen in: diabetes heute

Eine internationale Forschungsgruppe unter Federführung der Universitätsmedizin Ulm hat einen überraschenden Zusammenhang zwischen einer genetischen Mutation und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei adipösen Menschen aufgedeckt. Trotz starkem Übergewicht weisen Betroffene mit einer seltenen Mutation im Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R) niedrigere Cholesterinwerte und ein reduziertes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen auf. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal Nature Medicine veröffentlicht.

Die Forschenden analysierten die genetischen und metabolischen Daten von über 7.700 Menschen mit frühkindlicher, extremer Adipositas. Bei etwa 4 % dieser Betroffenen fanden sie MC4R-Mutationen. Auffällig war, dass Betroffene trotz eines ähnlich hohen Body-Mass-Index wie Kontrollpersonen signifikant niedrigere Werte für Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin und Triglyzeride aufwiesen. Auch der Blutdruck war günstiger. Besonders relevant: Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen war bei Erwachsenen mit MC4R-Mutation deutlich reduziert – ein überraschender Befund, da Adipositas üblicherweise als starker Risikofaktor gilt.

Hintergrund: MC4R und Fettstoffwechsel

Der MC4R ist ein appetitregulierender Rezeptor im Gehirn. Mutationen in diesem Gen sind eine der häufigsten Ursachen für genetisch bedingte Adipositas, insbesondere bei Kindern. In der aktuellen Studie wurden genetische Daten von 7.719 Personen mit frühkindlicher, extremer Adipositas analysiert. Bei 316 Betroffenen und 461 Familienmitgliedern wurden Veränderungen im MC4R-Gen festgestellt. Im Vergleich zu mehr als 330.000 Kontrollpersonen zeigte sich: Trotz ähnlich hohem BMI hatten Menschen mit MC4R-Mutation signifikant bessere Blutfettwerte und einen niedrigeren Blutdruck. Besonders auffällig war die Senkung von Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin („schlechtes Cholesterin“) und Triglyzeriden.

Die Abbildung (siehe unten) illustriert die komplexe Interaktion zwischen Gehirn, Leber und Fettgewebe bei MC4R-Mutationen: Veränderungen im zentralen Nervensystem beeinflussen über autonome Signalwege direkt den Fettstoffwechsel – ein bisher unerwarteter Mechanismus.

Modell der Veränderungen im Fettstoffwechsel bei Menschen mit MC4R-Mangel Quelle: Zorn et al. mit Biorender.com
Copyright: CC BY 4.0, http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/, erstellt mit Biorender.com

Relevanz für die Diabetologie

Für Diabetologinnen und Diabetologen ist diese Studie aus mehreren Gründen relevant:

  • Neue Perspektiven für Prävention und Therapie: Nicht jede Form von Adipositas ist automatisch mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden. Bei Patient:innen mit auffällig günstigen Blutfettwerten trotz Übergewicht könnte ein genetisches Screening auf MC4R-Mutationen sinnvoll sein.
  • Personalisierte Medizin: Die Ergebnisse liefern neue Ansatzpunkte für die Entwicklung von Medikamenten, die gezielt den Fettstoffwechsel beeinflussen, ohne den Appetit zu verändern.
  • Pathophysiologisches Verständnis: Die Studie unterstreicht die Bedeutung genetischer und biologischer Mechanismen bei der Behandlung von Adipositas und deren Folgeerkrankungen.

Fazit

Die Arbeit unterstreicht, wie wichtig ein tieferes Verständnis der genetischen und biologischen Grundlagen von Adipositas ist. Sie zeigt, dass differenzierte Diagnostik und individualisierte Therapien auch im Bereich der Diabetologie immer wichtiger werden.

Quelle: Universität Ulm (Leipzig, 22. Oktober 2025). Trotz Übergewicht niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – Genetische Veränderung beeinflusst Fettstoffwechsel und Herzgesundheit. [Pressemitteilung].

Originalpublikation: Zorn, S., Bounds, R., Williamson, A. et al. Obesity due to MC4R deficiency is associated with reduced cholesterol, triglycerides and cardiovascular disease risk. Nature Medicine (2025). [Paper]

Bildquelle: ©AntonioDiaz – stock.adobe.com

Ein Beitrag von

mgo medizin

mgo medizin

Autor

Autor des Beitrags

Weitere Beiträge zu diesem Thema

älteres Ehepaar gehen im Winter über eine schneebedeckte Brücke

Diabetes im Winter: Was Praxisteams jetzt beachten sollten

News

In den Wintermonaten stehen Menschen mit Diabetes vor besonderen Herausforderungen. Kälte, schwankende Temperaturen und häufigere Infekte können den Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht bringen und das Diabetesmanagement erschweren. Diabetologinnen und Diabetologen ...

Diabetologie

Typ-1-Diabetes

Beitrag lesen
Laborröhrchen mit Blut und der Aufschrift oGTT

Früherkennung von Typ-2-Diabetes: Der unterschätzte 1h-OGTT-Wert

News

Aktuelle Forschungsergebnisse aus Tübingen, Helmholtz Munich und dem DZD zeigen: Der Ein-Stunden-Blutzuckerwert im OGTT identifiziert besonders effektiv Risikopatienten für Typ-2-Diabetes – und eröffnet neue Chancen für die gezielte Prävention in ...

Diabetologie

Typ-2-Diabetes

Beitrag lesen
verschiedene Hände liegen übereinander

DANK-Forderung nach Public-Health-Strategie

Berufspolitik

Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) lud auf dem DDG-Kongress Ende Mai in Berlin zu einem Symposium mit dem Titel „Die neue Bundesregierung: Neustart oder Handbremse für die Präventionspolitik in ...

Diabetologie

Sonstiges

Beitrag lesen