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Transition – Übergang ganzheitlich und strukturiert: Von der Jugend- zur Erwachsenenmedizin

Transition – Übergang ganzheitlich und strukturiert: Von der Jugend- zur Erwachsenenmedizin

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Chronisch kranke Jugendliche stehen beim Wechsel in die Erwachsenenmedizin vor großen Herausforderungen. Für eine gute Versorgung ist ein geplanter, lückenloser Übergang wichtig – in der Realität klappt das jedoch oft nicht.

Wenn chronisch kranke Jugendliche erwachsen werden, stehen sie vor zahlreichen Veränderungen, die sie bewältigen müssen. Mit dem Wechsel von der pädiatrischen Gesundheitsversorgung zur Erwachsenenmedizin findet ein Übergang in andere Behandlungs- und Therapieformen statt – eine Herausforderung für die jungen Patienten, die Eltern und mitunter auch für die (weiter-) behandelnden Ärzte. Um Fehl- und Unterversorgung zu vermeiden, muss eine durchgängige Betreuung gewährleistet sein. Dies gelingt mit einem ganzheitlichen und geplanten Übergang.

JIA – nur etwa der Hälfte gelingt der Wechsel

Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) bei Kindern und Jugendlichen ist eine chronisch-entzündliche rheumatische Erkrankung der Gelenke, die trotz moderner Therapien häufig noch im Erwachsenenalter aktiv bleibt. Eine fortlaufende rheumatologische Betreuung von der pädiatrischen in die Erwachsenenversorgung ist daher unerlässlich. Dennoch gelingt ein Wechsel nur etwa der Hälfte der Betroffenen. Das zeigt eine Studie des Forschungsprojekts InfoTrans mit Beteiligung des Arbeitskreises Transitionsmedizin der DGRh. Doch woran liegt das? Die Gründe sind vielschichtig und keinesfalls nur auf die rheumatologischen Erkrankungen beschränkt.

Ursachen erkennen, Versorgungslücken schließen

Viele chronische Erkrankungen werden heute meist schon im Kindesalter erkannt und ärztlich behandelt. Mit dem Erwachsenwerden – in der Regel zum 18. Geburtstag – steht der Übergang in die Erwachsenenversorgung an, der oft nicht ohne Probleme abläuft. Unvorbereitete Wechsel oder ein zeitweiliger Herausfall aus der Versorgung können zu Fehl- und Unterversorgung führen. Mögliche Ursachen sind z.B.:

  • Mangelndes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer weiteren ärztlichen Betreuung – bei den Patienten, aber auch bei den Eltern
  • Erschwerter Zugang (z.B. sehr lange Wartezeiten) zu erforderlichen, teilweise auch fehlenden Versorgungsstrukturen
  • Unklare Zuständigkeiten: Pädiater haben Jugendliche oft nicht mehr im Fokus, weiterbehandelnde Ärzte sehen 18-Jährige häufig noch nicht als Erwachsene

Ein großes Problem sind auch die in weiten Teilen noch unstrukturierten Transitionsprozesse sowie die mangelnde Vergütung. Genau hier setzt die Transitionsmedizin an!

Transitionsmedizin – für eine koordinierte Versorgung

Die Transitionsmedizin begleitet Jugendliche und junge Erwachsene mit chronischen Erkrankungen im komplexen Prozess von der Kind-zentrierten zur Erwachsenen-orientierten Gesundheitsversorgung. Die noch junge Gesellschaft für Transitionsmedizin e.V. (GfTM) will diesen Übergang geplant und strukturiert gestalten, um Fehl- und Unterversorgung zu vermeiden. Ziel ist, chronisch kranke Heranwachsende in einer spezialisierten Betreuung zu halten, um eine koordinierte, durchgängige Versorgung zu gewährleisten. Sie setzt sich dafür ein, dass die interdisziplinäre, ganzheitliche Transition zur verbindlichen Regelleistung wird.

Nachgefragt bei PD Dr. Gundula Ernst

Frau Dr. Ernst, wie sieht ein idealer zeitlicher Übergang für Sie aus?

Ernst: Wenn wir über Transition sprechen, haben wir häufig nur den tatsächlichen Transfer im Auge, wenn also ein Jugendlicher 18 wird und wechseln muss. Ich denke, die ideale Transition beginnt viel früher, mit der Pubertät, wenn der junge Mensch zunehmend Verantwortung für sich und seine Gesundheit übernimmt. Es geht ja um chronische Erkrankungen, die meist eine sehr komplexe Therapie erfordern. Hier sind Eltern in der Pflicht, ihre Kinder anzuleiten, dass sie die Therapie zunehmend eigenverantwortlich durchführen können.

