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Hauptstadtkongress 2025: Wie überzeugt man ältere Hausärzte
von HÄPPI und Physician Assistants?

Hauptstadtkongress 2025: Wie überzeugt man ältere Hausärzte
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mgo medizin

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Nach drei Tagen ging der 28. Hauptstadtkongress im hub27 der Berliner Messe zu Ende. Rund 5.000 Besucher erlebten zum Auftakt die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken mit ihrem Credo pro Primärarzt. Was das praktisch bedeutet, diskutierte u.a. der HÄV in einem Teampraxis-Forum. HZV, HÄPPI und viel Zukunft, aber auch Blockaden im Kopf: Wie bricht man den Widerstand der vielen älteren Hausärzte?

Nur eine Viertelstunde ließ der eng getaktete Terminplan der Bundesgesundheitsministerin Nina Warken, um zentrale Reformprojekte abzuhaken. Reform der Gesetzlichen Krankenversorgung, Umbau der ambulanten Versorgung, Pflegeversicherung, Notfallreform und Krankenhausreform. Ein Primärarztsystem soll Patienten besser versorgen, schnellere Termine beim Facharzt produzieren und Zufriedenheit der Patienten erhöhen. Nina Warken probiert das Kunststück, Geld im Gesundheitssystem zu sparen und gleichzeitig Versorgungsqualität und Patientenzufriedenheit zu erhöhen. Wer solch hohe Ziele ansteuert, muss sich der Fallhöhe bewusst sein. Deshalb nimmt die Ministerin erstmal das Tempo aus dem Spiel und baut auf eine Art Schmusekurs mit den Akteuren. „Um diese Ziele nicht zu gefährden, werden wir bei diesem hochkomplexen Vorhaben sehr sorgfältig vorgehen“, beruhigte Warken. Die Leistungserbringer will sie in den Veränderungsprozess einbeziehen. Grundpfeiler ihrer Reform soll der Primärarzt werden.  Die Hausarztpraxis solle „künftig regelhaft die erste Anlaufstelle“ sein.

Primärarztsystem setzt HÄPPI-Struktur voraus

Dieses System der Primärarztversorgung in der Praxis für Allgemeinmedizin entspricht organisatorisch der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) und kann im Hausarzt-Mangel nur in Verbindung mit Arzt-Teampraxis-Kontakten funktionieren. Das Teampraxis-Modell HÄPPI – also das Hausärztliche Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell – wurde und wird in Modellversuchen erprobt. Während des Hauptstadtkongresses in Berlin gelang in Baden-Württemberg die bundesweit erste HÄPPI-Vergütung im Rahmen einer Fortschreibung des bestehenden HZV-Vertrags.

In dem vertraglichen Addendum haben der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Baden-Württemberg, die AOK Baden-Württemberg und MEDI Baden-Württemberg nun einen weiteren Standard gesetzt, der ab dem 1. Oktober in der Versorgung praktiziert wird. „Mit HÄPPI zeigen wir, wie die Transformation der Primärversorgung als Angebot für alle Praxen gelingen kann – nicht als Modellprojekt, sondern als echte Versorgungsrealität. Praxen, die ihre Arbeitsweise verändern wollen, erhalten dafür eine gezielte Vergütung. Die HZV beweist einmal mehr, dass sie der Goldstandard einer hausärztlich gesteuerten Versorgung ist und Antworten auf die drängenden Fragen der Gesundheitsversorgung in die Umsetzung bringt – und zwar heute, nicht erst, wenn es zu spät ist“, betonen Dr. Susanne Bublitz und Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorstandsvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg.

Vertrag sieht Transformationszuschläge für Allgemeinärzte vor

Allgemeinärztliche Praxen erhalten pro eingeschriebenen AOK-HZV-Versicherten einen Zuschlag von 20 Euro sowie einen HÄPPI-Transformationszuschlag von 10 Euro zur Unterstützung des Aufbaus der HÄPPI-Infrastruktur. Zusätzlich gibt es weiterhin einen finanziellen Zuschlag für den Einsatz akademischer nichtärztlicher Gesundheitsberufe – abhängig vom Stundenumfang und der Anzahl der eingesetzten Fachkräfte (bis zu 15 Euro je Versichertenteilnahmejahr). Die Erfolgsfaktoren des Pilotprojektes sind zugleich die definierten Teilnahmevoraussetzungen für die HÄPPI-Vergütung. Dazu gehört der Einsatz akademischer Gesundheitsberufe, die Nutzung digitaler Anwendungen und die Umsetzung strukturierter Kooperationsprozesse, erläutert der Hausärzteverband Baden-Württemberg.

