Die Gastroenterologie stand im Fokus einer umfassenden Session auf dem Viszeralmedizin-Kongress in Leipzig. In den „Power Lessons“ boten sieben Experten unter dem Vorsitz von Torsten Kucharzik (Lüneburg) und Elke Roeb (Gießen) spannende Einblicke in aktuelle Entwicklungen des Fachgebiets.
Hepatologie
Den Auftakt machte Verena Keitel-Anselmino (Magdeburg) mit dem Schwerpunkt Hepatologie. Im Zentrum stand die nicht-alkoholische Fettlebererkrankung, die inzwischen als MASH (Metabolic dysfunction-associated steatohepatitis) bezeichnet wird. Basis der Therapie bleibt laut Keitel-Anselmino die Lebensstiländerung mit Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung und Bewegung. Neu ist jedoch, dass erstmals wirksame Medikamente verfügbar sind. „Der Thyroid-Beta-Agonist Resmetiron ist seit August in Europa für Patienten mit moderater bis fortgeschrittener Fibrose zugelassen. Weitere Substanzen wie Semaglutid sind bereits in den USA eingeführt“, so die Magdeburger Expertin. „Beide Präparate zeigen in Studien eine deutliche Verbesserung von Entzündungsparametern und Fibrose, sind aber nicht für Patienten ohne Fibrose oder mit manifester Zirrhose geeignet“, betonte sie. Für die hausärztliche Praxis bedeute dies, frühzeitig den Fibrosegrad zu erfassen – etwa per Fibroscan – und Betroffene rechtzeitig zur spezialisierten Versorgung weiterzuleiten. Offen bleibt, welche Rolle Kombinations- oder Sequenztherapien künftig spielen werden.
Keitel-Anselmino ging auch auf cholestatische Lebererkrankungen ein. Bei primär biliärer Cholangitis bleibt Ursodesoxycholsäure Standard der Erstlinientherapie. Neu zugelassen sind jedoch Substanzen wie Elafibranor, die zusätzliche Optionen bieten. Ein oft unterschätztes Problem sei der therapieresistente Juckreiz, der die Lebensqualität vergleichbar stark einschränken könne wie eine chronische Herzinsuffizienz oder COPD. „Erste Studien mit Gallensalz-Transportinhibitoren wie Linerixibat zeigen vielversprechende Ergebnisse. Für die primär sklerosierende Cholangitis, bislang ein therapeutisches Niemandsland, markiert die erste erfolgreiche Phase-III-Studie mit Norursodeoxycholsäure einen Meilenstein“, zeigte sich die Medizinerin erfreut. Selbst für die seltene IgG4-assoziierte Cholangitis rücke mit Inebilizumab, einem Anti-CD20-Antikörper, eine evidenzbasierte Therapie näher. Abgerundet wurde der hepatologische Block durch neue Daten zur Hepatitis D sowie zur Rolle des TIPS, der inzwischen auch bei Fundusvarizen gesichert von Vorteil ist.
Infektiologie
Gastrointestinale Infektionen zählen zu den häufigsten Gründen für Arztkontakte. Rund ein Drittel der Bevölkerung berichtet jährlich über eine Episode mit Durchfall, besonders betroffen sind Kinder und ältere Menschen. Die Prävention durch konsequente Hygiene bleibt zentral, doch auch Impfstrategien gewinnen an Bedeutung. „Eine große Phase-III-Studie belegte, dass eine Impfung gegen Clostridioides difficile nicht nur Infektionen verhindert, sondern auch den Krankheitsverlauf mildert. Für Noroviren stehen erste Phase-II-Daten zu oralen Impfstoffen zur Verfügung, die eine robuste Immunantwort zeigen“, berichtete Philipp Reuken, Jena. Er hob ebenso hervor, dass die Impfung gegen Herpes Zoster nicht nur Gürtelrose verhindere, sondern in großen Kohortenstudien auch mit einem geringeren Demenzrisiko assoziiert war.
Neben Impfungen betonte Reuken die Bedeutung rationaler Antibiotikatherapien. Neue Studien zeigten, dass bei Cholangitis eine vier- statt achttägige Behandlung ebenso wirksam sei und dass nach Gallengangsdrainage sogar zwei bis drei Tage ausreichen könnten. Ein Fallbericht zu einem spontanen Leberabszess machte deutlich, dass hypervirulente Klebsiella-Stämme inzwischen auch in Europa auftreten und in die Differenzialdiagnostik bei unklaren Oberbauchbeschwerden einbezogen werden sollten.
