Häufiger Beratungsanlass bei Kindern und Erwachsenen in der hausärztlichen Praxis sind akute und akut rezidivierende HNO-Erkrankungen. Anamnestisch beginnt das Gespräch typischerweise mit Verweis auf initiale Halsschmerzen, die sich im weiteren Krankheitsverlauf als Tonsillopharyngitis und Otitis media bevorzugt im Kindesalter zeigen; bei Erwachsenen manifestiert sich häufig eine Sinusitis.
Die Krankheitsbilder werden auch in jeweiligen Leitlinien abgebildet, unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) „Halsschmerzen“ und „Sinusitis“, eine weitere Leitlinie zur „Tonsillitis“ gemeinsam von pädiatrischen und HNO-ärztlichen Fachgesellschaften verfasst.
In letzterer wird ein wesentlicher Aspekt zum therapeutischen Vorgehen thematisiert: „Um einen nicht indizierten Einsatz von Antibiotika zu vermeiden, ist es notwendig, den Patienten- bzw. Elternwunsch nach Symptomlinderung getrennt von der rationalen ärztlichen Abwägung für oder gegen eine antibiotische Therapie zu betrachten.“ Vergleichbare Formulierungen finden sich in den anderen genannten Leitlinien zur Behandlung akuter unkomplizierter Verläufe von Infekten im Hals-Nasen-Ohrenbereich.
Ein breites Spektrum an Behandlungsoptionen bei Atemwegsinfekten bieten pflanzliche Arzneimittel. Klassische Indikationen sind viral bedingte Erkrankungen, bei einer bakteriellen Superinfektion bewährt sich eine add-on-Phytotherapie aufgrund ihres multimodalen Wirkprinzips. In beiden Situationen ergeben sich therapeutische Vorteile: Verlaufsdauer und Intensität einer zumal bakteriell bedingten Infektion können abgekürzt und unerwünschte Wirkungen der notwendigen Antibiose, zum Beispiel im Gastrointestinal-Trakt reduziert respektive vermieden werden.
Phytotherapie bei Tonsillopharyngitis
Wenngleich die Initialsymptomatik einer akuten Tonsillopharyngitis meist im Rahmen der Selbstmedikation erfolgt, kann aus phytotherapeutischer Sicht eine frühzeitige Behandlung den Krankheitsverlauf verkürzen, eine Ausbreitung auf benachbarte Organe vermeiden helfen und in der Konsequenz zur Vermeidung einer Antibiose beitragen. Gerade in der hausärztlichen Versorgung kann ein solcher Hinweis dazu beitragen, dass sich das meist überwiegend virale Entzündungsgeschehen nicht auf alle Familienmitglieder überträgt – letztlich im Sinne einer Infektprophylaxe.
Mit Verweis auf Real-World-Daten und in Kenntnis experimentell gesicherter Wirkung der Pflanzeninhaltsstoffe lässt sich durchaus eine Behandlungsempfehlung rechtfertigen, die mit multi-modalen Effekten der Phytotherapie erklärt werden kann. Die dabei eingesetzten Präparate, wie sie jeweils beispielhaft genannt werden, enthalten meist Extrakte unterschiedlicher Pflanzen mit der Intention einer additiven Wirkung. Ätherisch-Öl haltige Pflanzen wie Eukalyptus, Pfefferminz und Salbei wirken antiinflammatorisch, bakterizid und viruzid; im Besonderen gilt dies für die Kamille, die auch Flavonoide und Schleimstoffe enthält und zu Mund-und Rachenspülungen eingesetzt wird.
Kamille kann auch in Kombination mit Schleimstoffhaltigen Arzneipflanzen peroral angewendet werden, da diese antiviral und immunstärkend wirken. Dazu gehören auch Eibisch, Isländisch Moos, Malve und Spitzwegerich. In Form von Pastillen oder Saft benetzen die enthaltenen Schleimstoffe die entzündlich-gereizten Schleimhäute im Rachenraum, was den antiphlogistischen Effekt erklärt.
Eine weitere Pflanzengruppe wie Blutwurz, Myrrhe und Ratanhia haben zusätzlich eine adstringierende Wirkung, die sich auf Gerbstoffe und Harze zurückführen lassen und als Spray zur Verfügung stehen.
Zumindest experimentell ist belegt, dass die meisten pflanzlichen Extrakte auch immunmodulierend wirken, was die Sinnhaftigkeit einer gezielten Phytotherapie bestätigt. Und der Praxistipp, wonach gerade in Erkältungszeiten und dementsprechend vieler Infektpatienten eine prophylaktische Anwendung – lokal oder systemisch – sinnvoll ist, lässt sich immer wieder verifizieren.