Zurück zum Hauptstadtkongress: Auch hier waren Teampraxis und Delegation Themen einer Forum-Veranstaltung, an der unter anderem Prof. Nicola Buhlinger-Göpfahrt sowie Hannelore König vom Verband medizinischer Fachberufe teilnahmen. „Eine Hausarzt-Praxis kann nur dann Teil des HÄPPI-Konzepts werden, wenn qualifiziertes Gesundheitspersonal zur Verfügung steht“, betonte Prof. Buhlinger-Göpfahrt. Daraus ergibt sich aus ihrer Sicht, dass Ärzte und Ärztinnen sich vermehrt auf ihre Kerntätigkeit beschränken und verstärkt delegieren müssen, und zwar in einem Umfang, der über das bisher von Medizinischen Fachangestellten (MFA) und Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis (VERAH) schon Geleistete spürbar hinausgeht. Die neuen akademischen Gesundheitsberufe wie Physician Assistants (PA) oder Primary Care Manager (PCM) sind auf diese neuen Rollen in der Versorgung zugeschnitten.

Die Haftung im Team verlangt klare Zuständigkeiten

Eine schwierige Frage bleibt die Haftung zwischen Arzt und Team. „Jede Medizinische Fachangestellte“, so Hannelore König vom Verband medizinischer Fachberufe, „ist sich bewusst, dass sie eine Durchführungs-Verantwortung hat.“ Sie dürfe daher nicht von Leitlinien und sonstigen Rahmenbedingungen abweichen. Das wäre grobe Fahrlässigkeit und sie würde im Rahmen der Durchgriffshaftung zur Verantwortung gezogen – auch strafrechtlich. „Diese Rolle ist als Berufsbild in der aktuellen Ausbildungsordnung überhaupt noch nicht enthalten. Die Ärzte müssen sich darauf verlassen können, dass MFAs nichts tun, wofür sie nicht uneingeschränkt qualifiziert und wozu sie fähig sind.“

Die HÄV-Bundesvorsitzende Buhlinger-Göpfahrt betonte, dass die Haftung immer beim Facharzt für Allgemeinmedizin oder beim hausärztlich tätigen Internisten bleibe. „Daher bleibt es unsere Freiheit, wie wir diese Aufgabe im Team erfüllen. Dafür brauchen wir die Auflösung des Arzt-Patienten-Kontakts, der ja in der Regelversorgung immer noch sehr stark ist.“ In der Hausarztzentrierten Versorgung habe man gemeinsam mit den Kostenträgern den Praxis-Patienten-Kontakt als Basis der Abrechnung definiert. Diese anrechenbare Leistung könne ärztlich oder von einem Team-Mitglied erbracht werden und zwar in Präsenz oder digital. „Das ist die Zukunft – ab 1. Oktober in Baden-Württemberg als realer Teil der Versorgung.“

Die Behandlungsleistung am Patienten ist laut HÄV eine Team-Aufgabe, die mit einer auskömmlichen Finanzierung honoriert werden müsse. Die HZV gewährleistet eine Finanzierung und gibt die Freiheit der Versorgungsgestaltung, zwinge aber auch zur Haftung für die Teamleistung.„Dann aber ist jede Sonografie gleich viel wert – egal, ob sie die PA oder der Arzt erbringt“, forderte Buhlinger-Göpfahrt vehement. Der Teampraxis-Zuschlag, den der Verband mit der AOK Baden-Württemberg verhandelt habe, sei bewusst offen und beziehe sich auf alle genannten Tätigkeiten, auch auf die Community Health Nurse (CHN). Voraussetzung dafür sei natürlich eine auskömmliche Finanzierung.

Langer Kampf gegen tradierte Rollenbilder

Jahrzehntelang prägten Einheitlicher Bewertungsmaßstab, Arzt-Patienten-Kontakt und die Hierarchie mit dem Arzt an der Spitze das Denken in den Praxen. Buhlinger-Göpfahrt bekennt offen: „Als meine PA zum ersten Mal im weißen Kittel und mit dem Stethoskop um den Hals vor mir stand und mitteilte, dass sie nun die Infekt-Sprechstunde abhält, habe ich geschluckt. Wir haben es einfach in der Ausbildung nicht gelernt.“ Deshalb bedeute die HZV ein Umdenken und eine Umdefinition der Grundlagen ärztlicher Arbeit. Westfalen-Lippe schlägt einen etwas anderen Weg ein. „Ich glaube nicht so recht daran, dass es gut gelingt, weil es kein wirklicher Wechsel in der Philosophie ist.“ Die Widerstände in der Ärzteschaft seien zum Teil enorm. Der Wandel zur interprofessionellen Teampraxis sei ein unglaublicher Transformationsprozess für den ambulanten Sektor. „Das dürfen Sie nicht unterschätzten.“ Da komme der Hausärzteverband und bewerbe HÄPPI. Da sagten viele Ältere, sie hätten nur noch ein paar Jahre zu arbeiten und wüssten nicht so genau, wozu das Ganze gut sei. „Wie begeistern Sie diese Kollege für solche modernen Konzepte?“ Hinzu kommt, dass akademisierte Kräfte viel teurer seien als eine reguläre MFA. Viele ältere Hausärzte fragten dann: „Warum?“

Autor: Franz-Günter Runkel, freier Redakteur für die
Ressorts Berufs- und
Gesundheitspolitik sowie
Wissenschafts- und
Hochschulpolitik

Abb.: WISO – Schmidt-Dominé

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