Depressive Erkrankungen aufgrund der Arbeitssituation nehmen seit Jahren stetig zu – Arbeitsstress ist der am häufigsten genannte Grund dafür. Ein spezifisches, Arbeitsstress-bezogenes Konzept wie die Interpersonelle Psychotherapie (IPT-Work) verringert nicht nur die depressive Symptomatik sondern kann den Betroffenen auch den Weg zurück in die Arbeitswelt ermöglichen.
Viele Menschen mit arbeitsstressbedingter Depression sitzen einer Fehlannahme auf – sie glauben, wenn sie erst aus der Arbeit ausscheiden, würde auch ihre Depression vergehen. Doch wie Prof. Dr. phil. Elisabeth Schramm vom Universitätsklinikum Freiburg verdeutlichte, geht diese Rechnung in den meisten Fällen nicht auf. Denn eine gute Arbeitstätigkeit kann sowohl die Gesundheit als auch die Lebenszufriedenheit stärken, indem sie z.B. das gesellschaftliche Ansehen, die Identität und das Einkommen sichert. Zusätzlich vermittelt die Arbeitstätigkeit Zugehörigkeit und Anerkennung, die sozialen Rückhalt, Wertschätzung für erbrachte Leistung sowie eine Beteiligung an kollektiven Zielen umfasst. Schließlich können sich Arbeitende als selbstwirksam erleben, haben automatisch eine Zeitstruktur sowie Lern- und Entfaltungschancen. Eine Metaanalyse kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Demnach kann Arbeit das Wohlbefinden und die Genesung von einer Krankheit unterstützen – sofern gute Bedingungen am Arbeitsplatz herrschen. Besonders offensichtlich wird der Benefit einer Arbeit im Vergleich zur schlechten mentalen Gesundheit von Arbeitslosen.
Steigende Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen
Seit Jahren steigen die Fehltage am Arbeitsplatz aufgrund psychischer Erkrankungen deutlich an (um 41 % zwischen 2011 und 2021), während sich beim allgemeinen Krankenstand kein vergleichbarer Anstieg feststellen lässt. So liegen psychische Erkrankungen an dritter Stelle unter den Fehltagen verursachenden Erkrankungen, bei Frauen sogar an zweiter Stelle. Die Ursache dafür ist nicht auf einen einzigen Faktor zurückzuführen, sondern stellt ein Zusammenspiel verschiedener Einflüsse dar; dazu zählen insbesondere hohe Arbeitsbelastungen und schlechtes Betriebsklima. Umgekehrt verringern eine hohe Arbeitsmotivation und ein gutes Arbeitsklima den Krankenstand aufgrund psychischer Erkrankungen. Die meisten Fehltage gehen auf Depressionen zurück, wobei diese bei Frauen häufiger sind als bei Männern.
Burnout kommt vor Depression
Laut dem Stressreport 2019 zählen zu den Hauptbelastungen am Arbeitsplatz zu viel Arbeit, Termindruck, Hetze sowie Unterbrechungen und Störungen. Somit hängen die stärksten Belastungen mit der Arbeitsgestaltung zusammen. Dagegen ließe sich etwas tun, doch kommen Schramm zufolge wohl nur wenige Arbeitgeber ihrer diesbezüglichen Verpflichtung nach.
Ein Burnout aufgrund der beruflichen Situation kann einer Depression vorangehen (nicht umgekehrt). Burnout-Patienten haben eine 2,6-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, in den nächsten drei Jahren eine Depression zu entwickeln. Durch den Abbau der beruflichen Belastungen lässt sich diese Entwicklung aufhalten.
Arbeitsstress eng mit Depressionen assoziiert
Den signifikanten Zusammenhang zwischen Arbeitsstress und Depression unterstreicht ein aktuelles Scoping Review. Die stärkste Evidenz wurde hier für Arbeitsüberlastung und dem Ungleichgewicht zwischen Anstrengung und „Belohnung“ ermittelt. Auch das Positionspapier der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) zum Thema Burnout befasst sich mit dem Übergang von der Arbeitsbelastung zur Krankheit. Demnach können individuelle Faktoren und Arbeitsplatzfaktoren zu einer Arbeitsüberforderung mit vegetativen Stresssymptomen und Erschöpfung führen. Besteht diese Überforderung für längere Zeit, kann sich daraus ein Burnout entwickeln. Bei chronifiziertem Stress entwickeln manche Patienten Folgeerkrankungen wie Depression, Alkoholsucht, Medikamentenmissbrauch, Angsterkrankungen oder Schmerzsyndrome. Körperliche Erkrankungen wie z.B. Hörsturz, Tinnitus oder Bluthochdruck gelten ebenfalls als mögliche Folgen. Diese somatischen wie psychischen Erkrankungen können sich wiederum verstärkend auf den Burnout auswirken.
