Krisenstimmung schafft Unsicherheit und schwächt insbesondere Teams, die auf eine enge Zusammenarbeit angewiesen sind, wie in einer Arztpraxis. Wie reagieren im Praxisalltag?
Wir wollen von der Wirtschaftspsychologin Vera Starker und der Expertin für Mitarbeiterbefragungen Dr. Katharina Roos wissen: Was können Führungskräfte tun, um der Schleife aus Krisenstimmung und Flucht in autoritäres Führungsverhalten zu entkommen? Was gelingt es, das Team zuversichtlich in die Zukunft zu führen?
Laut der Studie „In ungewissen Zeiten: Zuversicht und die veränderte Rolle von Führung im Unternehmenskontext“ ist die allgemeine Krisenstimmung in den Unternehmen und im Arbeitsalltag der Menschen angekommen. Sogar dann, wenn das eigene Unternehmen gar nicht von einer Krise betroffen ist. Und: Während Führungskräfte zunehmend zurückwollen zu „Strong Leadership“, streben Mitarbeitende nach mehr Selbstwirksamkeit. Wird das Sicherheitserleben am Arbeitsplatz dadurch beeinflusst, und wenn ja, wie? 49 % der Befragten bejahen, dass die Krisenstimmung in ihren Unternehmen angekommen ist, auch wenn nur 36 % ihr Unternehmen tatsächlich in einer Krise sehen. Die eigene Sicherheit am Arbeitsplatz wurde von den Führungskräften (56 %) und den Mitarbeitenden (44 %) umso niedriger bewertet, je stärker die Krisenstimmung der Befragten war, unabhängig davon, ob ihre Unternehmen wirklich selbst von Krisen betroffen sind. 62 % der Befragten (ja = 31 %, teils –teils = 31 %) vertreten die grundsätzliche Haltung, dass es in Krisenzeiten Führung braucht.
„Das birgt die Gefahr, dass sich ein Ohnmachtserleben einstellt – eine vergleichbare Entwicklung zum gesamtgesellschaftlichen Verlauf einer sich von Institutionen abwendenden Gesellschaft.“
Warum wir im Gesundheitswesen darüber reden…
Ein entscheidender Punkt, der das alles zur Herausforderung macht – gerade auch für Gesundheitseinrichtungen wie dermatologische Facharztpraxen. Die aus den aktuellen Krisen resultierenden Bedürfnisse von Mitarbeitenden nach mehr Strukturklarheit und Regeln stehen im direkten Widerspruch mit der zunehmenden Tendenz von Führungskräften zu autoritärer Führung (Strong Leadership): „Im Rahmen unserer Studie wurde deutlich, dass Führungskräfte autoritäre Führung (selbststabilisierend) mit Sicherheit am Arbeitsplatz verbinden. Auf Mitarbeitenden-Ebene stehen die geringere Sicherheit am Arbeitsplatz und ein Krisenerleben in Verbindung mit dem Wunsch nach Struktur- und Regelklarheit. Aus Sicht des Studienteams ein probater Weg, um das Sicherheitserleben in Ungewissheit zu erhöhen. Damit fallen die Bedürfnisse von Führungskräften und Mitarbeitenden in Krisenzeiten deutlich auseinander“, erklärt Vera Starker. „Die Pille der autoritären Führung passt nicht zur Diagnose.
Aktuell aktivieren bereits deutlich mehr Unternehmen und Führungskräfte alte Erfolgsmuster wie klassische, effizienzgetriebene Restrukturierung, Cost-Cutting und aktionistisches Delegieren und Priorisieren seitens der Führungskräfte, erläutert Katharina Roos.“ Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden nach struktureller und Regelklarheit werden über autoritäre Führung nicht erfüllt: „Vielmehr verengt sich sogar der Entscheidungsspielraum der Mitarbeitenden weiter, sodass sich auch ihr Selbstwirksamkeitserleben reduziert – das wäre aber eine der wichtigsten Voraussetzungen für Krisenbewältigung. Und das birgt die Gefahr, dass sich ein Ohnmachtserleben einstellt – eine vergleichbare Entwicklung zum gesamtgesellschaftlichen Verlauf einer sich von Institutionen abwendenden Gesellschaft. Der denkbar schlechteste Modus zur Bewältigung von Krisen“, so Starker.
… weil kein Weg uns schnell aus der Krise führen kann.
„Im Management von Krisen sind andere Kompetenzen vonnöten als in der qualitativen Weiterentwicklung von Organisationen, z. B. aufgrund von steigendem Druck durch Mitbewerber“, erklärt Dr. Katharina Roos.

