Definition und Epidemiologie
Das Restless Legs Syndrom (RLS) zählt mit einer Lebenszeitprävalenz von etwa 10% in der Gesamtbevölkerung zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen und stellt die häufigste Bewegungsstörung im Schlaf dar. Mit einem mittleren bis schweren Verlauf bei 1,3% der deutschen Bevölkerung beeinträchtigt diese Erkrankung die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, insbesondere durch Schlafstörungen und deren Folgen. Das RLS, auch Willis-Ekbom-Syndrom genannt, manifestiert sich durch einen imperativen Bewegungsdrang der Extremitäten, meist der Beine, verbunden mit unangenehmen Missempfindungen wie Kribbeln, Ziehen oder Ameisenlaufen.
Charakteristisches Symptommuster
Charakteristisch ist das Auftreten oder die Verstärkung der Symptome in Ruhe sowie deren abendliche und nächtliche Akzentuierung, während Bewegung typischerweise zu einer vorübergehenden Besserung führt. Trotz intensiver Forschung sind die genauen Ursachen des RLS noch nicht vollständig geklärt.
Komplexe Pathophysiologie
Die Pathophysiologie ist komplex und multifaktoriell, wobei zwei zentrale Mechanismen im Fokus stehen: Störungen im Dopaminstoffwechsel und im Eisenmetabolismus. Dopamin spielt als Neurotransmitter eine entscheidende Rolle in der Motorik. Bei RLS-Patienten wird eine Dysregulation des dopaminergen Systems angenommen, mit einer möglichen Überproduktion von Dopamin bei gleichzeitiger Downregulation und verminderter Empfindlichkeit der Dopamin-Rezeptoren. Da die Dopaminproduktion einem zirkadianen Rhythmus unterliegt und nachts abnimmt, erklärt sich die typische Verstärkung der Symptome am Abend und in der Nacht.
Zentrale Rolle des Eisenstoffwechsels
Eisen ist ein essenzieller Kofaktor für die Tyrosinhydroxylase, das Schlüsselenzym der Dopaminsynthese. Bei RLS-Patienten wird eine Störung des Eisentransports über die Blut-Hirn-Schranke vermutet, die zu einem Eisenmangel im zentralen Nervensystem führt, trotz möglicherweise normaler Eisenwerte im Blut. In MRT-Studien und Autopsien konnte bei schweren RLS-Fällen ein Eisenmangel in der Substantia nigra und im Putamen nachgewiesen werden. Dies erklärt auch, warum das RLS häufig im Zusammenhang mit Zuständen auftritt, die mit Eisenmangel einhergehen, wie Schwangerschaft, Niereninsuffizienz oder chronische Entzündungen.
Weitere pathophysiologische Faktoren
Weitere pathophysiologische Faktoren umfassen mögliche Dysfunktionen des endogenen Opioidsystems, periphere vaskuläre Komponenten mit Hypoxie in den Mikrogefäßen der Beine, eine erhöhte Erregbarkeit peripherer Motoneurone sowie genetische Faktoren. Bei der idiopathischen Form des RLS spielt die genetische Prädisposition eine wesentliche Rolle, mit einer positiven Familienanamnese bei mehr als 50% der Patienten.
Diagnostische Kriterien
Die Diagnose des RLS wird primär klinisch gestellt, basierend auf den von der International Restless Legs Syndrome Study Group (IRLSSG) definierten Kriterien: Bewegungsdrang der Beine mit unangenehmen Missempfindungen, Auftreten oder Verschlechterung in Ruhe, Besserung durch Bewegung, abendliche und nächtliche Akzentuierung sowie Ausschluss anderer Erkrankungen als Ursache. Das diagnostische Vorgehen umfasst eine ausführliche Anamnese, körperliche und neurologische Untersuchung sowie Labordiagnostik mit besonderem Fokus auf den Eisenstatus.
