Müdigkeit ist ein häufiges, aber sehr unspezifisches Symptom, mit dem Hausärzte und -ärztinnen regelmäßig konfrontiert werden. Eine Ursache können schlafbezogene Atemstörungen sein. Doch jeden Verdachtsfall zur Abklärung in ein Schlaflabor zu schicken, ist weder wirtschaftlich noch praktikabel. Die Polygraphie bietet hier die Möglichkeit, vorab zu selektieren, bei wem die Überweisung lohnt.
Tagesmüdigkeit ist mit einer Prävalenz von 20–26 % ein häufiges Phänomen. Eine ihrer zahlreichen Ursachen kann ein gestörter Schlaf sein. Besteht der Verdacht auf eine schlafbezogene Atemstörung (SBAS), werden eine genauere Diagnostik und ggf. Therapie notwendig. Als SBAS bezeichnet man Störungen, die ausschließlich oder überwiegend im Schlaf auftreten, diesen beeinträchtigen und seine Erholungsfunktion reduzieren. Charakteristisch für SBAS sind Hypo- oder Apnoen mit oder ohne pharyngeale Obstruktion und Hypoventilation. Auch Hypoxämie, Hyperkapnie und Azidose können auftreten. Die „International Classification of Sleep Disorders“ (ICSD-3) unterscheidet mehrere Formen der SBAS, die von der obstruktiven Schlafapnoe (mit einer Prävalenz von bis zu 46 %1) über zentrale Schlafapnoen, schlafbezogene Hypoventilationen bis hin zu schlafbezogener Hypoxie und isolierten Symptomen wie Schnarchen oder Katathrenie (Stöhnen im Schlaf) reichen.
Die Folgen des nicht erholsamen Schlafs sind zahlreich. Betroffene berichten von einer zum Teil ausgeprägten Tagesschläfrigkeit, die sie vermehrt für Unfälle prädisponiert. Aber auch organische Auswirkungen wie Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, pulmonale, atherosklerotische Veränderungen bis hin zu Herzinfarkt und Schlaganfall können auf SBAS zurückgeführt werden. In der S3-Leitlinie „Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen“ wird daher das rechtzeitige Erkennen und Behandeln empfohlen. So kann das Unfallrisiko gesenkt, die Lebensqualität der Betroffenen verbessert und nicht zuletzt Morbidität und Mortalität reduziert werden. Auch Kosten im Gesundheitswesen, die durch eine unbehandelte SBAS entstehen, lassen sich dadurch senken. Doch nicht jede Person mit Verdacht auf eine SBAS sollte sofort zur polysomnographischen Untersuchung in ein Schlaflabor überwiesen werden. Es gilt vielmehr, eine gute Balance zwischen Über- und Unterversorgung zu finden. Dabei hilft eine individuelle Indikationsstellung. Hier sollten Aspekte wie Prätestwahrscheinlichkeit (liegt überhaupt ein erhöhtes SBAS-Risiko vor?), Komorbiditäten, der mögliche prognostische Nutzen sowie die potenziellen Nebenwirkungen der Untersuchung und ihre Konsequenzen berücksichtigt werden.
Die Polygraphie als Instrument der Vorabtestung
Gerade bei Personen mit kardiovaskulären oder metabolischen Vorerkrankungen ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen SBAS erhöht. Das Einleiten einer Therapie könnte die entsprechenden Risikofaktoren reduzieren. Andererseits kann die Therapie der SBAS – häufig in Form einer nächtlichen Maskenbeatmung mit kontinuierlichem positivem Atemwegsdruck (CPAP) – auch mit unangenehmen Faktoren wie gestörtem Schlaf, psychosozialen Schwierigkeiten und nicht zuletzt Kosten einhergehen. Eine Übertherapie sollte daher vermieden werden. Ein pragmatischer Ansatz ist hier die Polygraphie, die quasi als Vortestung im häuslichen Umfeld durchgeführt werden kann, um diejenigen zu detektieren, die einer ausführlichen Diagnostik im Schlaflabor zugeführt werden sollten. Aber auch hier sollte vorab evaluiert werden, wer ein erhöhtes Risiko für eine SBAS hat. Eine genaue Anamnese, das Erheben der Komorbiditäten und Risikofaktoren sowie validierte Fragebögen wie STOP, STOP-BANG und Epworth Sleepiness Scale dienen dazu, die Prätestwahrscheinlichkeit festzulegen. Diese gibt an, ob die zu untersuchende Person überhaupt ein erhöhtes Risiko für eine SBAS hat und somit eine polygraphische Untersuchung erhalten sollte. Denn je niedriger die Prätestwahrscheinlichkeit, desto höher die Anzahl der falsch-positiven Testergebnisse.
Empfehlungen zur Diagnostik vor Polygraphie
Einen Standard zur quantitativen Evaluation der Prätestwahrscheinlichkeit und damit eine Gradeinteilung als Entscheidungshilfe für die Indikation zur weiteren Diagnostik gibt es noch nicht. Dennoch spricht die Deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM) einige Empfehlungen zu geeigneten Fragebögen und Instrumenten aus, die in den Tabellen 1 und 2 zusammengefasst sind. Ihre Aussagekraft, dargestellt anhand des positiv prädiktiven Werts, also des Anteils der positiv getesteten Personen, bei denen auch tatsächlich eine SBAS vorliegt, nimmt allerdings bei allen Tools mit zunehmender Anzahl an Hypo- und Apnoen pro Stunde (AIH) ab.
