Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat entschieden, den monoklonalen Antikörper (mAk) Nirsevimab für alle Neugeborenen und Säuglinge unabhängig von möglichen Risikofaktoren in ihrer ersten Respiratorische Synzytial-Viren (RSV-)Saison zu empfehlen. Wie ist diese Empfehlung konkret umzusetzen?
Die STIKO-Empfehlung enthält erfreulicherweise detaillierte Anmerkungen zur Umsetzung: Säuglinge, die zwischen April und September geboren sind, sollen den Antikörper möglichst im Herbst vor Beginn ihrer ersten RSV-Saison erhalten. Neugeborene jeglichen Gestationsalters, die während der RSV-Saison (meist zwischen Oktober und März) geboren werden, sollen die Impfung möglichst rasch nach der Geburt erhalten, idealerweise bei Entlassung aus der Geburtseinrichtung bzw. bei der U2-Untersuchung (dritter bis zehnter Lebenstag). Neugeborene mit postnatal längerem stationärem Aufenthalt sollten rechtzeitig vor der Entlassung geimpft werden, wenn der Aufenthalt in die RSV-Saison fällt.
Eine passive Immunisierung mit Nirsevimab kann auch bereits während des Klinikaufenthalts erwogen werden, wenn dies zur Vermeidung von nosokomialen Infektionen sinnvoll erscheint. Eine versäumte Impfstoff-Gabe soll innerhalb der ersten RSV-Saison schnellstmöglich nachgeholt werden. Die Einmaldosis der Substanz wird intramuskulär (i.m.) in den anterolateralen Oberschenkel verabreicht. Nirsevimab kann gleichzeitig mit oder in beliebigem Abstand zu den Standardimpfungen des Säuglingsalters verabreicht werden. Bei Säuglingen, die bereits eine labordiagnostisch gesicherte RSV-Infektion durchgemacht haben, ist in der Regel keine Nirsevimab-Prophylaxe erforderlich.
Sondersituation: RSV-Immunisierung während der Schwangerschaft
Für gesunde Neugeborene, deren Mütter während der aktuellen Schwangerschaft eine RSV-Impfung erhalten haben, ist in der Regel keine Nirsevimab-Gabe erforderlich. Handelt es sich um Neugeborene mit bekannten Risikofaktoren oder wurde die maternale Impfung in einem Zeitraum von weniger als zwei Wochen vor der Geburt verabreicht, wird zusätzlich eine RSV-Prophylaxe mit dem Impfstoff empfohlen. Die STIKO empfiehlt diese maternale Impfung derzeit (noch) nicht, da es nicht ausreichend viele Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit dieser Impfung während der Schwangerschaft gebe. Der Impfstoff Abrysvo ist aber für diese Indikation zugelassen. Die STIKO hat bereits angekündigt, zu diesem Thema noch gesondert Stellung zu nehmen.
Sondersituation: Neugeborene und Säuglinge
mit Risikofaktoren
Die Empfehlung zur Prophylaxe mit Nirsevimab betrifft insbesondere auch Neugeborene und Säuglinge mit bekannten Risikofaktoren für eine schwere RSV-Infektion wie zum Beispiel Frühgeburtlichkeit oder schwere Herzfehler. Für diese Risikogruppe bietet Nirsevimab eine Alternative zur bisher gängigen Immunisierung mit Palivizumab. Bei Kindern mit bekannten Risikofaktoren kann individuell über die Anwendung von Palivizumab oder Nirsevimab entschieden werden. Eine parallele oder sequenzielle Gabe von Palivizumab und Nirsevimab wird nicht empfohlen.
Ende Juni 2024 hat die EMA die Zulassung für Nirsevimab erweitert bis zum 24. Lebensmonat, „wenn in der zweiten RSV-Saison noch ein erhöhtes Risiko besteht für schwere RSV-Erkrankungen“. Die STIKO-Empfehlung betrifft diese Altersgruppe (noch) nicht! Die Begründung der STIKO zu ihrer Entscheidung ist ausführlich
im Epidemiologischen Bulletin 26/2024 nachzulesen.
Impfstoffe für Erwachsene
Die aktuelle STIKO-Empfehlung richtet sich ausschließlich an Säuglinge und Kleinkinder, für die es derzeit noch keine aktive Impfung gibt. Mit Abrysvo und Arexvy stehen in Deutschland zwar zwei Vakzine zur Verfügung, die EMA-Zulassung von Abrysvo umfasst aber nur Menschen ab 60 Jahren und schwangere Frauen. Arexvy richtet sich laut Zulassung ausschließlich an Personen ab 60 Jahren. Auch die Ende Juni von der EMA erteilte Zulassung für einen ersten RSV-mRNA-Impfstoffes (mResvia) betrifft nur diese Altersgruppe.
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) empfiehlt dagegen eine RSV-Schutzimpfung bei immundefizienten Patienten mit hämatologischen oder onkologischen Erkrankungen. Und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin rät Menschen ab 60 Jahren bzw. Patienten mit pulmonalen oder kardiovaskulären Vorerkrankungen, sich impfen zu lassen. Die Kostenübernahme ist vorab mit der Krankenkasse zu klären.
So funktioniert der neue Antikörper-Impfstoff
Nirsevimab ist ein Antikörper, der nach Verabreichung einen sofortigen Schutz gegen RSV-Erkrankungen bietet und bei zeitgerechter Gabe über die gesamte erste RSV-Saison schützt. Der Impfstoff ist sicher und wird in der Regel gut vertragen. Doch wie funktioniert Nirsevimab? RSV benötigt das Fusionsprotein (F-Protein), ein Glykoprotein auf der Oberfläche, um mit Wirtszellen zu fusionieren und diese zu infizieren. Nirsevimab bindet spezifisch an das F-Protein von RSV, und zwar sowohl in seiner Präfusions- als auch in seiner Postfusions-Konformation. Dadurch verhindert Nirsevimab, dass RSV mit den Wirtszellen fusioniert und diese infiziert. Der Antikörper blockiert den Eintritt des Virus in die Zellen und unterbricht somit den Infektionszyklus. Diese Neutralisation stoppt die Vermehrung des Virus und reduziert die Viruslast im Körper.
Key Points
Bei Säuglingen in Deutschland sind RSV-Infektionen die häufigste Ursache für Krankenhauseinweisungen.
Neugeborene und Säuglinge sind vor allem in ihren ersten sechs Lebensmonaten besonders gefährdet, schwer an RSV zu erkranken.
Die große Mehrheit der schweren RSV-Erkrankungen tritt bei zuvor gesunden Säuglingen auf.
In den ersten zwei Lebensjahren infizieren sich 100 % aller Kinder.
In 10 % der Fälle kommt es zu Infektionen der unteren Atemwege.
Von diesen Patienten werden 2 % hospitalisiert.
Autor:
Dr. med.
Ulrich Enzel
Kinder- und Jugendarzt, Allergologe in
Schwaigern
Abb.: © zinkevych/stock.adobe.com