Erfolg psychologischer Interventionen
In einer umfangreichen Cochrane Analyse mit 45 randomisierten kontrollierten Studien wurden verschiedene Interventionsarten verglichen. Hierbei zeigte sich, dass bei arbeitsbedingten Depressionen nur psychologische Interventionen (Psychotherapien) oder die Kombination aus Interventionen am Arbeitsplatz plus klinischen Interventionen positive Effekte hinsichtlich der Fehltage, der depressiven Symptome und evtl. auch der Arbeitsfähigkeit bewirkten.
Dieses Ergebnis spricht laut Schramm dafür, die Psychotherapie bei depressiven Arbeitstätigen auch auf den Arbeitsstress selbst zu richten. Dazu eignet sich beispielsweise die Interpersonelle Psychotherapie (IPT), welche zu den Erstlinienbehandlungen bei Depressionen gehört und sich auf den Arbeitskontext zuschneiden lässt (IPT-Work). Da in vielen Fällen „Arbeitsstress“ als Grund für eine Depression genannt wird, kann die Therapie hier ansetzen und folgende Faktoren analysieren: Gab es Veränderungen am Arbeitsplatz – beispielsweise ein neuer Chef oder eine neue Chefin, Umstrukturierungen, einen neuen Arbeitsplatz oder Personalwechsel? Bestehen Konflikte mit den Mitarbeitenden oder Vorgesetzten? Kommt es zu Mobbing, Belästigung oder Ausnutzung? Wie sind die Arbeitsbedingungen? Liegt eine Arbeitsüberlastung Termin- und Leistungsdruck vor? Auch die sozialen Defizite wie Abgrenzungsfähigkeit, kommunikative Defizite oder verringerte Stresstoleranz werden betrachtet.
Spezifische Intervention bei Arbeitsstress
Am Universitätsklinikum Freiburg wird die IPT-Work als Gruppenprogramm mit vier Modulen und einer vorgeschalteten Einzelsitzung durchgeführt. Im ersten Modul geht es um die Work-Life-Balance und die psychologische Sicherheit. Neben der Analyse der Arbeitssituation werden in diesem Modul z.B. auch Achtsamkeit, Selbstfürsorge und das Um-Hilfe-Bitten vermittelt und geübt. Im zweiten, zentralen Modul lernen die Patientinnen und Patienten z.B. anhand von Rollenspielen aus dem Arbeitsalltag, Gratifikation (Anerkennung) und Kontrolle zu erreichen bzw. einzufordern. Zudem wird die Kommunikation am Arbeitsplatz bearbeitet. Hier üben die Betroffenen einen „basic talk“, der es ihnen ermöglicht, mit einfachen Aussagen wie „Das sehe ich anders“ oder „So geht das nicht“, ihre Botschaften wirkungsvoll zu vermitteln und sie mit „move talk“, also Gesten, Bewegungen oder Positionierungen zu unterstreichen. In Modul drei erstellen die Teilnehmenden ihr Werteprofil und vergleichen dies mit dem bislang am Arbeitsplatz gelebten Werteprofil. Anhand der häufig auftretenden großen Diskrepanz wird besprochen, wie sich die eigenen Werte im Arbeitsalltag besser umsetzen lassen. Modul vier befasst sich mit der angestrebten Balance und der Einstellung zu einer Rückkehr zur Arbeit. Wie eine Pilotstudie zeigte, wurde die achtwöchige IPT-Work als Gruppenprogramm im Arbeits-Kontext sehr gut akzeptiert. Die depressive Symptomatik verringerte sich signifikant stärker als bei der üblichen Intervention (treatment as usual). Zudem führte die Therapie zu positiveren Erwartungen an die Arbeit, einer höheren Belastungsfähigkeit und einem besseren Verausgabungs-Belohnungs-Verhältnis (effort-reward-ratio).
Bericht: Dr. rer. nat. Marion Hofmann-Aßmus
Quelle: Oberberg Online-Vortragsreihe: „Wenn Arbeit krank macht – Spezifische Psychotherapie für arbeitsstress-bedingte Depression“, am 22.10.2024 mit Prof. Dr. phil. Elisabeth Schramm
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