Bedeutung der Eisendiagnostik
Die aktuelle Leitlinie betont die Bedeutung der Eisendiagnostik, mit Grenzwerten für eine Eisensubstitution bei einem Serum-Ferritin unter 75 μg/l oder einer Transferrinsättigung unter 20% – Werte, die noch im Normbereich der Labore liegen können. Bei unklarer Diagnose oder Verdacht auf andere Schlafstörungen kann eine Polysomnographie hilfreich sein.
Moderner stufenweiser Therapieansatz
Die Therapie des RLS hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt, mit einem stufenweisen Ansatz gemäß der 2022 aktualisierten S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Die Basistherapie umfasst die Eisensubstitution bei entsprechenden Laborwerten, die Behandlung von Grunderkrankungen bei sekundärem RLS, die Überprüfung der Medikation auf RLS-auslösende Substanzen sowie nicht-medikamentöse Maßnahmen wie regelmäßige körperliche Aktivität, gute Schlafhygiene und Vermeidung von Alkohol, Nikotin und Koffein am Abend.
Medikamentöse Therapieoptionen
Bei mittelschwerer bis schwerer Symptomatik ist eine medikamentöse Therapie indiziert, wobei Dopaminagonisten wie Pramipexol, Ropinirol und Rotigotin als Medikamente der ersten Wahl gelten. Die Dosierung sollte so niedrig wie möglich gehalten werden, um das Risiko einer Augmentation zu minimieren. Levodopa wird aufgrund des hohen Augmentationsrisikos nur noch als Reservemedikament an wenigen Tagen pro Monat und in geringer Dosis empfohlen. Alpha-2-delta-Liganden wie Pregabalin und Gabapentin sind besonders bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen oder Augmentation unter Dopaminagonisten indiziert. Bei therapieresistenten Fällen können Opioide wie Oxycodon/Naloxon erwogen werden.
Herausforderung Augmentation
Eine besondere Herausforderung in der Therapie des RLS ist die Augmentation – eine paradoxe Verschlechterung der Symptome unter dopaminerger Therapie, die sich durch früheren Beginn der Symptome im Tagesverlauf, Ausbreitung auf andere Körperteile und verstärkte Symptomatik trotz erhöhter Medikamentendosis äußert. Das Augmentationsrisiko ist unter Levodopa am höchsten, aber auch unter Dopaminagonisten relevant. Bei Auftreten einer Augmentation wird je nach Schweregrad eine Dosisreduktion, ein Wechsel zu einem anderen Dopaminagonisten oder die Umstellung auf Alpha-2-delta-Liganden oder Opioide empfohlen.
Spezielle Patientengruppen
Besondere Patientengruppen erfordern spezifische Therapieansätze. Das RLS tritt bei etwa 20-25% der Schwangeren auf, meist im dritten Trimester, und verschwindet bei den meisten Frauen nach der Geburt wieder. Die Therapie ist durch die Schwangerschaft limitiert auf Eisensubstitution bei Eisenmangel, nicht-medikamentöse Maßnahmen und in schweren Fällen möglicherweise Levodopa in niedriger Dosierung unter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung.
Perspektiven für Betroffene und Behandler
Die Forschung zu neuen Therapieansätzen beim RLS ist aktiv und umfasst verbesserte Eisentherapien, nicht-dopaminerge Medikamente zur Vermeidung der Augmentation, medizinisches Cannabis bei therapieresistenten Fällen, neuromodulatorische Verfahren wie transkranielle Magnetstimulation sowie potenzielle genetische Therapieansätze.
Das Restless Legs Syndrom ist eine häufige neurologische Erkrankung mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen. Die Pathophysiologie umfasst komplexe Interaktionen zwischen Dopamin- und Eisenstoffwechsel. Ein individualisierter, stufenweiser Behandlungsansatz unter Berücksichtigung von Komorbiditäten und Begleitmedikation ist entscheidend für den Therapieerfolg. Zukünftige Forschung wird hoffentlich zu einem besseren Verständnis der Pathophysiologie und zur Entwicklung neuer, zielgerichteterer Therapieoptionen führen, die eine langfristige Symptomkontrolle ohne das Risiko einer Augmentation ermöglichen.
Quellen
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