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Von der Haut in den Darm – und wieder zurück

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Entzündliche Dermatosen

mgo medizin Redaktion

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Haut und Darm sprechen dieselbe Sprache der Entzündung, werden aber noch viel zu selten gemeinsam gedacht.

Dermatologe PD Dr. Andreas Pinter und Gastroenterologin und Prof. Dr. Tanja Kühbacher plädieren für ein Umdenken – und veranschaulichen, warum interdisziplinäre Zusammenarbeit die moderne Form der Therapie darstellt.

Die aktuelle Situation hat jedenfalls noch Luft nach oben, erklärt PD Dr. Andreas Pinter, Leiter der Abteilung für chronisch-entzündliche Dermatosen an der Goethe Universität Frankfurt am Main: „In der Dermatologie wissen wir natürlich um die möglichen Begleiterkrankungen bei entzündlichen Dermatosen Bescheid. Der Fokus liegt hier aber recht häufig auf der Rheumatologie, während andere Problembereiche wie eben der Magen-Darm-Trakt derzeit noch weniger Aufmerksamkeit erhalten.“

Aus gastroenterologischer Sicht scheint der Austausch besser geölt zu sein: „Es ist durchaus nicht selten, dass ich als Gastroenterologin ein dermatologisches Konzils erfrage – umgekehrt erhalten wir häufig dermatologische Patienten mit Bauchbeschwerden zur Begutachtung“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Tanja Kühbacher vom St. Marien- und St. Annastiftskrankenhaus in Ludwigshafen aus der Praxis.

Ausgedehnte Läsionen und Angst vor permanentem Haarausfall

Prof. Kühbacher präsentiert einen 44-jährigen Patienten mit Morbus Crohn (MC) seit vielen Jahren, mit steroidabhängigem Verlauf – das Unterschreiten einer Steroiddosis führt zum Rezidiv. Zwei Biologika – die TNF-a-Blocker Infliximab und Adalimumab – waren zunächst wirksam, im Laufe der Zeit entwickelte sich allerdings ein sekundärer Wirkverlust. Dann traten relativ großflächige und damit prägnante Hautläsionen auf, stark betroffen waren Gesicht (Nase) und Kopfhaut (Läsionen mit Haarausfall), sowie Ohr, Thorax und Unterschenkel. „Diese Läsionen waren schon rein aus kosmetischen Gründen für den Patienten sehr unangenehm, die Läsion am Ohr war zudem schmerzhaft.“

Lehrbuchgerecht sind diese Läsionen zwar nicht, räumt PD Pinter ein, doch aufgrund der klassischen, scharf begrenzten Plaques im Kopfbereich ist als erstes eine Psoriasis (Pso) zu diagnostizieren, die zusätzlich von einem Ekzem des Ohrs und einem Ekzem beziehungsweise möglicherweise einer Rosazea der Nase begleitet wird: „Der Patient hat also mehrere Hauterkrankungen, eine davon ist die Psoriasis.“

Der Dermatologe nutzt den Fall für zwei wichtige Botschaften: „Erstens: Jede sichtbare Hautläsion ist deutlich stärker belastend als eine, die mittels Kleidung verdeckt werden kann – und das kann sogar so weit gehen, dass Patienten Läsionen unter der Kleidung gar nicht erst ansprechen. Zweitens: Haarausfall macht vielen Betroffenen Angst, vor allem weil befürchtet wird, dass dies permanent ist.“ Hier könne man aber beruhigen: Ein Haarausfall im Rahmen einer Atopischen Dermatitis (AD) oder einer Pso „ist in rund 98 % der Fälle reversibel.“  

Paradoxe Inflammation und Flip-Flop-Phänomen

Zum Hautbild befragt gab der Patient an, dass die Haut bereits früher gelegentlich trocken und schuppig gewesen sei; diese Hautveränderungen heilten unter Kortison meist ab und wurden unter Infliximab besser, unter Adalimumab allerdings schlimmer. Der Patient nahm die Verschlechterung aufgrund der guten Wirksamkeit von Adalimumab auf den Darm zunächst in Kauf, suchte aber dann aufgrund der doch starken Ausprägung der Hautläsionen schließlich den ärztlichen Rat.

In der Praxis ist diese Erscheinung – dass die Behandlung einer entzündlichen Darmerkrankung mit Biologika zur Entwicklung einer entzündlichen Hauterkrankung führt – übrigens durchaus häufig und als „paradoxe Inflammation“ bekannt, kommentiert Prof. Kühbacher.

