Unter dem Motto „Zeitenwende“ lud die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) Anfang Oktober zu ihrer Jahrestagung nach Berlin ein. Im Vorfeld diskutierten Experten im Rahmen einer Pressekonferenz aktuelle Entwicklungen des Fachgebiets, neue therapeutische Möglichkeiten sowie gesundheitspolitische Herausforderungen.
Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke (Mainz) hob die rasanten Fortschritte der vergangenen Jahre hervor. Sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie habe die Nephrologie eine „Zeitenwende“ erlebt: „Individualisierte Behandlungsstrategien, neue Biomarker und zielgerichtete Medikamente ermöglichen es zunehmend, Patienten vor der Dialysepflicht zu bewahren“, betonte sie.
CKD-Screening
Weinmann-Menke ging in ihrem Vortrag intensiv auf die chronische Nierenkrankheit (CKD) ein und erinnerte daran, dass die Mehrheit der Betroffenen gar nicht wisse, dass sie nierenkrank sei, da die Erkrankung lange symptomlos verläuft. „Selbst bei Risikogruppen wie Diabetikern oder Hypertonikern wird die Nierenfunktion in weniger als der Hälfte der Fälle überprüft und die Albuminurie-Bestimmung – essenziell zur Diagnosesicherung – erfolgt nur bei unter einem Prozent.“ Dabei stünden inzwischen effektive, kombinierbare Therapien zur Verfügung, die das Fortschreiten der CKD deutlich bremsen könnten. Notwendig sei daher laut Weinmann-Menke ein konsequentes Screening im hausärztlichen Setting, idealerweise im Rahmen der Gesundheits-Check-ups. Da die entsprechenden Laboruntersuchungen bislang nicht Bestandteil der Regelleistungen seien, forderte sie eine gesonderte Abrechnungsziffer.
Nationaler Nierenplan gefordert
Die jüngste Anerkennung der CKD durch die WHO als globale Volkskrankheit könne, so die Mainzer Nephrologin, politischen Rückenwind geben. Sie plädierte für einen nationalen Nierenplan, der Prävention, Diagnostik, Therapie und Forschung strukturell verzahnt und die öffentliche Aufklärung stärkt. Ziel müsse sein, die CKD von einer lebensbedrohlichen zu einer kontrollierbaren Erkrankung zu machen. Neben gesunder Lebensweise, ausreichender Bewegung und Blutdruckkontrolle könne so langfristig die Zahl der Dialyse- und Transplantationspatienten gesenkt werden.
Prof. Dr. Jan J. Menne (Hannover) betonte in seinem Vortrag, dass neue Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) auch in der Nephrologie zunehmend an Bedeutung gewinnen. KI-gestützte Systeme könnten den klinischen Alltag erleichtern, Diagnosen beschleunigen und die Behandlungsqualität verbessern. Die DGfN fördere daher den interaktiven Austausch zwischen Ärzteschaft und Pflegepersonal – eine Berufsgruppe, die für die Versorgung nephrologischer Patienten unverzichtbar sei.
Entzündliche Nierenerkrankungen im Blick
Menne widmete sich dem Thema Glomerulonephritiden – einer Gruppe entzündlicher Nierenerkrankungen, die insbesondere bei jüngeren Patienten zu Nierenversagen führen können. Er erklärte anschaulich die Filterfunktion der Glomeruli und betonte, dass sich die Kenntnisse über diese Erkrankungen in den letzten zwei Jahrzehnten revolutioniert hätten. „Früher wurden sie unspezifisch mit hohen Kortisondosen behandelt, was massive Nebenwirkungen verursachte. Heute ermöglicht das Verständnis der molekularen Mechanismen eine gezielte, kausale Therapie“, so der Experte. Moderne Leitlinien differenzieren inzwischen über zehn Unterformen, und neue Wirkstoffe hätten sich als hocheffektiv und nebenwirkungsarm erwiesen. Besonders die IgA-Nephropathie profitiere stark von diesen Substanzen. Weitere innovative, noch teure Therapien griffen sogar direkt in die Krankheitsursache ein und versprächen Heilung. Voraussetzung bleibe allerdings eine exakte Diagnostik einschließlich Nierenbiopsie. Damit die teuren Präparate sicher eingesetzt werden, sei eine enge Kooperation zwischen niedergelassenen Ärzten, Kliniken und Universitätszentren notwendig. Die neuen S3-Leitlinien, so Menne, markierten einen internationalen Standard und machten deutlich, dass die Zeit unspezifischer Immunsuppression vorbei sei.