PD Dr. Gundula Ernst ist die 1. Vor-
sitzende der Gesellschaft für Transitionsmedizin. Die studierte Psychologin ist seit 1998 in der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie der MHH tätig. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Entwicklung und Erprobung von Schulungs- und Unterstützungsprogrammen für Menschen mit chronischer Krankheit.

Pädiater sollten ab einem Alter von ca. 14 Jahren beginnen, den jungen Patienten für einige Zeit auch mal alleine ohne die Eltern in der Sprechstunde zu sehen, sodass er nach und nach immer mehr Gesundheitskompetenzen entwickelt. Vor dem Wechsel ist auf jeden Fall ein Assessment sinnvoll, um zu schauen, wo der junge Patient steht. Im Rahmen einer Jugendschulung könnten dann noch Wissen und Fertigkeiten vermittelt werden, die für das Krankheitsmanagement relevant sind. Spätestens um den 17. Geburtstag sollte der Pädiater mit seinem Patienten planen, wohin ein Wechsel möglich ist und vielleicht dort auch schon gleich den ersten Termin vereinbaren.

Die Realität sieht leider etwas anders aus. Welches Problem bereitet Ihnen am meisten Sorgen?

Das größte Problem, das ich aktuell sehe, ist die Überlastung des Gesundheitssystems – egal in welchen Bereich wir schauen, ob Praxen oder Kliniken. In einer Kinderarztpraxis oder Hausarztpraxis einen Termin zu bekommen, ist momentan fast nicht möglich. Wir haben sehr lange Wartezeiten für Fachärzte. Junge chronisch kranke Menschen haben es in diesem System dann schwer, den Anschluss in die Erwachsenenmedizin zu finden. Gerade wenn es um komplexe Erkrankungen geht, sind die Kinder häufig in Spezialeinrichtungen angebunden. Da haben wir ein interdisziplinäres Team bzw. die Möglichkeit, auf ein solches zurückzugreifen. Wenn es dann in die Erwachsenenmedizin geht, liegt es in der Verantwortung des Patienten bzw. dessen Familie, diese verschiedenen Spezialisten aufzusuchen. Das ist eine herausfordernde Aufgabe, die dann häufig auch unterbleibt.

Wohin geht es nach der Pädiatrie: Zum Hausarzt oder zum Spezialisten?

Für die weitere Betreuung in der Erwachsenenmedizin braucht es einen Hausarzt oder Allgemeinmediziner, der das „Gesamtpaket“ im Blick hat, der dann auch weiß, wann es Spezialisten braucht. Viele Erkrankungen, bei denen die Patienten mit der medikamentösen Therapie gut klarkommen, z.B. Patienten mit Asthma, Neurodermitis, ADHS, sind erstmal beim Hausarzt gut versorgt – solange keine komplexen Anpassungen stattfinden müssen und es zu keinen schweren Exazerbationen kommt. Es sollte aber regelmäßig ein Termin beim Spezialisten gemacht werden.

Bei komplexen oder sehr seltenen Erkrankungen ist häufig eine direkte Überleitung zum Spezialisten sinnvoll, z.B. beim Typ-1-Diabetes zum Diabetologen oder bei seltenen Stoffwechselerkrankungen zum Endokrinologen.

Wie können Sie die Patienten beim Übergang ­unterstützen?

Das Wichtigste ist, Patienten zu Experten ihrer eigenen Gesundheit zu machen. D.h. sie sollten wissen, wie ihre Erkrankung heißt, welche Medikamente sie nehmen, welche Faktoren Einfluss auf ihre Gesundheit haben und dass sie sich trauen, im Arztgespräch für sich einzustehen. Wir machen hin und wieder Workshops für Jugendliche mit chronischen Erkrankungen und dann üben wir z.B. das erste Arztgespräch. Ich ermutige Patienten auch immer, sich in Selbsthilfegruppen auszutauschen. Gerade soziale und rechtliche Fragen können meistens über die Selbsthilfe geklärt werden. Sie kann den Patienten und deren Familien wichtiges Handwerkszeug mitgeben, beraten und unterstützen.

Interview: Brigitte Funk

Bildquelle: Studio-Romantic – stock.adobe.com

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