Umgekehrt ist es in der Dermatologie zwar eher selten, dass etwa die Pso-Therapie die Entwicklung eines MC oder einer Colitis ulcerosa auslöst – das (ähnlich gelagerte) Flip-Flop-Phänomen ist allerdings gut beschrieben, ergänzt PD Pinter: Hier könne beispielsweise ein Patient mit AD unter Biologika eine Pso entwickeln (oder umgekehrt).

Für die Praxis bedeutet dies: Berichtet ein gastroenterologischer Patient unter Biologika über eine trockene Haut (auch etwa an Ohr oder Nase), ist eine dermatologische Fachmeinung einzuholen. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit bezeichnen beide Fachleute übereinstimmend als „moderne Form der Therapie“.

Sonnige Gretchenfrage

Als Therapie erhielt der Patient infolge den IL-23-Antikörper Risankizumab plus topische Behandlung + Prednisolon. Dieses Vorgehen steht „im Gegensatz zu früher, als bei Wirkverlust etwa von einem TNF-Blocker auf einen anderen gewechselt wurde. Nun kommt ein Medikament mit einem anderen Wirkmechanismus zum Einsatz“, erklärt Tanja Kühbacher. Ein weiterer Vorteil bei Risankizumab sei zudem das laut Andreas Pinter „fast unschlagbare“ Nebenwirkungsprofil. Zu Kortison eine Cave bezüglich des möglichen Rebound-Phänomens: Kortison sei immer langsam auszuschleichen, ansonsten drohe die Verschlechterung der Krankheit.

Eine häufige – jahreszeitenentsprechende – Frage von Patientenseite: Wie hält man es mit der Sonne beziehungsweise dem Sonnenschutz? Dazu der Dermatologe: „Die Sonne hilft bei atopischer Dermatitis und Psoriasis, aber man sollte es nicht übertreiben: Sonnenbrände sind natürlich zu vermeiden.“ Die UV-Bestrahlung plus – wenn möglich – Salzwasser ist aus dermatologischer Sicht ebenfalls zu empfehlen, die Kombination ist auch als Balneo-Phototherapie bekannt („andere nennen es Urlaub“), aber: „Es ist natürlich keine Dauertherapie, die Ergebnisse halten nicht langfristig an”.

Zurück zum Patienten, der sich nach zweimonatiger Risankizumab-Therapie sehr zufrieden zeigte: Der Darm war in stabiler Remission, die Haut an Nase und Ohr bereits abgeheilt, die Haare am Zurückwachsen und auch die Läsion am Bein auf besten Wegen. „Dieser Verlauf der Abheilung – quasi von oben nach unten, zuerst Kopfhaut und Gesicht, dann Brustkorb, die Unterschenkel brauchen länger – ist bei Psoriasis übrigens häufig zu beobachten“, kommentiert Pinter.

Pathophysiologische Red Flags

Menschen mit entzündlichen Hauterkrankungen weisen ein höheres Risiko für weitere entzündliche Begleiterkrankungen auf: So entwickeln AD-Patienten zweifach häufiger eine entzündliche Darmerkrankung als Menschen ohne, zusätzlich liegt ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, aber beispielsweise auch für Asthma vor, berichtet Andreas Pinter. Auch bei Kindern ist dieses Risiko gegeben, es ist in diesem Alter allerdings nur minimal erhöht. Die Dauer der Beschwerden ist hier entscheidend: „Alles über zwei Wochen ist abzuklären“, durch Ultraschall, Darmspiegelung, Magnetresonanztomographie beziehungsweise gegebenenfalls Kapselendoskopie.

Umgekehrt sind bei einem Drittel der Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) z. B. Arthritiden zu beobachten. Prof. Kühbacher erklärte: „Grundsätzlich gilt also: Liegt eine Immunerkrankung vor, gesellt sich häufig eine weitere hinzu, die Genorte sind ja häufig die gleichen.“ Bei entsprechender Symptomatik sollte man daher hellhörig sein.

Frau hält eine Auswahl an frischem Gemüse wie Brokkoli, Karotten, Avocado und Salat vor ihrem Bauch.

