Leistungssport und Diabetes schließen sich heutzutage nicht mehr aus, wie Tennisprofi Alexander Zverev, Gewichtheber und Olympia-Sieger Matthias Steiner oder Hockey-Weltmeister Timur Oruz zeigen. Sie alle haben trotz Diabetes Typ 1 sportliche Höchstleistungen erbracht, was lange Zeit ausgeschlossen schien. Noch in den 80er- und 90er-Jahren wurde in einer Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) dazu geraten, nur allein, in Innenräumen, immer zur gleichen Uhrzeit und mit der gleichen Intensität Sport zu betreiben.

Heutzutage steht Diabetes einer erfolgreichen Karriere im Profisport nicht mehr im Wege, dennoch müssen die Betroffenen sowie ihre behandelnden Ärzte einige Punkte beachten. Prof. Dr. Othmar Moser, Physiologe und Professor für Sportmedizin an der Universität Bayreuth mit dem Forschungsschwerpunkt „Diabetes und Sport“ spricht im Interview über Herausforderungen, Risiken und Chancen.
Bild: Portrait von Prof. Dr. Othmar Moser, © privat
Kann grundsätzlich erst einmal jede Person mit Diabetes Leistungssport betreiben, oder schließen Faktoren wie Schweregrad oder Medikamenteneinnahme manche Personengruppen aus?
Prof. Moser: Es gibt keine Sportart, die eine Person mit Typ-1-Diabetes nicht als Profisportler ausführen könnte. Allerdings muss der Trainingsplan perfekt abgestimmt sein und zusätzlich zu Trainingseinheiten, Regenerationsphasen sowie Essen und Trinken auch diabetisch spezifische Anpassungen enthalten. Ist das gewährleistet, kann jeder Mensch mit Typ-1-Diabetes auch Profi- oder Berufssportler werden.
Gibt es denn einen Unterschied zwischen Menschen mit Typ 1- und Typ 2-Diabetes hinsichtlich des Leistungssports?
Prof. Moser: Menschen mit Typ-2-Diabetes sind eher eine Rarität im Profisport. Dennoch ist diese Form der Erkrankung erst einmal kein Hindernis. Jedoch ist es aufgrund der Vielzahl an Komorbiditäten, die die Betroffene oft mit sich bringen, äußerst wichtig, jeden Menschen individuell zu betrachten und die richtigen Medikamente auszuwählen, die zu seiner Situation und seiner Sportart passen. Bodybuildern zum Beispiel, die für ihre Wettkämpfe eine bestimmte Körpermasse vorweisen müssen, sollte man keine Medikamente empfehlen, die zu starkem Gewichtsverlust beitragen.
Früher wurde dazu geraten, immer zur gleichen Uhrzeit Sport zu betreiben. Während des Trainings ist das vielleicht noch möglich, Wettkämpfe halten sich jedoch nicht an den Zeitplan eines Menschen mit Diabetes. Welche Rolle spielt die Tageszeit daher heute noch, und welche Rolle spielt das Timing der Insulingabe in Bezug auf Training und Wettkämpfe?
Prof. Moser: Wir können Patientinnen und Patienten heutzutage eine sehr gute Rahmenstruktur an die Hand geben, die genau aufzeigt, wann ein Sportler welche Insulindosis (oder Kohlenhydrate) bei welcher körperlichen Aktivität verabreichen sollte. Wichtig ist in jedem Fall, dass der komplette Tagesablauf inklusive Nahrungsaufnahme und Medikation bereits eine Woche vor dem Wettkampf auf die Wettkampfzeiten umgestellt werden sollte, damit sich der Körper daran gewöhnt.
Was sollten Diabetologen beachten, wenn ihre Patienten Leistungssport betreiben möchten?
Prof. Moser: Ich plädiere sehr dafür, alle Profi- und Leistungssportler in das „Challenge D-Programm“ zu überweisen. Hierbei handelt es sich um ein telemedizinisches Forschungsprojekt der Universität Bayreuth, das Athleten sowie ihre betreuenden Diabetesteams unterstützt. Die teilnehmenden Ärzte befassen sich seit vielen Jahren ausschließlich mit dem Thema „Sport und Diabetes“. Das ist ein enormer Vorteil im Vergleich zu den „klassischen“ Diabetologen, die im Praxis- oder Klinik-Alltag alle Patienten sehen, und gar nicht die Zeit haben, sich so um Profisportler zu kümmern, wie es nötig wäre.
