Die komplexe Fußdeformität verstehen
Der Pes planovalgus beschreibt eine Fußfehlstellung mit Abflachung der medialen Längswölbung, valgischer Rückfußachse und Vorfußabduktion. Diese dreidimensionale Deformität kann angeboren oder erworben sein und tritt in verschiedenen Altersgruppen mit unterschiedlicher Ätiologie auf. Während bei Kindern eine gewisse Plattfußstellung als physiologisch angesehen werden kann, ist die erworbene Form im Erwachsenenalter häufig mit Beschwerden und funktionellen Einschränkungen verbunden. Etwa jeder sechste Erwachsene weist eine Plattfußstellung auf, wobei nur etwa 10% der Betroffenen behandlungsbedürftige Beschwerden entwickeln. Unbehandelt kann die Deformität im Endstadium zum Verlust der Gehfähigkeit führen.
Anatomische Grundlagen und biomechanische Aspekte
Die mediale Längswölbung des Fußes wird durch ein komplexes Zusammenspiel statischer und dynamischer Stabilisatoren aufrechterhalten. Zu den statischen Stabilisatoren gehören die knöcherne Anatomie des Fußes, insbesondere die Verzahnung im Talonavikulargelenk, sowie das Springligament zwischen dem Sustentaculum tali und der plantaren Fläche des Os naviculare. Der bedeutendste dynamische Stabilisator ist der Musculus tibialis posterior, der für die Plantarflexion und Inversion des Fußes sowie für die Adduktion des Vorfußes verantwortlich ist.
Biomechanisch ist der Fuß während des normalen Gangzyklus unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt. Bei Fersenauftritt ist der Subtalargelenkkomplex evertiert und flexibel für die Stoßdämpfung, während beim Abstoßen das Subtalargelenk invertiert und das Mittelfußgelenk „verriegelt“ ist, wodurch der Fuß eine starre Hebelwirkung für den effektiven Abdruck entwickelt. Bei einer Dysfunktion des Tibialis posterior oder einer Insuffizienz des Springligaments kommt es zu einer gestörten Biomechanik mit progressiver Deformierung des Fußes.
Vielfältige Ursachen und Entstehungsmechanismen
Der Pes planovalgus kann verschiedene Ursachen haben, von physiologischen Varianten bei Kindern über die Tibialis-posterior-Insuffizienz als häufigste Ursache beim Erwachsenen bis hin zu degenerativen und entzündlichen Arthritiden, tarsalen Koalitionen, Traumata, Charcot-Neuroarthropathie, neuromuskulären Erkrankungen und ligamentärer Laxität. Die Pathogenese des erworbenen Pes planovalgus ist meist multifaktoriell, wobei Hypertonie, Adipositas, Diabetes mellitus, Steroidexposition und Traumata als prädisponierende Faktoren gelten. Die Hypovaskularität der Tibialis-posterior-Sehne in der Gefäßwasserscheidenzone posterior und distal zum Malleolus medialis wird als wesentlicher pathophysiologischer Faktor angesehen.
Moderne Klassifikationssysteme als Therapiewegweiser
Die am weitesten verbreitete Klassifikation für den erworbenen Pes planovalgus beim Erwachsenen ist die von Johnson und Strom, die später von Myerson modifiziert wurde. Sie unterscheidet vier Stadien: Stadium I mit Entzündung und Dysfunktion der intakten Tibialis-posterior-Sehne, Stadium II mit Elongation oder Ruptur der Sehne und flexibler Deformität, Stadium III mit fixierter Deformität und Stadium IV mit Valgusstellung des Sprunggelenks und degenerativen Veränderungen. Neuere Klassifikationssysteme betonen zusätzlich die Flexibilität/Rigidität der Deformitäten und deren Lokalisation.
Umfassende Diagnostik als Schlüssel zur gezielten Therapie
Die klinische Präsentation ist charakterisiert durch einen graduellen Beginn von Schmerzen und Schwellungen an der medialen Seite des Mittelfußes oder Sprunggelenks. Die Patienten beschreiben oft eine „Wundheit“ und „Schwäche“ im Fuß, die bei Aktivität zunimmt. Die klinische Untersuchung umfasst die Inspektion im Stand, die Beurteilung der Rückfußausrichtung, das „Too many toes sign“, Funktionsprüfungen wie den Zehenstand, die Palpation entlang der Tibialis-posterior-Sehne, die Beweglichkeitsprüfung und die Krafttestung.
Die bildgebende Diagnostik umfasst konventionelles Röntgen mit Messung verschiedener Winkel, die „Long axis hindfoot view“ zur Quantifizierung des Rückfußvalgus, MRT zur Beurteilung der Weichteilstrukturen und, wenn verfügbar, die gewichtsbelastete Computertomographie für detaillierte Einblicke in die knöchernen Verhältnisse. Die Pedobarographie kann zusätzlich die Druckverteilung am Fuß messen und den Coronal Plane Pressure Index berechnen.
Individualisierte Therapieansätze für optimale Ergebnisse
Die Therapie des Pes planovalgus richtet sich nach dem Stadium der Erkrankung, dem Alter des Patienten, dem Ausmaß der Beschwerden und der Flexibilität der Deformität. Die konservative Behandlung umfasst entzündungshemmende Medikamente, orthopädische Einlagen, Orthesen, feste Schuhe mit Abrollhilfe, Physiotherapie und Gewichtsreduktion. In der akuten Phase kann eine Tenosynovialitis der Tibialis-posterior-Sehne gut mit antiinflammatorischer Therapie, mechanischer Entlastung und Krankengymnastik behandelt werden.
Die chirurgische Intervention ist indiziert, wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichen oder die Deformität zu mechanischer Instabilität führt. Die operativen Optionen umfassen Weichteileingriffe wie Sehnenreparaturen, Sehnentransfers und Ligamentrekonstruktionen sowie knöcherne Eingriffe wie Repositionierungsverfahren, Osteotomien und Arthrodesen. Die Auswahl des geeigneten Verfahrens folgt dem „à la carte“-Prinzip und sollte alle Komponenten der Deformität – Rückfußvalgus, Vorfußabduktion und Abflachung der Längswölbung – korrigieren.
Nachbehandlung und langfristige Perspektiven
Die postoperative Nachbehandlung umfasst in der Regel eine Ruhigstellung im Unterschenkelgips für 6-8 Wochen, gefolgt von einer schrittweisen Belastungssteigerung und Physiotherapie. Die Prognose hängt vom Stadium der Erkrankung, dem Alter des Patienten, Begleiterkrankungen und der gewählten Therapie ab. Frühe Stadien haben bei adäquater Behandlung eine gute Prognose, während bei fortgeschrittenen Stadien mit fixierter Deformität und arthrotischen Veränderungen die Wiederherstellung einer normalen Fußfunktion eingeschränkter ist.
Der Pes planovalgus stellt eine komplexe Fußdeformität dar, die eine sorgfältige klinische und radiologische Diagnostik sowie eine stadiengerechte, individualisierte Therapie erfordert. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung sind entscheidend für ein optimales Ergebnis und die Prävention von Spätfolgen wie sekundären Arthrosen und dem Verlust der Gehfähigkeit.
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