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Ressourcenmanagement: Vorteile statt Zeigefinger

Ressourcenmanagement: Vorteile statt Zeigefinger

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mgo medizin Redaktion

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Der Klimawandel bedeutet für die Dermatologie weit mehr als nur ein erhöhtes Hautkrebsrisiko durch UV-Strahlung. Nicht nur die Herausforderungen sind groß, sondern auch die Chancen.

Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen erhöhen beispielsweise das Infektionsrisiko durch pathogene Keime in den betroffenen Gebieten, Waldbrände fördern Asthma und Neurodermitis durch Luftverschmutzung. Dabei bietet das Thema trotz seiner großen Komplexität auch erhebliche Chancen für die dermatologische Praxis. Besonders interessant sind die Co-Benefits* im Ressourcenmanagement, die sich im Praxisalltag ergeben.

*Co-Benefits sind positive Nebeneffekte einer Maßnahme, die über ihr primäres Ziel hinausgehen.

Vor diesem Hintergrund sprachen wir mit Dr. Christina Hecker, der 3. Vorsitzenden der AG für Nachhaltigkeit in der Dermatologie e. V. Die Dermatologin im vorzeitigen Unruhestand beleuchtet für uns im Folgenden die Herausforderungen und den praktischen Nutzen für Dermatolog:innen und Praxisinhaber:innen. Dazu gehört die Gesundheit – sowohl die eigene als auch die der Patient:innen –, Einsparpotenziale und die Motivation der Mitarbeitenden.

Christina, du hast viel aktiven Kontakt mit Dermatolog:innen in der Niederlassung, bist auch selbst als Vertretung im Einsatz. Wie gehst du persönlich mit dem Thema um?

Dr. Christina Hecker: „Es ist entscheidend, Patient:innen und Kollege:innen nicht bevormundend auf das Thema Klimawandel anzusprechen. Alleiniges Vorbildsein reicht jedoch auch nicht aus.

Dr. Christina Hecker; © privat

Dr. Christina Hecker; © privat

Ich möchte ein konkretes Beispiel anführen, wie es gelingen kann: Als Praxisinhaberin war ich das Autofahren irgendwann leid und stieg vor vielen Jahren auf das Fahrrad um. Anfangs erntete ich damit Erstaunen und Kommentare wie: „Was? Sie fahren Fahrrad? Bei jedem Wetter? Frau Doktor, das geht doch nicht!“ Dies hat sich jedoch im Laufe der Zeit gewandelt. Heute höre ich oft: „Mensch, das ist großartig, da bleibt man gesund, das mache ich jetzt auch.“ Oder Patient:innen unterhalten sich spontan mit mir über Fahrradhelme und die besten Modelle. Auf die Frage nach meiner Motivation antworte ich stets: „Ich war seitdem nicht mehr krank, komme immer pünktlich an und tue außerdem noch etwas fürs Klima.

Der Ansatz sollte nicht belehrend sein, sondern besser den persönlichen Nutzen für den Patiente:innen hervorheben. Statt zu fordern, das Klima zu schützen, kann man betonen, welche Vorteile sich für den Einzelnen ergeben können. Dies wird auch durch Studien belegt. Der Fokus sollte auf den Co-Benefits liegen. Für Patient:innen können solche Vorteile z. B. sein: weniger Hautreizungen durch allergene oder toxische Stoffe, geringere Belastung bei chronischen Entzündungskrankheiten wie atopischer Dermatitis oder weniger Atemwegsprobleme. Für Dermatolog:innen ergeben sich durch stärkeres Engagement im Ressourcenmanagement der eigenen Praxis folgende mögliche Vorteile: Kostenersparnis, Ablaufoptimierung und daraus resultierende Zeitersparnis, Motivation und persönliche Bindung der Mitarbeitenden usw.“

Wie stehen die Kolleg:innen in der Niederlassung zum Thema?

