Während die Bedeutung der eigenen Gesundheit und Resilienz inzwischen auch im Genfer Gelöbnis betont wird, bleibt die praktische Umsetzung im Berufsalltag häufig eine Herausforderung. Angesichts der alarmierenden Zahlen zu Burnout, emotionaler Erschöpfung und psychischer Belastung im ärztlichen Berufsstand stellt sich die dringende Frage: Was kann getan werden, um die Resilienz von Ärztinnen und Ärzten nachhaltig zu stärken?
Aus dem Genfer Gelöbnis: „Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, (…) Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können. (…) Ich gelobe dies feierlich, aus freien Stücken und bei meiner Ehre.“
Obwohl dieser Passus 2017 in das Genfer Gelöbnis aufgenommen wurde, scheint die Umsetzung von ausreichender „Selbstfürsorge“ für viele Ärztinnen und Ärzte immer noch schwer, häufig auch in Ermangelung eines entsprechenden Problembewusstseins.
Gleichzeitig problematisiert die Bundesärztekammer in einer 2024 veröffentlichten Statistik, dass die Zahl der Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand bereits über 100.000 von insgesamt ca. 568.000 beträgt und eine Fortsetzung dieser Entwicklung zu befürchten sei, da schon 2023 ca. 23 % der Kolleginnen und Kollegen 60 Jahre oder älter gewesen seien. Der Trend zu familienfreundlichen Arbeitszeiten und die Vorbereitung auf eine zunehmend alternde Gesellschaft könne so nicht vollzogen werden, was als alarmierende Aussage gesehen werden kann.
Umso dringlicher erscheint es, zu überlegen, wie die Resilienz des medizinischen Personals ganz allgemein und von Ärztinnen und Ärzten im Besonderen künftig gestärkt werden kann.
Definitionen von Resilienz und Maßnahmen
„Resilienz“ ist uneinheitlich definiert und auch als Forschungskonstrukt nicht einheitlich verbreitet. In der ursprünglichen Bedeutung bezieht sich „Resilienz“ schlichtweg auf die „Widerstandskraft“ eines Materials. Welter-Enderlin formuliert, dass kein Mensch unverwundbar oder immun gegenüber dem Schicksal sei. Unter Resilienz wird vielmehr die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen. Kalisch vom Leibniz-Institut für Resilienz definiert Resilienz als dynamische Anpassungsleistung in Bezug auf Stressoren. Trotz, während oder infolge von physischen oder psychologischen Schwierigkeiten wird Gesundheit aufrechterhalten oder wiederhergestellt. Zu Recht wird das Konzept „Resilienz“, wenn es lediglich auf Fähigkeiten eines Individuums bezogen wird, verschiedentlich kritisiert, da Individuen Teil sozialer Systeme sind, welche unterschiedlich belastbar sind und die Adaptionsfähigkeiten einzelner unterschiedlich unterstützen können.
Psychische Gesundheit von Ärzten in Deutschland
Insgesamt hat sich die Datenlage zum Thema „Ärztegesundheit in Deutschland“ in den letzten 20 Jahren etwas verbessert, wenngleich im angloamerikanischen Sprachraum ein Vielfaches an Studien publiziert wird und ein deutlich höheres Problembewusstsein zu bestehen scheint.
In einer Übersichtsarbeit zur psychischen Gesundheit somatisch tätiger Ärztinnen und Ärzte in Deutschland fanden sich Werte für emotionale Erschöpfung, welche als Kernkomponente von Burnout gesehen werden kann, von 4,2–8,2 %. In weiteren Studien fanden sich für psychiatrisch tätige Kolleginnen und Kollegen Werte von 12–13 % für emotionale Erschöpfung.
Hinweise für eine leichte depressive Symptomatik zum Untersuchungszeitpunkt fanden sich bei 7,8–29,6 % der somatischen Kolleginnen und Kollegen sowie bei 12,6–14,6 % der psychiatrisch tätigen Kolleginnen und Kollegen.
Mit unter anderem dem Ziel, die Arbeitsfähigkeit des medizinischen Personals während künftiger Pandemien aufrechtzuerhalten und die Ressourcensteuerung zu verbessern, wurde während der Corona-Krise erstmals die psychische Gesundheit des medizinischen Personals in Deutschland im Rahmen des egePan Unimed Projekts in großem Stil mit hohen Fallzahlen untersucht.
Unter den sogenannten VOICE-Studien finden sich verschiedene wichtige Ergebnisse. Unter anderem nahm die Belastung des medizinischen Personals während der Pandemie zu. Darüber hinaus fanden sich bei ca. 20 % der Untersuchten erhöhte Werte für Angst und Depressivität, welche im Zuge der Pandemie zunahmen und im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht waren.
Als potenziell gesundheitserhaltende Faktoren wurden in diesem Rahmen die erlebte Kohärenz (Sinnhaftigkeit), die wahrgenommene soziale Unterstützung sowie Optimismus gefunden.
