In einer „hot topic“ Sitzung zum Thema Adipositas ging es auf dem 131. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden im wahrsten Sinne des Wortes heiß her. Dr. Ann-Cathrin Koschker und Prof. Dr. Goran Marjanovic diskutierten die Vor- und Nachteile früher metabolischer Chirurgie.
In den vergangenen Jahren haben sich das Verständnis und die therapeutische Zielsetzung im Umgang mit Typ-2-Diabetes signifikant weiterentwickelt. Während früher der HbA1c-Wert im Zentrum der Therapieüberlegungen stand, wurde 2022 durch eine gemeinsame Erklärung der American Diabetes Association (ADA) und der europäischen Fachgesellschaften ein breiteres Verständnis propagiert: Die Behandlung des Typ-2-Diabetes müsse über die reine Blutzuckerkontrolle hinausgehen und insbesondere das Gewicht als zentralen Parameter berücksichtigen. Dies bedeutete, dass „Weight Management“ nicht länger als ergänzender Aspekt, sondern als integraler Bestandteil der Diabetesbehandlung angesehen werden sollte.
Pro
Diese Verschiebung im therapeutischen Paradigma hatte zur Folge, dass die metabolische Chirurgie als gleichwertige Behandlungsoption anerkannt wurde. Goran Marjanovic vom Universitätsklinikum Freiburg betonte in seinem Vortrag besonders die Wichtigkeit des Zeitpunkts der Intervention: „Studien zeigen, dass eine frühe Operation innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Diabetesdiagnose eine Remissionswahrscheinlichkeit von über 60 % hat. Bei längerer Erkrankungsdauer sinkt diese jedoch auf 20 bis 30 %.“ Dies widerspräche älteren, allzu optimistischen Annahmen, wonach nahezu alle operierten Betroffenen eine Remission erreichen könnten. Die Realität sei differenzierter und hänge stark von individuellen Faktoren wie Krankheitsdauer, Geschlecht und Begleiterkrankungen ab.
Trotz dieser neuen Erkenntnisse findet sich in nationalen Leitlinien, wie dem deutschen Versorgungsleitfaden von 2023, kein expliziter Hinweis auf die metabolische Chirurgie. Zwar wird dort auf die Notwendigkeit einer individualisierten Therapie verwiesen und auch Risikofaktoren wie Adipositas, Hypertonie und Diabetesdauer genannt, aber der potenzielle Nutzen chirurgischer Interventionen bleibt unerwähnt. „Besonders aus Sicht der Chirurgen ist dies enttäuschend, da Daten aus großen Registerstudien belegen, dass die metabolische Chirurgie bei geeigneten Patienten einen relevanten Beitrag zur Krankheitskontrolle leisten kann“, erklärte Marjanovic. In dieser Datenbank sind über 100.000 bariatrische Operationen dokumentiert, davon rund 3.000 bei Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Marjanovic: „Die Auswertungen zeigen klar: Männliches Geschlecht und lange Diabetesdauer sind Prädiktoren für ein ungünstiges Ergebnis ein Jahr nach der Operation. Mit zunehmender Erkrankungsdauer verschlechtert sich die HbA1c-Kontrolle signifikant – unabhängig vom gewählten chirurgischen Verfahren.“ In der praktischen Umsetzung klaffen Erkenntnis und Realität jedoch auseinander. Ein Blick auf einen OP-Plan aus der Klinik zeigt: Die Mehrheit der Betroffenen wird erst operiert, wenn der Diabetes bereits lange besteht.
Beispielhaft wurden drei Fälle genannt: Eine Frau (Jahrgang 1958) mit BMI 51, Diabetes seit 2008, unter Hochdosis-Insulintherapie; ein junger Mann (Jahrgang 1982) BMI 50, Diabetes seit sieben Jahren, unter verschiedenen Medikamenten mit mäßigem Erfolg; ein Mann (Jahrgang 1980), bei dem der Diabetes erst im Rahmen der OP-Vorbereitung diagnostiziert wurde. Letzterer hat mit Diät und medikamentöser Monotherapie bereits gute HbA1c-Werte erreicht. Doch das intraoperative Bild zeigte eine massive Fettleberveränderung – ein eindrucksvoller Hinweis auf die Tiefe der metabolischen Entgleisung trotz scheinbar guter Blutzuckerwerte.