Dr. Christina Hecker: „Mein Eindruck ist, dass Klimaschutz und Ressourcenmanagement in vielen Praxen noch nicht die nötige Priorität haben. Äußerungen wie „Klima ist nicht mein Thema Nummer eins“ oder „Ich habe dafür einfach keine Zeit, kein Personal“ belegen weiterhin große Hemmnisse im niedergelassenen Bereich. Daher entwickeln wir in der AG Nachhaltigkeit (AGN) gezielt Qualitätsmanagementvorlagen. Persönlich bin ich seit Langem von Qualitätsmanagement in Praxen überzeugt. Es ist eine Notwendigkeit und enorme Hilfe im Alltag. In dermatologischen Praxen fallen bspw. große Mengen an Plastikmüll an, der Ressourcenverbrauch ist enorm. Für mich war es stets wichtig, auch im OP sparsam mit Materialien umzugehen, weshalb ich das OP-Instrumentarium selbst aufbereitet habe. Dabei ist der berufliche Alltag für das gesamte Team unglaublich stressig. Sich z.B. gegen Regresse zu wehren und neue Regelungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zu beachten -wie die Einführung der neuen elektronischen Patientenakte-, zehrt an den Kräften. Hinzu kommen anspruchsvolle Patient:innen. Doch all dies mit dem Thema Ressourcenoptimierung unter einen Hut zu bringen und das Team dafür zu gewinnen ist unerlässlich.

Denn: Klimaschutz ist kein Luxusthema; er ist notwendig für das Überleben von Praxen. Das Beispiel des Ahrtals hat gezeigt, wie schnell Ärzte und Praxisbetreiber persönlich betroffen sein können – wir selbst, unsere Familien, Patient:innen und Teams. Wir alle stecken in der Klimakrise, und diese Erkenntnis muss sich durchsetzen. Meiner Meinung nach gibt es hier noch viel Luft nach oben.“

Welche Hindernisse gibt es im Praxisalltag?

Dr. Christina Hecker: „Personal- und Zeitmangel sowie die Sorge vor zusätzlicher Bürokratie und Kosten sind wesentliche Hemmnisse für mehr Klimaschutz in dermatologischen Praxen. Dabei birgt die Dermatologie aufgrund ihres Ressourcenverbrauchs ein erhebliches Potenzial für positive Veränderungen.

Einige Bereiche mit großem Einfluss sind:

  • Topische Medikamente: Obwohl wirksam, enthalten viele topische Produkte umweltbelastende Inhaltsstoffe wie Petrolatum (auf Erdölbasis), Mikroplastik und synthetische Polymere.
  • Verpackungen: Kleinformatige Verpackungen, wie sie oft bei Proben zum Einsatz kommen, verursachen überproportional viele Emissionen und hohen Wasserverbrauch. Zudem sind oft Problemstoffe wie PFAS (per- und polyfluorierte Chemikalien) enthalten.
  • Ästhetische Verfahren, chirurgische Eingriffe, Biologika und Diagnostik: Auch diese Bereiche sind mit einem nicht unerheblichen Ressourcenverbrauch verbunden.

Leider wird die Notwendigkeit zur Klimaanpassung – also die aktive Vorbereitung auf zukünftige Klimarisiken – noch unzureichend wahrgenommen. Dabei sind Notfallpläne für Extremwetterereignisse, Informationskampagnen für Patienten mit chronischen Hauterkrankungen, Hitzeschutz in den Praxen und entsprechende Mitarbeiterschulungen essenziell.“