© Maryna – Adobe Stock

Ernährung: Nicht heilen, aber unterstützen

Eine weitere häufige Frage von Betroffenen bezieht sich auf den möglichen Einfluss der Ernährung. Die Zusammenfassung lautet: „Eine entzündliche Darmerkrankung lässt sich mit der Ernährung nicht heilen, eine Unterstützung der Therapie ist damit aber durchaus möglich.“ Gerade im akuten Schub gelten die üblichen Regeln für „gesunde Ernährung“ beispielsweise nicht, ein ballaststoffreiches Essen etwa wäre in dieser Situation kontraproduktiv. Interessanterweise, ergänzt die Gastroenterologin, kann bei CED im Kindesalter die reine Ernährungstherapie ähnliche Ergebnisse erreichen wie die Behandlung mit Kortison – was bei Erwachsenen nicht möglich ist. Die Gründe dafür sind unbekannt, vermutet wird ein Zusammenhang mit dem Mikrobiom.

Bei AD wiederum ist die Entwicklung einer Nahrungsmittelallergie recht häufig, das Führen eines Tagebuchs „kann hilfreich sein“, so PD Pinter, um zu sehen, ob etwa Reaktionen auftreten auf Weizen/Gluten, Hühnerfleisch, bestimmte Gewürze oder Schattengewächse wie Tomaten.

Therapieentscheidung: Zytokin-Blockade

Therapeutisch von Bedeutung ist bei Psoriasis die Blockade von TNF-a, IL-12/23 sowie die auch bei CED sehr gut wirksamen selektiven IL-23-Blocker. Cave: IL-17 Blocker werden bei Pso sehr gut eingesetzt, aber nicht bei CED (IL-17 Blocker zeigten in Studien eine Verschlechterung der Colitis).

Bei AD spielen andere Zytokine eine Rolle, etwa Il-4, -13 und -31. Da die Krankheit aber nicht wirklich auf einen einzigen Pathway zu reduzieren ist, sind zwei Therapieansätze verfügbar: entweder Biologika oder JAK-Inhibitoren. Cyclosporin und Kortison sind noch zugelassen, „Kortison ist aber nicht langfristig, sondern maximal als Stoßtherapie einzusetzen“, betonte Andreas Pinter.

Cave: In der Gastroenterologie können JAKi eine Akne auslösen, was offenbar dosisabhängig ist, ergänzt Prof. Kühbacher: Ab einer Dosierung von 45 mg ist dies häufiger zu beobachten, unter einer Dosierung 45 mg hingegen nicht. Eine „echte“ Akne isseit das allerdings nicht, sondern akneiforme Läsionen, da die Komedonen fehlen, so die dermatologische Präzisierung. Ist eine Dosisreduktion nicht möglich, können topische Therapien helfen: Erythromycin oder Clindamycin Creme beziehungsweise Gel, Fertigpräparate sind verfügbar.

Und: „Hier bitte geduldig sein, bis eine deutliche Verbesserung sichtbar ist, können ein bis zwei Wochen vergehen“, schloss Andreas Pinter.  

Fragen von Teilnehmenden, Antworten der Experten (Auszug)

  • Eine Patientin mit Morbus Crohn entwickelt eine atopische Dermatitis. Können zwei Biologika gegeben werden? > Die Tendenz gehe zu Kombinationstherapien mit sich ergänzenden Wirkmechanismen. Sie seien sicher noch nicht Standard, der Einsatz aber durchaus machbar, in diesem Fall beispielweise TNF-a + Dupilumab. Als Monotherapie wäre möglicherweise auch Upadacitinib zu empfehlen (wirksam gegen beide Krankheiten).
  • Ein 62-jähriger Patient mit Morbus Crohn, leichter Psoriasis und Handekzem. Wie lautet der Therapievorschlag? > Bezüglich des Handekzems sei zu eruieren, ob dies kumulativ-toxisch ist (also nur eine gereizte Haut vorliegt, aber keine echte immunologisch vermittelte Entzündung), dann sind Pflegemaßnahmen ausreichend. Besteht das Handekzem im Rahmen einer atopischen Dermatitis, sei Upadacitinib eine Möglichkeit, sowie ein topisches Steroid (z. B. Prednicarbat).
  • Wie ist die Colitis ulcerosa mit assoziierter Follikulitis der Kopfhaut zu behandeln? > Diese Follikulitis sei sehr schwierig zu behandeln, die Alopezie verläuft vernarbend, der Haarausfall ist nicht reversibel. Hier kommt die breite Immunsuppression zum Einsatz, mit Steroiden, Cyclosporin, Antibiotika (Clindaymacin).

Dr. Lydia Unger-Hunt

Webinar: „Haut trifft Darm: Patientenfälle interdisziplinär diskutiert“, 4. Juni 2025,

Sponsor: AbbVie

 Bilderquelle: © valiantsin – Adobe Stock

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