Zusammenhang Burnout und Resilienz bei medizinischem Personal
Zunächst ist zu sagen, dass die Wirkung von Resilienzmaßnahmen noch zu wenig erforscht und uneinheitlich hinsichtlich der Ergebnisse ist, um allgemeingültige Empfehlungen zu geben.
West et al. fanden im Rahmen einer Querschnittsbefragung bei Ärztinnen und Ärzten eine größere Resilienz als in der allgemeinen Erwerbsbevölkerung. Dennoch waren die Burnout-Raten selbst bei den widerstandsfähigsten Ärztinnen und Ärzten erheblich. Sie halten die Behebung von Systemproblemen im klinischen Versorgungsumfeld für erforderlich, um Burnout zu reduzieren und das Wohlbefinden der Kolleginnen und Kollegen zu fördern. Auch Nituica et al. schlussfolgern, dass die Entwicklung der Resilienz nicht nur durch die Förderung von individueller Resilienz erfolgen sollte, sondern auch durch Entwicklung der Infrastruktur und eines institutionellen Schutzsystems gegen Burnout bei Gesundheitsdienstleistern.
Dies beschreiben auch Kunzler et al. in einer Meta-Analyse (n = 44 Studien), welche sich mit der Wirksamkeit von Resilienzmaßnahmen bei medizinischem Personal beschäftigt. Die Autoren schlussfolgern, dass es für Angehörige der Gesundheitsberufe eine sehr geringe Evidenz dafür gebe, dass Resilienztrainings im Vergleich zur Kontrolle zu einem höheren Maß an Resilienz, einem geringeren Maß an Depression, Stress oder Stresswahrnehmung und einem höheren Maß an bestimmten Resilienzfaktoren nach der Intervention führen könnten. Allerdings deuteten die Ergebnisse dennoch auf positive Effekte von Resilienztrainings für medizinisches Personal hin.
Das medizinische Personal selbst scheint häufig Maßnahmen zur Stärkung der individuellen Resilienz gegenüber eher kritisch eingestellt zu sein. Dies geht beispielsweise auch aus einer multizentrischen Querschnittsbefragung hervor, in welcher 15.738 Pflegende und 5.312 Medizinerinnen und Mediziner teilnahmen. Es zeigten sich hohe und verbreitete Werte für Burnout unter Klinikern, die mit häufiger Personalfluktuation und Bedenken hinsichtlich der Patientensicherheit verbunden waren. Darüber hinaus mangelt es an Vertrauen in das Management, um Probleme bei der Patientenversorgung zu lösen. Verbesserungen in der Personalausstattung, insbesondere eine ausreichende Besetzung des Pflegepersonals, und des Arbeitsumfelds wurden als wichtiger für psychische Gesundheit und Wohlbefinden angesehen als die Einführung von Wellness- und Resilienzprogrammen.
Guille und Sen formulieren in einem Review Folgendes:
- Solange sich kein Konsens für das umstrittene Konstrukt „Burn-out“ abzeichne, solle Depression als ein effektiveres Konstrukt für Studien zum Wohlbefinden von Ärzten genutzt werden.
- Verbesserung des Zugangs von Ärztinnen und Ärzten zu Behandlungsmaßnahmen in Bezug auf eigene psychische Erkrankung und Entstigmatisierung derselben.
- Da Interventionen, die auf Reduzierung von Arbeitszeiten und Arbeitsbelastung abzielten, mittlere bis große Auswirkungen erzielten, sollten diese hinsichtlich Forschung und Umsetzung priorisiert werden.
- Dringender Ausbau von Maßnahmen zur Verbesserung des Eltern- und Betreuungsurlaubes sowie des Zugangs zu Kinderbetreuung.
- Zwar geringere, jedoch ebenfalls vorhandene Evidenz für Maßnahmen auf der individuellen Ebene wie achtsamkeitsbasierte Stressreduktion und kognitive Verhaltenstherapie.
Vorschläge zur individuellen Resilienzstärkung
- Pflegen von kollegialen wie privaten Beziehungen
- Regelmäßiger kollegialer Austausch, beispielsweise auch im Rahmen von Inter-/Supervision oder Gruppen zur interaktionellen Fallarbeit (IFA) oder Balintgruppen, um emotional belastende Situationen zu reflektieren und zu bewältigen
- Regelmäßiges Praktizieren von Achtsamkeit und/oder Entspannungsverfahren, unter anderem auch kurze Einheiten während des Arbeitsalltags
- Einhalten von Pausenzeiten
- Umsetzung der „Basics“ wie regelmäßig ausreichend trinken, essen, Toilettengang
- Individuelle Wege zur Stressbewältigung finden, zum Beispiel regelmäßig Sport treiben, Yoga oder Entspannungsverfahren praktizieren
- Üben und Praktizieren von Selbstmitgefühl
- Sich Zugestehen von eigener Verwundbarkeit und Schwäche
- Inanspruchnahme von Psychotherapie bei eigener psychischer Erkrankung, eventuell trotz ausgeprägter Scham im Hinblick auf die eigene Erkrankung
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