Otitis media: phytotherapeutisches Vorgehen
In der S2k-Leitlinie „Ohrenschmerzen“ der DEGAM (gültig bis 2021; in Überarbeitung) wird die akute Otitis media (AOM) zumal bei Kindern thematisiert. Die Prävalenz in den ersten sechs Lebensjahren wird mit etwas mehr als 60 % bezeichnet; wenngleich Fieber und Ohrenschmerzen als Leitsymptome bezeichnet werden, leiden Kinder zusätzlich – in unterschiedlicher Ausprägung – an Schnupfen und Husten.
Zur Frage einer Antibiose wird festgestellt, dass „bei Patienten ohne Risikofaktoren mit einer unkomplizierten akuten Otitis media zunächst eine symptomatische Behandlung mit systemischer Analgetikagabe durchgeführt und auf die sofortige antibiotische Therapie verzichtet werden sollte.“ Die Anwendung von abschwellenden Nasentropfen, zumal bei (Klein-)Kindern wird in der genannten Leitlinie relativiert, was sich in der Patientenversorgung immer wieder bestätigt.
Im Hinblick auf die beim Patienten beschriebene Symptomatik einer meist verlegten Nasenatmung sowie einer Schleimbildung im Nasen-Rachenraum mit konsekutivem Husten bietet sich zur konventionellen Analgesie eine add-on-Phytotherapie an. Abhängig vom Lebensalter des Patienten können die im vorangegangenen Beitrag dieser Phytotherapie-Serie (Der Allgemeinarzt, Heft 18/2024) genannten Sekretolytika eingesetzt werden. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass zu diesem Therapieansatz keine systematischen Untersuchungen vorliegen, in der Praxis sich jedoch ein solches Therapieregime reproduzierbar bewährt. Der off-label-use eines solchen pflanzlichen Sekretolytikums – bei Kindern speziell in Form von Saft – führt erfahrungsgemäß zu einem rascheren Abklingen der mit einer AOM assoziierten Symptomatik.
Exemplarisch zu nennen sind Flavonoid- und Saponin-haltige Arzneipflanzen wie z.B. Efeu, Malve, Primel. Die Extrakte wirken antitussiv, antiphlogistisch, sektretomotorisch und bakteriostatisch. Bewährt sind auch Gerbstoffe und Cumarin-haltige Arzneipflanzen wie z.B. Pelargonium sidoides mit antiviraler, antibakterieller und sekretomotorischer Wirkung.
Im Übrigen können die genannten Pflanzenextrakte auch bei einem Seromukotympanon eingesetzt werden, wobei eine längerfristige Einnahme notwendig ist. Vielfach kann damit dem Kind ein Paukenröhrchen erspart bleiben.
Eine weitere Option bietet die homöopathische Therapierichtung; Daten-basiert sind sekretolytische und antiphlogistische Wirkungen belegt (z.B. Otovowen).
Phyto-Klassiker bei Sinusitis
Die Behandlung der akuten Sinusitis gilt als klassische Domäne der Phytotherapie, was sich auch in den korrespondierenden Leitlinien widerspiegelt. In der S2k-Leitlinie Rhinosinusitis der DEGAM werden explizit der BNO 1016-Spezialextrakt sowie definierte Eucalyptusextrakte wie Cineol sowie in Kombination mit Myrtenöl zur Behandlung der akuten Rhinosinusitis empfohlen. Und weiter: „Bei einer akuten Rhinosinusitis bzw. einer akuten Exazerbation einer Rhinosinusitis sollten in der Regel keine Antibiotika gegeben werden“; einschränkend verweist die DEGAM-Leitlinie auf Patienten mit besonderen Risikofaktoren wie chronisch entzündlichen Lungenerkrankungen und Immunschwäche. Eine vergleichbare Vorgehensweise wird auch in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde formuliert. Es wird darauf hingewiesen, dass „die überwiegende Mehrzahl der akuten Rhinosinusitiden viral bedingt ist; eine Antibiotikabehandlung ist in diesen Fällen nicht indiziert“.
Die in der DEGAM-Leitlinie aus dem Spektrum der Phytotherapie empfohlenen Pflanzenstoffe bzw. Phyto-Präparate werden auch in der HNO-Leitlinie explizit genannt. Aus Sicht der Praxis bewährt sich bei einer indizierten Antibiose eine add-on-Phytotherapie im Hinblick auf deren multi-modale Wirkung wie sie für eine symptomatische Behandlung Sinn ergibt.
Fazit
Die Behandlung akuter Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohrenbereich mit pflanzlichen Arzneimitteln ist ein tradiertes Vorgehen und durch Real-World-Daten belegt. Die zu einzelnen Pflanzenextrakten vorliegenden klinisch-kontrollierten Studien verifizieren das Behandlungskonzept, was sich in den korrespondierenden Leitlinien zumindest teilweise widerspiegelt. Ein besonderer Aspekt beinhaltet von daher die Longitudinalbetrachtung phytotherapeutischer Maßnahmen und der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für die unmittelbare Patientenversorgung.
Autor: Dr. med. Markus Wiesenauer
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