Tabelle 1
| Obstruktive Schlafapnoe | Zentrale Schlafapnoe | Hypoventilation | ||
| Diagnostische Verfahren FragebögenLeistungs-Vigilanz-Tests1–3 Kanal Polygraphie4–6 Kanal PolygraphiePolysomnographie | (+) (+) (+) + + | (+) – (+) (+) + | – – – (+) + | |
| Fragebögen und Instrumente der Vigilanzdiagnostik ESSBerlin QSTOP-BANGWaist to heigthPVT, Osler, DASSMSLT/MWT | (+) (+) (+) (+) (+) (+) | – (+) – – – (+) | – – – – – (+) | |
| + Verwendung empfohlen, (+) unter bestimmten Voraussetzungen Anwendung möglich, – die Methode ist hier weder empfohlen noch abgelehnt, d. h. die Anwendung ist ohne Evidenz, nicht möglich, unöko- nomisch oder sinnlos | ||||
| AHI ≥ 5 | AHI ≥ 15 | AHI ≥ 30 | ||||||||
| Sensitivität | Spezifität | Positiv prä- diktiver Wert | Sensitivität | Spezifität | Positiv prä- diktiver Wert | Sensitivität | Spezifität | Positiv prä- diktiver Wert | ||
| ESS > 10 | – | – | – | 39 | 71,4 | 64,8 | 46,1 | 70,4 | 68,7 | |
| Berlin-Q | 86 | 25 | 91,7 | 91 | 28 | 73,4 | 89 | 18 | 45,9 | |
| STOP-BANG | 90 | 42 | 93,7 | 93 | 28 | 73,9 | 96 | 21 | 48,6 | |
| Klinischer Score | 33 | 83 | 95 | 35 | 78 | 77,5 | 36 | 72 | 50 | |
| Polygraphie | 87 | 67 | 96,2 | 77 | 95 | 97,1 | 50 | 93 | 84,8 | |
| AHI: Anzahl der Hypo- und Apnoen pro Stunde; der „klinische Score“ setzt sich zusammen aus Schnarchen, Alter, Blutdruck, männl. Geschlecht | ||||||||||
Auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) empfiehlt in ihrer S3-Leitlinie „Müdigkeit“ für die Diagnostik eine genaue Anamnese (1a-5, A), ein Screening auf Depressionen und Angststörungen (1a, A) sowie die Evaluation von Schlafverhalten und -qualität (1a-4, A).1 Als Kernkriterien werden Schnarchen, beobachtete Atempausen und imperative Schlafneigung am Tag oder Einschlafen beim Autofahren angesehen. Aber auch Leistungsminderung, ein hoher Blutdruck – besonders bei nächtlicher Persistenz – und Herzrhythmusstörungen können als Indikation für die Durchführung einer Polygraphie angesehen werden.
Bei unauffälligem Befund kann auf eine Überweisung ins Schlaflabor verzichtet werden. Auffällige Werte sollten jedoch eine stationäre Einweisung in ein Schlaflabor zur genauen Abklärung und gegebenenfalls Therapieeinleitung nach sich ziehen. Bei Patienten mit bereits bestehender CPAP-Therapie wird die ambulante Polygraphie auch zur jährlichen Überprüfung der Einstellungen angewendet und erspart so die Nacht im Schlaflabor.
Voraussetzungen für die Vergütung
Um die Polygraphie in der Hausarztpraxis unter wirtschaftlichen Aspekten durchführen zu können, muss eine Abrechnungsgenehmigung bei der Kassenärztlichen Vereinigung beantragt werden. Für deren Erhalt werden bestimmte fachliche Voraussetzungen gefordert. Hält der Behandler oder die Behandlerin nicht die Zusatzbezeichnung „Schlafmedizin“, kann die kardiorespiratorische Polygraphie trotzdem nach § 4 Abs. 2 der QSV vergütet werden, wenn die Facharztbezeichnung „Innere und Allgemeinmedizin“ bzw. die Gebietsbezeichnung „Allgemeinmedizin“ vorliegt und die erfolgreiche Teilnahme an einem Kurs mit Erwerb der Qualifikation zur Diagnostik und Therapie der Schlafapnoe nach Richtlinie G-BA (früher „BUB-Kurs“) nachgewiesen werden kann. Der Kurs muss 30 Stunden an mindestens fünf Tagen innerhalb von sechs Monaten umfassen und in den letzten zwölf Monaten vor Antragstellung erfolgt sein. Auch das Polygraphiegerät muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um die Abrechnungsgenehmigung zu erhalten. Der G-BA fordert diesbezüglich die simultane Ableitung folgender Parameter über eine mindestens sechsstündige Schlafphase:
- Registrierung der Atmung (Atemfluss, Schnarchgeräusche)
- Oxymetrie (Sättigung des oxygenierbaren Hämoglobins)
- Aufzeichnung der Herzfrequenz (EKG oder pulsoxymetrische Pulsmessung)
- Aufzeichnung der Körperlage
- Messung der abdominalen und thorakalen Atembewegungen
- Maskendruckmessung bei Einsatz eines CPAP-Gerätes
Autorin: Dr. med. Christine Adderson-Kisser, MPH
Abb.: AdobeStock/Paolese