Ansatzpunkte in Praxis und Umfeld von Dr. Christina Hecker

  • Umstieg auf erneuerbare Energiequellen
  • Vermeidung von Überdiagnostik, Überbehandlung, Überverordnung
  • Teledermatologie zur Verringerung von Reiseemissionen
  • Ressourcenoptimierte Durchführung chirurgischer Eingriffe: Einkauf für Praxis- und Sprechstundenbedarf mit Lieferanten auf Ressourcenoptierung und Plastikreduktion überprüfen
  • Berücksichtigung ökologischer Faktoren in medizinischen Leitlinien
  • Ressourcenmanagement: Nutzen Sie Leitungswasser anstelle von PET-Flaschen.
  • Verordnungsweise: Passen Sie die Medikamentenauswahl an (z. B. Anpassung von Packungsgrößen, umweltfreundlichere Antibiotika). Verzichten Sie auf umweltschädliche Wirkstoffe wie Diclofenac.
  • Betriebsführung: Optimieren Sie Mobilität, Einkauf, Hygiene, Praxisausstattung (z.B. Energiesparlampen), Heizung und Impfstrategien. Führen Sie ressourcenschonende Operationen durch und fördern Sie die Digitalisierung.
  • Informieren Sie Patient:innen über gesundheitliche Vorteile klimafreundlicher Entscheidungen.
  • Erklären Sie Zusammenhänge zwischen nachhaltiger Mobilität/Ernährung und Komorbiditäten bei Hauterkrankungen wie Diabetes, Psoriasis, Akne oder Neurodermitis.
  • Beraten Sie zu angepasstem Freizeitverhalten zur Reduzierung von UV-bedingtem Hautkrebs. Empfehlen/verordnen Sie mikroplastikfreie Produkte und thematisieren Sie die Vermeidung von schädlichem (Mikro-)Plastik.
  • Digitalisierung von Patientenakten und Rezepten spart nicht nur Papier und Druckkosten, sondern optimiert auch Arbeitsabläufe und reduziert den Platzbedarf für Archive.
  • Schaffen Sie für Ihre Mitarbeitenden Anreize für die Nutzung von Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmittel. So können nicht nur zur CO2-Reduktion beitragen, sondern auch die Gesundheit und Zufriedenheit fördern.

Beeinflusst die Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses contra Klimaschutz eure Arbeit und die Projekte der AG Nachhaltigkeit? 

Dr. Christina Hecker: Derzeit mangelt es an verbindlichen politischen Rahmenbedingungen, um die notwendige Transformation des Gesundheitssektors voranzutreiben. Medizinische Einrichtungen erhalten weder ausreichende finanzielle noch ideelle Unterstützung. Gleichzeitig werden NGOs, die sich für Klimaschutz einsetzen, angegriffen und ihre Arbeit diffamiert.

Wir als Angehörige des Gesundheitssektors versuchen den politischen Entscheidungsträgern zu vermitteln: „Health in all policies“ ist unerlässlich, denn Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Am Beispiel der AG Nachhaltigkeit in der Dermatologie zeigt sich die mangelnde Unterstützung deutlich: Sponsoren springen ab oder sind schwer zu motivieren. Dies führte beispielsweise dazu, dass unsere für November 2025 geplante Zukunftstagung abgesagt werden musste.“

Wie begegnet ihr Argumenten, Klimaschutz sei ausschließlich eine zusätzliche Belastung im Praxisalltag bzw. „Luxus“? 

Dr. Christina Hecker: „Wir engagieren uns aktiv durch Vorträge, Workshops, Fachartikel und MFA-Schulungen, um auf die Dringlichkeit der Problematik aufmerksam zu machen. Unser Ziel ist es, die Akzeptanz für Ressourcenoptimierung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu fördern. Wir sind überzeugt, dass der Gesundheitssektor eine Vorreiterrolle (Governance) einnehmen kann und sollte. Ein entscheidendes Argument ist dabei, dass wir und unsere Teams gleichermaßen von den Folgen der Klimakrise betroffen sein werden – sei es durch Hitzewellen, diverse Krankheiten, Extremwetterereignisse oder Kostenexplosionen durch die Folgen des Klimawandels.“


