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Sex mit Patienten: Einvernehmlichkeit schützt nicht vor Strafe

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Sex mit Patienten: Einvernehmlichkeit schützt nicht vor Strafe

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Sexuelle Kontakte zwischen Ärzten oder Therapeuten und ihren Patienten können auch bei ausdrücklicher Einwilligung beider Parteien strafbar sein. Der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§ 174c StGB) zielt auf den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Patienten, die sich in einem strukturellen Abhängigkeitsverhältnis befinden. Die rechtliche Bewertung hängt maßgeblich davon ab, ob das Vertrauensverhältnis missbraucht wurde und ob sich die Beteiligten „auf Augenhöhe“ begegnet sind.

Die rechtliche Problematik

Die Frage, ob sexuelle Kontakte zwischen Ärzten oder Therapeuten und ihren Patienten strafbar sind, beschäftigt regelmäßig die Gerichte. Das grundsätzliche Problem liegt in der strukturellen Asymmetrie des Behandlungsverhältnisses: Ärzte und Therapeuten verfügen über eine besondere Vertrauens- und Autoritätsstellung, die Patienten in eine potentiell vulnerable Position bringt. Die aktuelle Rechtsprechung, insbesondere ein wegweisendes Urteil des Oberlandesgerichts Hamm aus dem Jahr 2022, verdeutlicht, dass die bloße Einwilligung des Patienten in sexuelle Handlungen den Arzt oder Therapeuten nicht vor strafrechtlicher Verfolgung schützt.

Der Paragraph 174c des Strafgesetzbuchs stellt sexuelle Handlungen unter Strafe, die im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses unter Missbrauch dieses Verhältnisses stattfinden. Bei einer Verurteilung drohen Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Neben den strafrechtlichen Konsequenzen sind jedoch die berufsrechtlichen Folgen oft gravierender: Eine Verurteilung führt häufig zum Widerruf der ärztlichen oder therapeutischen Approbation und damit zum Ende der beruflichen Laufbahn.

Das Abstinenzgebot im ärztlichen Berufsrecht

Das Abstinenzgebot für Ärzte ist in den Berufsordnungen der Landesärztekammern verankert und verpflichtet Mediziner, eine professionelle Distanz zu ihren Patienten zu wahren. Es untersagt sexuelle Kontakte während eines bestehenden Behandlungsverhältnisses, unabhängig davon, ob diese einvernehmlich sind oder außerhalb der eigentlichen Behandlungssituation stattfinden. Dieses berufsrechtliche Verbot steht in engem Zusammenhang mit § 174c StGB, geht aber teilweise darüber hinaus. Es gilt für alle Heilberufe, einschließlich Psychotherapeuten, Physiotherapeuten und andere medizinische Fachkräfte.

Verstöße gegen das Abstinenzgebot können unabhängig von einer strafrechtlichen Verfolgung zu berufsrechtlichen Sanktionen führen. Diese reichen von Verwarnungen und Geldbußen bis hin zum temporären oder dauerhaften Entzug der Berufserlaubnis. Besonders problematisch ist, dass selbst bei gegenseitig gewollten sexuellen Kontakten nachträglich – oft nach dem Ende der Beziehung – Missbrauchsvorwürfe erhoben werden können.

Wann liegt ein Missbrauch vor?

Ein wegweisendes Urteil in dieser Frage stammt vom Oberlandesgericht Hamm (Az.: 5 RVs 60/22 vom 27.09.2022). Der Fall betraf einen Orthopäden, der mit einer Patientin während einer laufenden Behandlung mehrfach sexuelle Handlungen vornahm. Obwohl beide Seiten die Kontakte als einvernehmlich beschrieben, wurde der Arzt zunächst vom Amtsgericht Essen wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Das Landgericht Essen sprach den Arzt in der Berufung frei, da es keinen Missbrauch der Vertrauensstellung erkannte. Das OLG Hamm hob diesen Freispruch jedoch auf und betonte, dass die bloße Einwilligung der Patientin nicht ausreiche, um eine Strafbarkeit auszuschließen.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung (BGH, 29.06.2016 – 1 StR 24/16) klargestellt, dass nicht jeder sexuelle Kontakt im Rahmen eines Behandlungsverhältnisses per se missbräuchlich ist. Ein Missbrauch liegt dann nicht vor, wenn die sexuelle Beziehung bereits vor Beginn des Behandlungsverhältnisses bestand, die Vertrauensbeziehung zum Arzt für die sexuellen Kontakte ohne Bedeutung war, oder die Beteiligten sich tatsächlich „auf Augenhöhe“ begegnet sind.

