Immer häufiger fallen in der ärztlichen Sprechstunde auf die Frage nach den Beschwerden Schlagworte wie Abgespanntheit, ständige Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Auch hier kann die Phytotherapie bei der Behandlung unterstützen. Aufgeteilt auf zwei Beiträge wird im ersten Beitragsteil zunächst die depressive Verstimmung näher beleuchtet und das konkrete Fallbeispiel aus der Praxis vorgestellt, während im zweiten Teil (Ausgabe 3/25 von Der Allgemeinarzt) dann die Schlafstörungen und die Behandlungsstrategie fokussiert werden.
Schlechter Schlaf, bedrückte Stimmungslage, fehlende Motivation – diese beispielhaft genannten Stichworte sind täglich in der allgemeinärztlichen Sprechstunde zu hören. Und gefühlt nehmen diese Aussagen in der Praxis ständig zu, verbunden mit dem Hinweis, dass „alles zu viel ist“. Objektiv ist diese Einschätzung auch zutreffend, schaut man sich die Zahl und Dauer korrespondierender Krankmeldungen an. Ursächlich spielen die unterschiedlichsten Faktoren eine Rolle, die zumeist noch reziproker Art sind.
Depressive Verstimmung
Die hinlänglich bekannte Tatsache zunehmender psychischer Erkrankungen und deren Folgen wird in der S3-Nationalen VersorgungsLeitlinie „unipolare Depression“ thematisiert. Dabei wird ein breites Spektrum diagnostischer und therapeutischer Ansätze thematisiert, in welcher der Phytotherapie ein definierter Stellenwert zugesprochen wird. Im Wesentlichen handelt es sich um Johanniskraut, das zu den am besten untersuchten Arzneipflanzen zählt: Es ist ein experimentell und in Studien überzeugend belegtes Antidepressivum, zu dem auch ein Cochrane-Review vorliegt, wonach hochdosierte Johanniskrautextrakt-Präparate bei leicht- und mittelgradigen depressiven Episoden wirksam sind. Die wesentlichen Inhaltsstoffe sind Hypericin, Hyperosid und Hyperforin, wobei der Gesamtextrakt die Wiederaufnahme von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin modifiziert. Gemäß der S3-Leitlinie „kann nach Aufklärung über die spezifischen Nebenwirkungen und Interaktionen ein erster Therapieversuch auch mit einem als Arzneimittel für diesen Indikationsbereich zugelassenen Johanniskrautpräparat angeboten werden“. Diese Arzneimittel sind verschreibungspflichtig und GKV-verordnungsfähig.
Aus der Praxis bekannt und klinisch evaluiert ist die Erkenntnis, dass sich der volle Wirkungseintritt von Johanniskrautextrakt erst nach mehrwöchiger Anwendung einstellt; hochdosierte Präparate sollten nur morgens eingenommen werden, da ansonsten die Einschlafbereitschaft herabgesetzt werden kann. Summarisch lässt sich Johanniskraut als gut verträgliches und von Patienten akzeptiertes Antidepressivum beschreiben: Es reduziert die antidepressive Symptomatik sowie komorbide Symptome wie Schlafstörungen und somatoforme Beschwerden. Einen praxisrelevanten Stellenwert haben
Johanniskrautpräparate auch in der Perimenopause, wenn Niedergeschlagenheit und Verstimmungszustände dominieren. Die genannten Präparate lassen sich mit anderen Therapiemaßnahmen bei menopausalen Symptomen kombinieren (vgl. Der Allgemeinarzt 16/2024).
Johanniskraut: Wechselwirkungen und Kontraindikation
Wechselwirkungen und Gegenanzeigen sind bedingt durch die Verstoffwechselung von Johanniskraut über das Cytochrom-P450-Enzymsystem der Leber, was u.a. Wechselwirkungen mit oralen Kontrazeptiva bedingen kann; Vorsicht ist insbesondere geboten bei der gleichzeitigen Einnahme von Ciclosporin, Tacrolimus sowie Indinavir und Imatimib, was in der jeweiligen Fachinformation dargelegt ist. Auf Basis klinischer Studien mit Johanniskrautextrakt liegt die Rate unerwünschter Ereignisse auf Placebo-Niveau, jedoch signifikant niedriger als bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und anderen chemisch-synthetischen Antidepressiva (Trizyklika), jedoch bei vergleichbarer Wirksamkeit (vgl. Cochrane-Review).