Nephrologie vor demografischem Umbruch
Auf den Fachkräftemangel in Klinik und Praxis machte Dr. Martin K. Kuhlmann (Berlin) aufmerksam. Zwar gebe es noch keinen akuten Notstand, doch stehe die Nephrologie – wie viele Disziplinen – vor dem demografischen Umbruch. Viele erfahrene Ärzte gingen in den Ruhestand, während der Nachwuchs nur langsam nachrücke. Um junge Kollegen für das Fach zu begeistern, setze die DGfN auf gezielte Förderprogramme, Reisestipendien und den direkten Austausch über Generationen hinweg. „Die Nephrologie bietet attraktive Perspektiven“, so Kuhlmann. „Sie ist ein spannendes, sich wandelndes Fach mit langfristigen Arzt-Patient-Beziehungen. Dennoch droht insbesondere in ländlichen Regionen eine Unterversorgung, während in Ballungsräumen der Pflegemangel wächst.“ Kuhlmann forderte deshalb, die nephrologische Versorgungsstruktur auszubauen und neue Motivation – auch finanzieller Art – für Tätigkeiten außerhalb der Großstädte zu schaffen.
Heimdialyse – Modell der Zukunft?
Als innovatives Versorgungsmodell stellte er die Heimdialyse, insbesondere die Peritonealdialyse, in den Mittelpunkt. Dieses Verfahren ermögliche Patienten, die Behandlung flexibel in den Alltag zu integrieren und steigere die Lebensqualität erheblich. „Obwohl kostengünstiger für das Gesundheitssystem – insbesondere durch wegfallende Transportkosten – wird es in Deutschland bisher nur von rund sechs Prozent der Dialysepatienten genutzt“, berichtete Kuhlmann. Pilotprojekte wie in Kiel zeigten, wie Schulungszentren Praxen und Patienten befähigen können, die Heimdialyse sicher anzuwenden. International seien deutlich höhere Quoten erreichbar: In Schweden liege der Anteil bei etwa 20 Prozent, in Hongkong gar bei 80 Prozent.
Strukturelle Benachteiligung durch Krankenhausreform
Abschließend analysierte Dr. Nicole Helmboldt (Leipzig) die Folgen der geplanten Krankenhausreform für die „Leistungsgruppe komplexe Nephrologie“. Die Reform, die auf Zentralisierung und Qualitätssteigerung abzielt, drohe das Fachgebiet strukturell zu benachteiligen. „Nur rund acht Prozent der deutschen Kliniken verfügen über eine nephrologische Abteilung, Überversorgung existiert also nicht“, betonte sie. „Vielmehr droht eine Unterfinanzierung, weil die Zuweisung der Vorhaltevolumina auf Abrechnungsziffern basiert, die die tatsächliche Leistungserbringung in vielen Häusern gar nicht abbilden. Helmboldt warnte vor einem Teufelskreis: Zu niedrig berechnete Vorhaltevolumina machten die Nephrologie für Kliniken unattraktiver, Ausbildungsplätze gingen verloren, der Fachkräftemangel verschärfe sich. Die DGfN fordere daher eine Anpassung der Referenzjahre, eine Überarbeitung des InEK-Algorithmus und eine klare leistungsbezogene Definition der nephrologischen Versorgung. Nur so lasse sich die Behandlungsqualität sichern und der steigende Versorgungsbedarf decken. Bereits jetzt sei die CKD die siebthäufigste Todesursache.