Vera Starker © Rainer Störmann
Wir brauchen durch die Gleichzeitigkeit von Krise und Transformationserfordernis – der fortschreitende Fach- und Führungskräftemangel betrifft die Gesundheitseinrichtungen in besonderem Maße – Management und Führungskräfte, die beiden Ansätze Effizienzsteigerung und Organisationsentwicklung, die bislang eher in einem Entweder-oder-Verhältnis zueinanderstanden, in einem „Sowohl als auch“ miteinander vereinen.“

Katharina Roos © Esther Neumann
Krisen und Ungewissheit werden Unternehmen auch künftig begleiten und dürften nicht mehr als Ausnahme behandelt werden, so die Studie. Aber was bedeutet das für die Leitung eines Unternehmens bzw. die Führung eines Praxisteams? „Wir sollten lernen, mit Krisen jenseits von Ad hoc-Sparprogrammen und klassischen Restrukturierungen umzugehen und resiliente Organisationen aufzubauen. Dafür braucht es strukturelle Veränderungen, klare transformationale Ziele und ein transformatives Verständnis von Management und Führung“, sagt Starker.
„Change auf Ansage hat noch nie funktioniert.“
Zuversicht ist Management- und Führungsaufgabe
Die Studie visualisiert einen (intuitiven) Reflex von Führungskräften, unter bestimmten Bedingungen in die Haltung autoritärer Führung zurückzufallen. Das sei eine erwartbare Reaktion, gerade in einem traditionell hierarchisch aufgebauten Unternehmen wie einem Klinikum oder einer Arztpraxis. Und mag für klassische Restrukturierungen durchaus funktionieren. Denn danach ist diese Organisation unter Umständen effizienter. Aber: Im künftigen Marktumfeld ist sie mit Sicherheit nicht leistungsfähiger und keinesfalls resilienter: „Für die qualitative Transformation, die wir für eine wirtschaftlich stabile Zukunft brauchen, ist autoritäre Führung in jedem Fall die denkbar ungünstigste Voraussetzung: „Change auf Ansage hat noch nie funktioniert. Als Führungskraft geht es vielmehr darum, sich zu fragen: In welcher Verfassung möchten Sie den aktuellen Herausforderungen begegnen? Unter (noch mehr) Druck, angesteckt von der Krisenstimmung, also im Fight-or-flight-Modus samt Stress und Erschöpfung und einem autoritär geführten Team, das in der Folge kaum noch selbst denkt? Oder mit einem zukunftsgewandten Konzept, das Sie zusammen mit Führungskräften und Team zum Erfolg führt?“ Berechtigte Fragen, die es zu beantworten gilt, wenn man sich mit seinem Praxisteam auf den Weg in eine herausfordernde Zukunft macht.
Redaktion (sma)
Literatur
[1] Starker, V.; Roos, K.; Aguntius, F.: In ungewissen Zeiten: Zuversicht und die veränderte Rolle von Führung im Unternehmenskontext. Juli 2024.

© Verlag Vahlen
Buchtipp
Vera Starker und Dr. Katharina Roos: „Zuversicht – die neue Führungskraft“
ISBN: 978–3–8006–7603–3
Verlag Vahlen
Erschienen 18.06.2025
Buch bestellen: https://www.vahlen.de/starker-roos-zuversicht-neue-fuehrungskraft/product/37886022
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