Zecken halten weiter Einzug in Europa. Durch die klimatischen Veränderungen kommt es zur allmählichen Ausbreitung ihres Lebensraums und zur Saisonverlängerung. Dies spiegelt sich auch im ganzjährigen Auftreten von durch Zecken übertragenen Krankheiten beim Menschen wider. Und auch ganz neue Zeckenspezies finden sich zunehmend in unseren Breiten.
Zecken haben inzwischen das ganze Jahr hindurch Saison – ihre aktivste Zeit liegt aber immer noch im Frühjahr und Herbst. In heißen, trockenen Sommern und kalten Wintern suchen sie eher Schutz am Boden, um bei günstigeren Wetterbedingungen wie- der die Vegetation zu erklimmen und potenziellen Wirten aufzulauern. Kurzzeitiges Ein- frieren bei bis zu minus 20 °C überleben sie ebenso wie die klimatischen Bedingungen in zunehmend höher gelegenen Regionen – die ehemals postulierte Höhengrenze für Zecken von 1.000 Metern über dem Meeresspiegel ist längst Geschichte.1
Aber nicht nur Lebensraum und Dauer der aktiven Zeit von Zecken dehnen sich aus, auch die Anzahl der Zeckenspezies nimmt zu – und mit ihr die Vielfalt der von Zecken übertragenen Krankheitserreger. Die am häufigsten anzutreffende heimische Zeckenart ist der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), gefolgt von Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) und Reliktzecke (Haemaphysalis concinna).1 Auch die Braune Hundezecke (Rhipicephalus sanguineus) als Urlaubsmitbringsel und sogar die über Zugvögel importierten Hyalomma-Arten (Hyalomma marginatum, Hyalomma rufipes) sind inzwischen bei uns anzutreffen.
Gefahr aus dem Süden: Hyalomma auf dem Vormarsch
Zecken der Gattung Hyalomma wurden in Deutschland erstmals 2018 nachgewiesen. Im Dezember 2023 wurden zum ersten Mal sechs Exemplare auf Pferdehöfen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gefunden, die eher nicht über Zugvögel eingeschleppt wurden, sondern vermutlich in Deutschland überwintert haben. Möglich wäre ebenfalls ihr Import über Heu und Futtermittel.2
Hyalomma-Zecken sind etwa zwei- bis dreimal größer als unsere heimischen Zeckenarten und an ihren auffällig geringelten Beinen leicht zu erkennen. Mit ihren Augen können sie mögliche Wirte über bis zu zehn Meter Entfernung aufspüren und aktiv verfolgen. Ihre ursprüngliche Heimat liegt in den Trockenund Halbtrockengebieten Afrikas, Asiens und Südeuropas (Türkei, Spanien, Italien, Südfrankreich). Bedingt durch den Klimawandel dürfte sich ihr Vorkommen in den nächsten Jahren jedoch zunehmend weiter nach Norden ausdehnen.2, 3 Damit steigt auch die Gefahr der Übertragung von Krankheitserregern durch sie. In Frankreich wurde bereits das Virus des hämorrhagischen Krim-Kongo-Fiebers (CCHF) in etwa 100 Zecken gefunden, die 2022 und 2023 auf Bauernhöfen im Süden des Landes gesammelt worden waren.3 Bisher wurde dort anders als in anderen Ländern aber noch keine Infektion beim Menschen beschrieben.3 Eine Frage der Zeit?
Auf dem Balkan, in Spanien, Russland, der Türkei und Nordmazedonien sind Fälle von durch Zecken übertragenem Krim-Kongo-Fieber beim Menschen längst Realität, wenn auch äußerst selten.3 Bei einer Sterblichkeitsrate von 5–40 % ist es aber ein ernstzunehmendes Problem, zumal es derzeit weder antivirale Mittel noch Impfstoffe zur Behandlung bzw. Prävention von CCHF gibt. Nicht verwunderlich also, dass die WHO diese Infektion zu den prioritären Krankheiten zählt, die das größte Risiko für die öffentliche Gesundheit bedeuten.3
FSME-Studie TBENAGER – erste Ergebnisse
Auch andere durch Zecken übertragene Krankheiten zeigen einen Trend zur Zunahme in Europa. Die bekanntesten sind die Frühsommer- Meningoenzephalitis durch das FSME-Virus und die Lyme-Borreliose durch das Bakterium Borrelia burgdorferi. Daneben zählen auch deutlich seltener auftretende Krankheiten wie Anaplasmose (Anaplasma phagocytophilum), Schildzecken-Rückfallfieber-Borreliose (Borrelia miyamotoi), Neoehrlichiose (Candidatus Neoehrlichia mikurensis), Rickettsiose und Babesiose (einzellige Parasiten) dazu.1
Studiendaten belegen, dass zwischen 2012 und 2020 Enzephalitis-Fälle mit nordwestlicher Ausbreitung in Kontinentaleuropa zunahmen.3 In Deutschland werden jedes Jahr etwa 300 FSME- Fälle gemeldet, die Spanne lag zwischen 2001 und 2017 bei 195 bis 546. Der Großteil findet sich in Bayern und Baden-Württemberg sowie angrenzenden Gebieten in Hessen, Thüringen und Sachsen.4 Am häufigsten von FSME betroffen sind Menschen über 40 Jahre, wobei Schätzungen zufolge 70 bis 95 % der Infektionen mild bis symptomlos verlaufen. Die seltenen Fälle mit schweren neurologischen Komplikationen wie Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis sind jedoch Grund genug, die Entwicklung von Übertragungsraten und Erkrankungsfällen zu beobachten und Risikopopulationen für schwere Erkrankungsverläufe und Komplikationen zu identifizieren.