CHALLENGE – D
„Challenge – D“ ist ein telemedizinisches Forschungsprojekt unter der Leitung der Diabetesberaterin Ulrike Thurm und Prof. Dr. Othmar Moser vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Bayreuth. Es stellt eine Schnittstelle zwischen der diabetologischen Therapie und der sportlichen Seite dar und unterstützt Athleten sowie ihre betreuenden Diabetesteams. Mit Hilfe von Datenanalysen werden die CGM-Profile gemeinsam mit den Sportlern ausgewertet, interpretiert und die Therapie angepasst. Die Leistungssportler mit Typ-1-Diabetes erfahren in verschiedenen Phasen ihrer Karriere individualisierte und bedarfsgerechte Unterstützung. Zudem werden Lösungsansätze für eventuell vorhandene Barrieren, Herausforderungen und besonders kritische Ereignisse, die mit der Diabetestherapie verbunden sind, erarbeitet. Ziel ist es, allen Sporttreibenden mit einem Typ-1-Diabetes den Weg zu einer erfolgreichen Entwicklung im Leistungs- und Profisport zu ermöglichen. Die Teilnahme an dem Projekt ist kostenlos.
Welche speziellen Herausforderungen müssen Sportler mit Diabetes im Gegensatz zu nicht-diabetischen Sportlern meistern?
Prof. Moser: Besonders herausfordernd sind Sportarten mit zwei bis drei Trainingseinheiten pro Tag und 30 Stunden Ausdauertraining pro Woche. Für eine derartige Belastung muss das Insulin massiv reduziert werden, es wird jedoch auch zur Regeneration benötigt. Das ist ein sehr schmaler Grat. Anspruchsvoll sind auch Sportarten, die viel Rotation enthalten, wie zum Beispiel Tennis. Hier muss man genau schauen, wo z.B. die Pumpe platziert werden kann, damit sie funktionsfähig bleibt. Ebenso benötigen Schwimmer, die sich über Stunden im Wasser aufhalten, sehr personalisierte Empfehlungen und Lösungen.
Gibt es auch positive Auswirkungen von Leistungssport auf die Diabetes-Behandlung?
Prof. Moser: Auf jeden Fall. Leistungssportler benötigen signifikant weniger Insulin. Zudem konnten wir beobachten, dass sich sowohl die kardiovaskuläre Leistungsfähigkeit deutlich verbessert als auch das Risiko sehr gering ist, kardiovaskuläre Probleme zu entwickeln. Die größten Probleme bei Menschen mit Diabetes sind zerstörte Gefäßstrukturen, Schlaganfälle und Myokardinfarkte. Leistungssportler mit Diabetes haben in dieser Hinsicht nahezu die gleichen Voraussetzungen wie Menschen ohne Diabetes.
Welche neuen Technologien und Hilfsmittel gibt es, die Sportlern mit Diabetes helfen können?
Prof. Moser: Es gibt inzwischen sehr gute Sportuhren, die einen deutlichen Mehrwert liefern können, da sie die Trainingsherzfrequenz in Relation zum Zuckerverlauf anzeigen sowie Informationen zur Schlafqualität oder Sauerstoffsättigung geben. Nach meinem Kenntnisstand kommen noch in diesem Jahr einige sehr gute neue Fitnessuhren auf den Markt.
Werfen wir zum Schluss einen Blick in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für den Umgang mit Diabetes im Sport?
Prof. Moser: Wir brauchen Bewegung auf Rezept. Es ist erwiesen, dass die Remissionsrate bei Menschen mit Typ 2 Diabetes bei einer Lebensstilintervention bei 60 Prozent liegt, bei einer medikamentösen Therapie hingegen gerade mal um die 10 Prozent. Diabetologen können jedoch entsprechende Leistungen nicht in dem gewünschten Ausmaß abrechnen. Daher müssen Sport, Bewegung und Ernährung therapeutisch so finanziert werden wie eine medikamentöse Therapie. Wir können noch so gute Empfehlungen geben – wenn diese nicht umgesetzt werden, sind sie wertlos.
Das Interview führte Sonja Buske.
Bilderquelle: ©EvgeniiaFreeman/stock.adobe.com
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