Zum direkt Ausprobieren in der Praxis – Tipp von Dr. Christina Hecker

„Eine der einfachsten und kostengünstigsten Maßnahmen für mehr Klimaschutz in der Praxis ist der Umstieg auf Leitungswasser. Verzichten Sie auf generell auf PET-Flaschen und abgefülltes Leitungswasser. In Deutschland ist Leitungswasser in der Regel von sehr guter Qualität und bietet erhebliche CO2-Einsparungen. Ein Rechner wie der von a tip tap (https://atiptap.org/trinkwasserrechner/?litres=2) verdeutlicht das Potenzial: Ein Zweipersonenhaushalt kann durch den Verzicht auf Flaschenwasser bis zu 1.000 Euro jährlich sparen – und entsprechend viel CO2. Der Verzicht auf PET-Flaschen ist entscheidend, da sie auf fossilen Energieträgern basieren und ihr gesamter Lebenszyklus – von Herstellung über Transport bis zur Zersetzung – hochgradig klimaschädlich ist. Zudem tragen sie maßgeblich zur globalen Plastikverschmutzung bei; der größte Müllteppich im Meer, hauptsächlich bestehend aus PET-Flaschen, ist viereinhalbmal so groß wie Deutschland. Studien zeigen außerdem, dass sich aus PET-Flaschen, besonders bei Wärme, Mikroplastikpartikel lösen und ins Wasser gelangen können – bis zu 250.000 Partikel pro Flasche. Diese Mikroplastikpartikel können in den Körper und sogar in den Blutkreislauf und ins Gehirn gelangen. Die Vorteile des Verzichts auf PET-Flaschen (Co-Benefits) sind vielfältig: Wir sparen Geld, vermeiden den Aufwand für Einkauf und Transport der Flaschen und schützen gleichzeitig die eigene Gesundheit und die unserer Mitarbeitenden, indem wir den Kontakt mit potenziell schädlichem Mikroplastik reduzieren.“


Wo bestehen die größten Hürden und wie kann die AG hier unterstützen?

Dr. Christina Hecker: „Die größten Hürden im Praxisalltag bleiben Zeit- und Personalmangel. Doch es gibt bereits zahlreiche Hilfsangebote, die darauf warten, aktiv genutzt zu werden. Organisationen wie die AG Nachhaltigkeit in der Dermatologie stellen beispielsweise umfassende Ressourcen bereit. Praxisinhaber müssen nicht mehr mühsam recherchieren, sondern können direkt mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Ressourcenoptimierung beginnen. Dabei ist es entscheidend zu verstehen: Niemand muss sofort alles perfekt umsetzen! Schon kleine Schritte können eine große Wirkung entfalten. Ideal ist es, mit mehrfach wirksamen Maßnahmen zu beginnen, die nicht nur dem Klima zugutekommen, sondern auch Kosten sparen – Stichwort: Co-Benefits.“

Das Interview führte Sabine Mack

Die AG Nachhaltigkeit in der Dermatologie bietet vielfältige kostenfreie Ressourcen zur Unterstützung Ihrer Praxis:

  • Praktische Qualitätsmanagement-Vorlagen für eine nachhaltigere Praxisführung
  • Artikel und Buchbeiträge mit relevanten Informationen und Literaturhinweisen
  • Podcasts und Buchempfehlungen zur Vertiefung Ihres Wissens; Regelmäßige LinkedIn-Postings für aktuelle Tipps und Neuigkeiten
  • Vorträge, Workshops und spezielle Lernmodule für MFAs und PTAs, die auch zur Qualifizierung als Klimamanagerin genutzt werden können
  • Detaillierte Informationen zu Plastik, Mikroplastik und schadstoffhaltigen Inhaltsstoffen in topischen Präparaten
  • Aktuelle Informationen zu relevanten Events und Tagungen

Website: www.agderma.de

Über die Expertin

Dr. Hecker ist Dermatologin und Allergologin und leitete über 26 Jahre lang ihre eigene Praxis. Außerdem war sie jahrelang Vorsitzende des Verbandes Kölner Hautärzte (VKH) sowie Mitbegründerin und Moderatorin mehrerer Qualitätszirkel. Als Mitbegründerin und 3. Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Nachhaltigkeit in der

Dermatologie (AGN) e.V. widmet sich Dr. Hecker unter anderem den Themen Qualitätsmanagement und Fortbildung von medizinischen Fachangestellten. Neben der Erstellung von QM-Vorlagen, Vorträgen, Fortbildungsmodulen und Workshops hat sie als Koautorin in verschiedenen medizinischen Fachzeitschriften sowie im Mai 2024 erschienenen Buch „Die grüne Arztpraxis“ zahlreiche Artikel veröffentlicht.

Kontakt und Austausch

E-Mail: hecker@agderma.de LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/christina-hecker/


Die Arbeitsgemeinschaft Nachhaltigkeit in der Dermatologie wird ausschließlich durch ehrenamtliche Arbeit unterstützt. Mit Ihren Spenden unterstützen Sie aktiv die Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen im Gesundheitssektor: https://agderma.de/spenden/

Bilderquelle: © Samoresh – Adobe Stock

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