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Phytotherapie in der Kinderheilkunde: Pflanzenheilkunde bei Fieber

Phytotherapie in der Kinderheilkunde: Pflanzenheilkunde bei Fieber

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Wer in der hausärztlichen Versorgung tätig ist und Familienmedizin ­praktiziert, wird auch mit 
pädiatrischen Fragestellungen­ ­konfrontiert. ­Erfahrungsgemäß wird beim Hausarzt angefragt – zumindest bei akuten und rezidivierenden ­Erkrankungen im Kindesalter.

Wer kennt nicht den während der laufenden Sprechstunde eingehenden Anruf der – zu recht besorgten – Mutter, wonach ihr Fünfjähriger „hohes Fieber“ hat. Wenn dann einige Zeit später Mutter und Kind „eingeschoben“ werden und im Sprechzimmer sitzen, zeigt die in der Praxis vorgenommene Messung 38,4° und die Blickdiagnose einen typischen Infekt der oberen Atemwege, was sich durch eine gezielte Untersuchung einschließlich Auskultation der Lunge verifizieren lässt.

Leitlinien in der Pädiatrie

Fokussiert man Leitlinien in der Kinderheilkunde, dann tun sich rasch Grenzen auf – zumindest für die infektbedingten Krankheitsbilder. Beispielhaft genannt ist die S3-Leitlinie „Ohrenschmerzen“, deren Erscheinen für 2027 geplant ist; die Leitlinie „Seromukotympanon“ ist „in Überarbeitung“. Eine pädiatrische Leitlinie zu „Halsschmerzen“ existiert nicht, an dessen Stelle ist die S3-Leitlinie der DEGAM zu nennen, die primär Erwachsene adressiert; Vergleichbares gilt auch für die S3-Leitlinie „Akuter Husten“.

S3-Leitlinie zum „Fiebermanagement“

Die kürzlich veröffentlichte S3-Leitlinie „Fiebermanagement bei Kindern und Jugendlichen“ mit Betonung auf das „ambulante Setting“ der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) gibt praxisrelevante Hinweise. So betont die Fachgesellschaft ein grundlegend verändertes Verständnis von Fieber: Es wird nicht als vorrangig behandlungsbedürftiges Symptom betrachtet, sondern als hilfreiche Abwehrreaktion des Körpers. Fieber soll nicht aufgrund seiner Höhe gesenkt werden, sondern nur, wenn das Kind sichtbar unter Fieber leidet.

In der Konsequenz wird darauf hingewiesen, dass das Symptom Fieber keine Antibiose rechtfertigt, denn die Mehrheit der fieberhaften Infekte bei Kindern ist viral bedingt; unnötige Antibiotikagaben können Nebenwirkungen, Resistenzbildungen und Schäden des Mikrobioms verursachen.

Phytotherapie bei fieberhaften Erkrankungen

In der genannten Leitlinie wird die pharmakotherapeutische Intervention für eine Antipyrese mit Paracetamol und Ibuprofen beschrieben, bei restriktiver Antibiose. Potenzielle Ansätze mit pflanzlichen Arzneimitteln werden in der Leitlinie nicht thematisiert, gleichwohl dafür zahlreiche Optionen bestehen.

Dabei sind die bei Kindern häufigen Rezidive und deren Organmanifestation ein wesentlicher Aspekt, was auch die häufige Erstkonsultation im Rahmen der hausärztlichen Versorgung erklärt. Die bei fieberhaften Infekten eingesetzten Arzneipflanzen besitzen erwiesenermaßen antiphlogistische, antiinflammatorische und antipyretische Wirkungen, was sich durch das für Pflanzen charakteristische Multi-Target-Prinzip erklären lässt. Zur Behandlung eines fieberhaften Infekts stehen u.a. zur Verfügung:

  • Echinacea (Purpursonnenhut): Gut untersuchte Arzneipflanze, verschiedene Pflanzenteile je nach Fertigarzneimittel. Ein standardisierter Extrakt aus Purpursonnenhutkraut ist als Monopräparat für Kinder ab vier Jahren verfügbar.
  • Esberitox-Tabletten: Enthalten Wurzel des Purpursonnenhuts, Färberhülsenwurzelstock und Lebensbaumspitzen/-blätter, zugelassen für Kinder ab vier Jahren.
  • Imupret: Dragees für Kinder ab vier Jahren und Tropfen für Kinder ab zwei Jahren, Kombination aus Eibischwurzel, Eichenrinde, Kamillenblüten, Löwenzahnkraut, Schachtelhalmkraut, Schafgarbenkraut und Walnussblätter.

Aus Sicht der Praxis eignen sich die genannten Phyto-Präparate zur Behandlung eines fieberhaften Infekts, die jeweilige Präparate-spezifische Dosierung erfolgt altersadaptiert. Erfahrungs­gemäß ist eine frühzeitige Anwendung geeignet, um den Infektverlauf zu minimieren, auch zeigt sich eine klinisch relevante Verkürzung der Erkrankungsdauer.