Dünndarm-Erkrankungen
Um Dünndarm-Erkrankungen ging es in dem Vortrag von Raja Atreya aus Erlangen. Bei Zöliakie werden derzeit neue Substanzen entwickelt, die über die glutenfreie Ernährung hinausgehen. Dazu zählen Transglutaminase-Inhibitoren oder Wirkstoffe, die die Barrierefunktion der Darmschleimhaut stabilisieren. Auch für wiederkehrende Dünndarmblutungen durch Angiodysplasien könnte Thalidomid eine therapeutische Option sein, wenngleich Nebenwirkungen den Einsatz einschränken.
Einen breiten Raum nahm Morbus Crohn in seinem Vortrag ein. „Neu zugelassene IL-23-Antikörper wie Guselkumab und Mirikizumab erweitern das Spektrum der Biologika erheblich. Sie zeigen nicht nur klinische, sondern auch endoskopische Wirksamkeit“, berichtete Atreya. Bei kurzstreckigem ilealem Befall sei eine Operation nach wie vor eine gleichwertige Alternative zu Biologika, mit dem Vorteil, dass viele Patienten danach jahrelang beschwerdefrei blieben. Allerdings würden rund ein Viertel innerhalb von fünf Jahren Rezidive entwickeln, weshalb eine frühzeitige postoperative Therapie empfohlen werde. Hier sei eine enge Kooperation zwischen Hausärzten, Gastroenterologen und Chirurgen entscheidend. Atreya erinnerte zudem an das Konzept „Treat to Target“: Therapien sollten nicht allein nach Symptomen, sondern nach objektiven Parametern wie endoskopischer Heilung gesteuert werden – ein Ansatz, der künftig stärker Einzug in die Versorgung halten dürfte.
Pankreas
Thomas Gress (Marburg) stellte aktuelle Entwicklungen rund um das Pankreas vor. Beim Pankreaskarzinom richtet sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf Biomarker, die eine frühere Diagnose ermöglichen sollen. Metabolische Signaturen könnten Hochrisikopatienten identifizieren und eine gezieltere Abklärung erlauben. Bemerkenswert sind auch Daten, die nahelegen, dass eine regelmäßige Aspirineinnahme das Risiko für ein Pankreaskarzinom bei Patienten mit neu diagnostiziertem Diabetes senkt. Bei Pankreaszysten wurde mit den neuen Kyoto-Leitlinien mehr Klarheit geschaffen: Kleine, stabile Zysten können nach fünf Jahren Kontrolle aus der Überwachung entlassen werden, insbesondere bei älteren Patienten. Damit wird Überdiagnostik vermieden, ohne das Risiko zu erhöhen.
Auch die akute und chronische Pankreatitis stand im Fokus. „Neue RNA-basierte Therapien senken die Zahl rezidivierender Episoden bei familiärer Chylomikronämie, und aktuelle Studien unterstreichen die Bedeutung einer wirksamen Prophylaxe der post-ERCP-Pankreatitis durch rektale NSAR“, fasste Gress zusammen.
Ernährung
Den Stellenwert der Ernährung in der Gastroenterologie hob Johann Ockenga, Bremen, hervor. Er erinnerte daran, dass ein Mensch im Laufe des Lebens rund 60 Tonnen Nahrung aufnimmt – ein Hinweis auf die enorme Bedeutung von Ernährungsfaktoren. Beim Reizdarmsyndrom zeigte eine Studie, dass eine intensive Ernährungsumstellung, etwa eine Low-FODMAP-Diät, einer rein medikamentösen Behandlung überlegen ist. Auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen könne Ernährung zur Remissionsinduktion beitragen, etwa in Form von Eliminationsdiäten oder mediterranen Ernährungskonzepten. Hilfreich könnten auch DiGAs sein, die Patienten beim Abnehmen oder bei der Umstellung unterstützen.
Ockenga verwies zudem auf neue Erkenntnisse zur Ernährung bei kritisch kranken Patienten: „Eine hohe Eiweißzufuhr bringt keinen Vorteil, sondern kann sogar schaden. Für die Praxis relevant ist außerdem ein Antikörper gegen den Wachstumsfaktor GDF15, der bei tumorassoziierter Kachexie erstmals eine Gewichtszunahme und Verbesserung der Muskelmasse bewirken konnte – ein Durchbruch in einem bislang kaum beeinflussbaren Feld“, so der Experte aus Bremen.