Zu diesem Zweck sind verschiedene Bemühungen zur FSME-Surveillance gestartet worden. Eine davon ist die Studie TBENAGER, deren Daten aktuell veröffentlicht wurden.5 Ziel der Studie war es, die Folgen einer FSME-Infektion zu erfassen. Die Auswertung von 523 an FSME Erkrankten ergab eine vollständige Genesung bei rund 67 % (Kinder: 95 %; Erwachsene: 64 %). Die häufigsten Folgeerscheinungen waren Müdigkeit (17 %), Schwäche (13 %), Konzentrationsschwäche (13 %) und Gleichgewichtsstörungen (12 %). Im Vergleich zu den unter 40-Jährigen lagen die Heilungsraten bei den über 50-Jährigen um 44 % niedriger und bei Kindern um 79 % höher. Schwere FSME-Fälle wiesen eine um 64 % niedrigere Heilungsrate auf als leichte Fälle, Komorbiditäten eine um 22 % reduzierte.
Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist FSME eine Belastung: 90 % der Erkrankten wurden stationär im Krankenhaus behandelt, knapp 40 % nahmen eine Reha in Anspruch; fast 90 % der Erwerbstätigen waren krankgeschrieben, vorzeitiger Ruhestand wurde von 10 % der Betroffenen beantragt. Das Fazit der Forschergruppe: Mehr als ein Drittel der Erwachsenen – in der Untergruppe der schwer Erkrankten sogar die Hälfte – und 5 % der Kinder berichteten noch 18 Monate nach ihrer FSME- Erkrankung über anhaltende Folgeschäden.5
Prävention bleibt wichtigste Maßnahme
Obwohl schwere FSME-Verläufe absolut gesehen selten sind, sind die individuellen (Morbidität) und die gesellschaftlichen Folgen (Kosten im Gesundheitswesen, Produktivitätsausfall) mitunter beträchtlich. Ein Grund mehr, über Prävention nachzudenken. Neben allgemeinen Maßnahmen zum Schutz vor Zeckenstichen besteht bei der FSME als einziger der durch Zecken übertragenen Erkrankungen zusätzlich die Möglichkeit der Schutzimpfung. In Deutschland liegt die Impfquote derzeit allerdings bei nur etwa 20 %.5 Die Mehrzahl (98 %) der 2022 übermittelten FSME-Erkrankungen (n = 546) betraf Personen, die nicht oder nur unzureichend geimpft waren (unvollständige Grundimmunisierung oder fehlende Auffrischimpfungen; Tab.). Ein hoher Anteil der auftretenden FSME-Erkrankungen wäre daher vermutlich durch eine Steigerung der Impfquoten – vor allem in Risikogebieten mit hoher FSME-Inzidenz – vermeidbar. Personen, die in Risikogebieten leben oder eine Reise dorthin planen, sowie beruflich Exponierte (Land-/Forstwirtschaft, Labore) sollten daher verstärkt über die Möglichkeit der FSME- Impfung aufgeklärt werden.6, 7
Praxis-Tipp: Hilfe erbeten!
Deutschlandweit rufen mehrere Forschungsprojekte die Bevölkerung zur Unterstützung auf, indem sie um die Einsendung von Zecken bitten. Eines der großen Projekte ist der Zecken-Atlas, kurz „ZePaK“ (Zecken und ihre Pathogene im Klimawandel), gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit sowie das Robert Koch-Institut. Ziel ist es, eine interaktive Online-Karte für eine flächendeckende Übersicht über Art und aktive Zeiträume der in Deutschland vorkommenden Zecken zu erstellen. Auch sollen neue Zeckenarten sowie potenzielle durch Zecken übertragene Krankheitserreger erfasst werden (www. zepak-rki.de/einsenden).8 Ein weiteres Projekt befasst sich mit der Gefahr der Krankheitsübertragung durch Auwald- und Hyalomma-Zecken und wird von der Tiermedizinischen Hochschule Hannover (TiHo) betreut. Auch hier wird um das Einsenden von entsprechenden Zecken gebeten (https://bit. ly/4aStSHr).8
Bericht: Dr. med. Christine Adderson-Kisser, MPH
Bild: Michael Tieck-stock.adobe.com