Fieberhafter Infekt mit Organmanifestation

In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass ein fieberhafter Infekt – zumal unter alleiniger Antipyrese – sich im weiteren Verlauf an den oberen und unteren Atemwegen manifestiert. Zur Behandlung stehen dafür unterschiedliche Pflanzen als Mono- oder Kombinationspräparate zur Verfügung:

  • Ätherisch-Öl-haltige Arzneipflanzen: z.B. Anis, Eukalyptus, Fenchel, Kiefer- und Fichtennadeln, Salbei, Thymian (bronchospasmolytisch, expektorierend, antiinflammatorisch).
  • Flavonoid- und Saponin-haltige Arzneipflanzen: z.B. Efeu, Malve, Primel (antiphlogistisch, sekretomotorisch, antiviral, bakteriostatisch).
  • Polyphenol-haltige Arzneipflanzen: z.B. Pelargonium sidoides (antiviral, antibakteriell, sekretomotorisch).
  • Saponin-haltige Arzneipflanzen: z.B. Efeu, Primel, Süßholz (antitussiv, antiphlogistisch, sekretomotorisch, bakteriostatisch).
  • Schleimstoff-haltige Arzneipflanzen: z.B. Eibisch, Malve, isländisch Moos, Spitzwegerich (reizlindernd, Schleimfilm bildend, antiphlogistisch).

Ein bewährtes Vorgehen in der Praxis ist die Begrenzung auf eine überschaubare Anzahl an Präparaten, um jeweils eigene Erfahrungen in der Anwendung zu generieren. Je nach Datenlage ist eine Anwendung ab dem ersten bzw. zweiten Lebensjahr unter Berücksichtigung der Tagesdosis möglich. Bei der Auswahl empfiehlt sich zudem eine Orientierung an der Darreichungsform, da einzelne Fertigarzneimittel sowohl als Saft wie auch als Tropfen zur Verfügung stehen; Tabletten werden meist ab dem zwölften Lebensjahr eingesetzt.

Kasuistik

Die hausärztliche Versorgung der Familie mit drei Kindern führt häufig auch zu Gesundheitsfragen in der Familie. Aktuell ist der Vierjährige – der Älteste der Kinder – erneut an einem fieberhaften Infekt erkrankt. Die Mutter berichtet, dass ihr Kind relativ rasch Fieber bis 39 °C entwickelt, in der Folge sich der Infekt an Ohren oder Bronchien manifestiert. Die bisherige Behandlung erfolgt durch einen Paracetamol-haltigen Saft, zweimal wurde kinderärztlich eine Antibiose verordnet, was die Mutter jedoch nur einmal befolgte. Eine HNO-ärztliche Diagnostik wurde ohne weiterführenden Befund und ohne therapeutische Konsequenzen durchgeführt.

Bei dem Jungen sind sämtliche U-Befunde kinderärztlich erstellt, Impfstatus gemäß STIKO-Vorgaben durchgeführt. Anamnestisch lässt sich kein Zusammenhang mit Impfungen erkennen, mögliche Infektionsquellen sind im Besuch der Kita zu vermuten.

Befund:
Das Kind zeigt aktuell typische Fiebersymptome (38,8 °C): Wangen gerötet, blasses Munddreieck, Atmung unauffällig, diskretes weißlich verfärbtes Nasensekret beidseitig; die Inspektion des Rachenraumes zeigt eine gerötete Mundschleimhaut und normal große Tonsillen ohne Beläge; die Halslymphknoten sind nicht tastbar vergrößert, otoskopisch beidseits unauffällig, Pulmo ist frei, soweit beurteilbar.

Therapie:
Anamnese und Befundung führen zur Diagnose eines fieberhaften Infekts mit der Verordnung von Pelargonium sidoides als Saft: altersadaptierte Dosierung mit 3-mal täglich 2,5 ml. Die Mutter wird darauf hingewiesen, dass nach Abklingen von Fieber und Krankheitszeichen das Arzneimittel drei Tage darüber hinaus gegeben werden soll; kurze Erläuterung dieses Vorgehens im Hinblick auf die Wirkung der Pflanze.

Verlauf:
Nach zwei Tagen meldet sich die Mutter: Fieber ist abgeklungen, wenig weißlicher Schleim aus der Nase, es wurde keine sonstige fiebersenkende oder Medikation gegeben. Die Therapie mit dem verordneten Saft wird für weitere drei Tage fortgesetzt, danach bei Symptomfreiheit abgesetzt wie verordnet. Bei einem späteren Termin berichtet die Mutter, dass sie inzwischen den Saft als „Standard“ bei ihren Kindern einsetzt, sobald sich ein Infekt anbahnt und deshalb auf „Fieberzäpfchen“ weitestgehend verzichten kann.

Fazit

In der Kinderheilkunde werden auch und gerade pflanzliche Arzneimittel vielfach „off-label-use“ eingesetzt. Dies ist – wie generell bei Arzneimitteln – durch fehlende oder zu wenige klinisch-kontrollierte Studien bedingt. Im unmittelbaren Vergleich zu chemisch-synthetischen Substanzen verfügt die Phytotherapie zumeist über eine umfassende Empirie in der Anwendung der Pflanze, die einer kritischen Würdigung mit Praxisbezug standhält. Hinzu kommt, dass der Pflanzenextrakt mit seinen standardisierten und damit bekannten Inhaltsstoffen überwiegend als gut untersucht zu bewerten ist. Insofern relativiert sich das Fehlen klinisch kontrollierter Studiendaten in der Gesamtbewertung, zumal die meist vorliegenden Präparate-bezogenen Real-World-Daten die Praxisrealität sehr transparent abbilden. Daraus resultieren klassische Anwendungsgebiete der Phytotherapie in der Kinderheilkunde. Das angezeigte pflanzliche Arzneimittel wird je nach Stadium und Schwere der Erkrankung als alleinige oder als Add-on-Therapie eingesetzt. Ein weiterer Vorteil einer solchen Medikation ist die hohe Akzeptanz und damit Adhärenz.

Dr. med. Markus Wiesenauer

© Valerii Apetroaiei – stock.adobe.com

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