Fallkonstellationen und Abgrenzungskriterien

Situationen, die typischerweise den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs nach § 174c StGB erfüllen, sind beispielsweise, wenn ein Arzt seine Autorität nutzt, um eine Patientin zu sexuellen Handlungen zu überreden, ein Therapeut sexuelle Handlungen als Teil der Behandlung darstellt, oder sexuelle Kontakte mit Patienten stattfinden, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung oder unter Medikamenteneinfluss in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind.

Es gibt jedoch auch Konstellationen, in denen trotz sexueller Kontakte zwischen Arzt und Patient kein strafbarer Missbrauch vorliegt. Dies ist etwa der Fall, wenn die sexuelle Beziehung bereits vor Beginn des Behandlungsverhältnisses bestand, der Patient und der Arzt sich außerhalb des Behandlungskontextes begegnen und eine Beziehung entwickeln, die von der Behandlung unabhängig ist, oder wenn eine frühere Behandlung längst abgeschlossen ist und keinen Einfluss auf die später entstehende Beziehung hat.

Präventive Maßnahmen und Verhaltensempfehlungen

Für Ärzte und Therapeuten, die eine persönliche oder intime Beziehung zu einem Patienten in Betracht ziehen, gibt es nur einen sicheren Weg, rechtliche Konsequenzen zu vermeiden: die Beendigung des Behandlungsverhältnisses vor Aufnahme jeglicher privater Kontakte. Dies sollte dokumentiert und idealerweise mit einer Überweisung an einen Kollegen verbunden sein. Es empfiehlt sich zudem, nach Beendigung des Behandlungsverhältnisses eine angemessene „Karenzzeit“ verstreichen zu lassen, bevor private Kontakte aufgenommen werden.

Bei Vorwürfen eines sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses ist eine sofortige anwaltliche Beratung durch einen auf Medizinstrafrecht spezialisierten Rechtsanwalt unerlässlich. Von zentraler Bedeutung ist dabei, keine unüberlegten Aussagen gegenüber Ermittlungsbehörden zu machen. Die Verteidigung sollte zunächst vollständige Akteneinsicht nehmen und die Vorwürfe sorgfältig analysieren, bevor eine Stellungnahme erfolgt.

Die rechtliche Bewertung sexueller Kontakte zwischen Ärzten/Therapeuten und Patienten bewegt sich im Spannungsfeld zwischen dem Schutz vulnerabler Patienten einerseits und dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aller Beteiligten andererseits. Die Rechtsprechung versucht, diesem Spannungsverhältnis durch eine differenzierte Einzelfallbetrachtung gerecht zu werden. Entscheidend ist dabei stets die Frage, ob das besondere Vertrauensverhältnis ausgenutzt wurde oder ob sich die Beteiligten tatsächlich auf Augenhöhe begegneten. Die bloße Einwilligung des Patienten reicht jedenfalls nicht aus, um eine Strafbarkeit auszuschließen.

Für Ärzte und Therapeuten gilt daher der klare Grundsatz: Sexuelle Kontakte zu Patienten sollten grundsätzlich vermieden werden. Falls sich dennoch eine persönliche Beziehung entwickelt, ist das Behandlungsverhältnis vorher klar zu beenden und zu dokumentieren. Nur so lässt sich das erhebliche strafrechtliche und berufsrechtliche Risiko minimieren, das mit sexuellen Kontakten im Rahmen von Behandlungsverhältnissen verbunden ist.

Quellenverzeichnis:
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 27.09.2022, Az. 5 RVs 60/22
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.06.2016, Az. 1 StR 24/16
Strafgesetzbuch (StGB), § 174c – Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses
Zurstraßen, A. (2023). Ist auch einvernehmlicher Sex mit Patienten strafbar? Schmerzmedizin, 39, 78.
Patsch, A. (2023). Abstinenzgebot während eines Arzt-Patienten-Verhältnisses. Medizinstrafrecht-bundesweit.de
Losert, M. (2024). Ärzte können sich auch bei einvernehmlichem Sexualkontakt mit Patienten strafbar machen. ChefärzteBrief, 2/2024.

Bildquelle:© Robert Kneschke – stock.adobe.com

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