Contra
Dr. Ann-Cathrin Koschker vom Universitätsklinikum Würzburg ging in ihrem Vortrag ausführlich auf die aktuelle Rolle und das Potenzial neuer medikamentöser Therapien zur Behandlung des Typ-2-Diabetes im Vergleich zur metabolischen Chirurgie ein. Sie betonte, dass bereits eine moderate Gewichtsreduktion von rund 5 %, wie sie durch Lebensstilveränderungen erreicht werden kann, die Blutzuckereinstellung verbessert. Als wichtige neue Wirkstoffe hob sie vor allem Semaglutid und Tirzepatid hervor.
Beide Medikamente, insbesondere in höheren Dosierungen, führen laut Studien zu signifikanten Gewichtsverlusten – beim Semaglutid im Schnitt etwa 15 %, beim Tirzepatid sogar über 20 %. Damit nähern sie sich zunehmend den Effekten bariatrischer Verfahren an, wenn auch der chirurgische Eingriff bislang die höchsten Gewichtsverluste erzielt. Die Auswertung von Phase-3-Studien zeige, dass zwei Drittel der Teilnehmenden mit Semaglutid und etwa 80 % mit Tirzepatid eine Gewichtsreduktion von mindestens 10 % erreichen, was als klinisch relevant für eine mögliche Diabetesremission gilt.
Eine Analyse der SURPASS-Studien, welche die Wirksamkeit von Tirzepatid bei Typ-2-Diabetes untersucht, zeigt ermutigende Ergebnisse: Von über 3.200 analysierten Menschen erreichten 80 % einen HbA1c-Wert unter 6,5 %, ein Drittel sogar Normoglykämie mit Werten unter 5,7 %. Die Wirksamkeit war dabei insbesondere bei Personen mit guter Adhärenz und ohne zusätzliche „Rettungsmedikation“ sichtbar. Auch die Gewichtsentwicklung korrelierte mit der Verbesserung der Blutzuckerwerte – Menschen mit der stärksten HbA1c-Reduktion hatten gleichzeitig die größten Gewichtsverluste. Zusätzlich verbesserten sich auch andere metabolische Parameter wie Blutdruck, Triglyzeride, Leberwerte und Lipidprofile, was an die breiten positiven Effekte der metabolischen Chirurgie erinnert.
Die Aussicht auf noch wirksamere Medikamente verstärkt sich durch neue Substanzen, die aktuell in klinischer Entwicklung sind. Besonders hervorgehoben wurde Retatrutid, ein sogenannter Triple-Agonist, der gleichzeitig GLP-1-, GIP- und Glukagonrezeptoren aktiviert.
„In einer Phase-2-Studie mit 280 Patienten führte das Medikament in höheren Dosierungen dazu, dass rund drei Viertel der Patienten einen HbA1c-Wert unter 6,5 % erreichten, viele sogar normoglykämisch wurden. Dabei handelte es sich meist um Patienten, die vorher nur mit Metformin oder diätetisch behandelt worden waren. Auch Retatrutid wird einmal wöchentlich subkutan verabreicht, was die Handhabung im klinischen Alltag vereinfacht“, verdeutlichte Koschker.
Sie wies darauf hin, dass diese neuen Substanzen möglicherweise bei einem Teil der Betroffenen vergleichbare Effekte wie eine Operation erzielen könnten – sowohl in Bezug auf die Gewichtsreduktion als auch auf die Verbesserung der Stoffwechsellage. Gleichzeitig betonte sie, dass weitere Medikamente mit ähnlicher oder noch stärkerer Wirkung in der Entwicklung sind, häufig basierend auf einer GLP-1-Komponente, ergänzt durch andere agonistische oder antagonistische Rezeptorwirkungen.
„Trotz dieser Fortschritte bleibt die metabolische Chirurgie ein sehr sicheres Verfahren mit nachgewiesenem langfristigem Nutzen. Zwar gibt es Komplikationen wie innere Hernien, Reflux oder Nahrungsunverträglichkeiten, und eine lebenslange Supplementation ist erforderlich, doch die positiven metabolischen Effekte sind gut belegt“, gab die Expertin zu. Allerdings sei eine Operation eine endgültige Entscheidung, die nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden könne. Ein abgesetztes Medikament dagegen könne jederzeit wieder ersetzt oder angepasst werden.
Autor: Sonja Buske