GI-Onkologie
Pavlos Missios, Tübingen, präsentierte die jüngsten Entwicklungen in der gastrointestinalen Onkologie. Hier zeigt sich ein klarer Paradigmenwechsel hin zur molekular stratifizierten Präzisionsmedizin. Neue Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, bispezifische Antikörper und Immuntherapien erweitern die Behandlungsoptionen erheblich. Besonders eindrucksvoll ist die CheckMate-8HW-Studie: „Patienten mit mikrosatelliteninstabilem Kolorektalkarzinom erzielten unter Immuntherapie ein fast zehnfach längeres progressionsfreies Überleben im Vergleich zur Standardchemotherapie“, so Missios. Patienten sollten daher frühzeitig an Zentren mit Zugang zu molekularer Diagnostik angebunden werden, da die Wahl der Therapie zunehmend von genetischen Markern abhängt.
Neurogastroenterologie
Ein eigenes Themenfeld widmete Viola Andresen, Hamburg, der Motilität und Neurogastroenterologie. Im Mittelpunkt standen die funktionellen Beschwerden, insbesondere Reizdarm und funktionelle Dyspepsie. Beide Erkrankungen sind extrem häufig – bis zu 20 % der Bevölkerung sind betroffen – und gehen mit erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität sowie hohen sozioökonomischen Kosten einher. Neu ist in diesem Jahr die erste deutsche Leitlinie zur funktionellen Dyspepsie, die neben der aktualisierten Reizdarm-Leitlinie nun eine strukturierte Orientierung bietet.
Obwohl die Beschwerden unspezifisch sind, sollte eine zuverlässige Ausschlussdiagnostik erfolgen, um „den Wolf im Schafspelz“ – also organische Erkrankungen wie Karzinome – nicht zu übersehen. Studien zeigen, dass eine frühe Endoskopie bei Dyspepsie langfristig die höchste Kosteneffektivität und Patientenzufriedenheit bringt. „Auch ohne Alarmsymptome können relevante Befunde auftreten, sodass Zurückhaltung nicht immer angezeigt ist. Persistieren die Beschwerden trotz unauffälliger Spiegelung, sollte auch an Motilitätsstörungen wie Gastroparese oder Dumping-Syndrom gedacht werden“, machte Andresen deutlich.
In der Therapie stünden zunächst Spasmolytika, Ballaststoffe, Laxantien oder Loperamid zur Verfügung, je nach Subtyp. Phytotherapeutika wie Pfefferminzöl oder Kombinationen mit Kümmel können bei Schmerzen und Blähungen hilfreich sein. Für refraktäre Fälle böten sich Medikamente wie Prucaloprid oder Linaclotid an, die allerdings in Deutschland nicht regelhaft erstattet werden. „Rifaximin hat sich als wirksam bei Blähungen gezeigt, Amitriptylin kann als niedrig dosiertes Antidepressivum Beschwerden lindern – aktuelle Studien belegen die Wirksamkeit auch im hausärztlichen Setting“, so Andresen.
Für den Reizmagen ist die Therapie differenzierter: Ob Säureblockade, Prokinetika oder Phytotherapie – die Auswahl orientiert sich an der Symptomdominanz. Interessanterweise zeigte eine aktuelle Studie, dass die pragmatische Gabe eines Protonenpumpenhemmers in der Erstlinie ebenso effektiv ist wie eine aufwendige differenzierte Therapieplanung. Ergänzend können multimodale Ansätze mit Ernährungsumstellung, Psychotherapie oder Physiotherapie helfen. „Multimodale, individualisierte Konzepte wirken besser als eine rein medikamentöse Behandlung. Sie stabilisieren Betroffene langfristig und vermeiden unnötige diagnostische Schleifen“, fasste die Expertin zusammen.
Die „Power Lessons Gastroenterologie“ machten eindrücklich deutlich, wie stark sich das Fach in allen Bereichen verändert – von neuen Medikamenten über Impfstrategien und Ernährungskonzepte bis hin zur personalisierten Onkologie.
Quelle:Viszeralmedizin 2025 vom 14.–19.10. 2026 in Hamburg