Ginkgo biloba als Option
Einen optionalen Ansatz zur Behandlung von Phasen depressiver Verstimmung und assoziierter Symptome wie Angstzustände und kognitive Störungen bietet auch Ginkgo biloba. Die korrespondierenden Daten beziehen sich ausschließlich auf den Spezialextrakt EGb 761, der zu den am besten untersuchten Phytopräparaten gehört und durch zahlreiche kontrollierte Studien sowie experimentelle Untersuchungen belegt ist. Die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe sind im wesentlichen Ginkgolide, Flavonoidglykoside und Procyanidine, deren Wirkung auf einer verbesserten mitochondrialen Funktion durch antioxidative Effekte basiert. Auch kann die beim demenziellen Syndrom häufig auftretende depressive Verstimmung bei morgendlicher Einnahme von 240mg des genannten Spezialextrakts behandelt werden, zudem lassen sich altersbedingte kognitive Beeinträchtigungen verbessern. Diese Empfehlung wird auch bestätigt in der S3-Leitlinie „Demenzen“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) sowie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) unter Beteiligung der DEGAM.
In meiner Praxis hat sich die freie Kombination von Johanniskrautextrakt und Ginkgo biloba Spezialextrakt bei morgendlicher Einnahme zur Therapie depressiver Verstimmung bewährt. Die längerfristige Anwendung orientiert sich am Befinden des Patienten und ist Bestandteil eines multi-modalen Settings. Dazu gehört auch die in der zitierten Leitlinie formulierte Empfehlung, wonach „Bewegungs- und Sporttherapien möglichst in Gruppen empfohlen wird“, vergleichbares gilt für die Ergotherapie.
Eine weitere Gruppe von Arzneipflanzen zur Behandlung von Stress-induzierter Erschöpfung und damit assoziierter reaktiver Depression und Angstsymptomen sind die pflanzlichen Adaptogene (vgl. Der Allgemeinarzt 1/2025). Im Hinblick auf die zunehmende Forschung und den vorliegenden Daten ist insbesondere auf die Rosenwurz hinzuweisen; die Einnahme morgens und mittags einer Tablette (=200mg) ist praxisbewährt.
Psyche und Leber
Traditionelles Verständnis und Sichtweise der europäischen Naturheilkunde bieten einen weiteren Therapieansatz. Demnach steht der Funktionskreis der Leber in einem engen Zusammenhang mit Psyche und Allgemeinbefinden wie Müdigkeit, Depressionen, Leistungsminderung und Schlafstörungen. Unter diesem Aspekt werden zur Behandlung hepatogene Arzneipflanzen eingesetzt. Dieser empirische Ansatz basiert auf der Beobachtung, wonach eine Behandlung der Leber – zumindest längerfristig – zu einer psychischen Stabilisierung und Besserung des Allgemeinbefindens beitragen kann. Unter den pflanzlichen Lebertherapeutika hat die Mariendistel den größten Stellenwert; der Extrakt wird auch zur unterstützenden Therapie bei chronisch-entzündlichen Hepatopathien sowie bei Leberzirrhose Studien basiert eingesetzt.
Das wirksamkeitsbestimmende Naturstoffgemisch Silymarin zeigt experimentell wie auch klinisch hepatoprotektive Wirkungen. Die Anwendung von Mariendistel-Extraktpräparaten bei depressiver Verstimmung folgt dem off-label-use und bewährt sich auch zur Begleitmedikation von Antidepressiva. Eine vergleichbare Anwendung ist mit der Artischocke möglich, die den Hauptwirkstoff Cynarin sowie Bitterstoffe enthält. Die hepatoprotektive und antioxidative Wirkung des standardisierten Extrakts ist klinisch belegt. Im Übrigen haben Artischocken-Extraktpräparate bei leichteren Formen von Fettstoffwechselstörungen einen etablierten Stellenwert in der Phytotherapie.
Zumindest erwähnt werden sollen zwei weitere Pflanzen: Curcuma und Löwenzahn, deren jeweilige Inhaltsstoffe eine die Leberfunktion unterstützende Wirkung zeigen. Dennoch stehen beide Arzneipflanzen nur als Nahrungsergänzungsmittel, nicht jedoch als Arzneimittel zur Verfügung. Indirekt wird dieser Ansatz auch in der S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ thematisiert: „Forschungsergebnisse zur Rolle der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse deuten darauf hin, dass sich das Darmmikrobiota von Patientinnen uns Patienten mit depressiven Störungen von dem gesunder Kontrollpersonen unterscheidet.“
Autor: Dr. med. Markus Wiesenauer
Quelle: Der Allgemeinarzt
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