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HÄPPI-Pilotversuch: Zukunftsweisendes Konzept 
der hausärztlichen Versorgung

HÄPPI-Pilotversuch: Zukunftsweisendes Konzept 
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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Das Medizinische Versorgungszentrum Bietigheim im Umland von Stuttgart in Baden-Württemberg ist eine der zehn Hausarzt-Praxen im Land, die von Juli bis Dezember am HÄPPI-Modellversuch teilgenommen haben. „HÄPPI“ steht für ein „hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“ und wurde durch den Hausärztinnen- und Hausärzteverband Baden-Württemberg mit den Vertragspartnern der AOK Baden-Württemberg pilotiert.

Dr. Johannes Buderer ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Inhaber und Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums in Bietigheim. Seine Schwiegertochter Marilena Buderer ist akademisierte Mitarbeiterin im MVZ und studierte Physiotherapeutin. „Seitdem wir die Struktur als Medizinisches Versorgungszentrum mit acht Praxen und mehr als 100 Mitarbeitern, 15 Ärzten und sieben Ärzten in Weiterbildung etabliert haben, hat Marilena eine zentrale Führungs- und Schulungsaufgabe in der Praxis“, stellt Dr. Buderer im Gespräch mit dem „Allgemeinarzt“ fest. Insgesamt arbeitet die Praxisstruktur mit etwa 12.000 Scheinen pro Quartal.

Orchestrierte Kooperation im HÄPPI-Konzept

Grundprinzip des HÄPPI-Konzepts ist ein kontrolliertes und fundiertes Zusammenspiel von Delegation und Digitalisierung in der Hausarztpraxis. Diese orchestrierte Kooperation wird im HÄPPI-Konzept mit dem Instrument interprofessioneller Zusammenarbeit umgesetzt. So werden nicht-ärztliche Gesundheitsberufe wie Primary Care Managerinnen (PCM) oder Physician Assistants ebenso in die Versorgung eingebunden wie digitale Helfer und hybride Versorgungsangebote. „Die Bewertung des Modellversuchs fällt aus unserer Sicht sehr positiv aus. Das betraf nicht nur den Inhalt des Konzeptes, sondern auch die Organisation durch den Hausärztinnen und Hausärzteverband sowie die den Modellversuch begleitende Universität Heidelberg“, berichtet Buderer. Allein in Baden-Württemberg fehlen derzeit 1.000 Hausärzte. „Die Einbindung akademisierter, nicht-ärztlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erlaubt es, unsere Versorgungsstruktur zu verbessern und den Mangel ein Stück weit aufzufangen.“ Selbst im Stuttgarter Speckgürtel ist die Hausarzt-Welt nicht mehr heil. Bietigheim-Bissingen hat 44.000 Einwohner. Seit Gründung des Medizinischen Versorgungszentrums 2017 fehlen durchgehend 15 Hausärzte. Es ist Zeit zu handeln.

Am Anfang steht die Überzeugungsarbeit

Aller Anfang ist schwer, und das gilt auch für HÄPPI. „Ich musste erst Überzeugungsarbeit leisten, bis Ärzte bereit sind, ihre Arbeit in Teilen zu delegieren“, erklärt Buderer. Die Einbindung von Physician Assistants in die Praxisarbeit sei Neuland für Allgemeinärzte. „Wir stehen am Anfang einer starken Umwälzung in den allgemeinärztlichen Praxen. Das HÄPPI-Modell hat uns in dieser Sache einen Schubs gegeben.“ Neben Marilena Buderer hat das MVZ schon eine Physician Assistant angestellt, und eine weitere Mitarbeiterin absolviert gerade ihr Studium zur PCM in Mannheim. Während der Modellphase wurden Schritt für Schritt mehr und mehr Aufgabenbereiche an diese nicht-ärztlichen Mitarbeiterinnen delegiert. „Die PAs sind gerade dabei, Disease Management Programme selbstständig zu übernehmen. Es geht um Typ 2-Diabetiker, Asthmatiker, COPD- und Patienten mit koronarer Herzkrankheit. Die PAs sehen diese Patienten selbstständig, dokumentieren sie und behandeln sie in Rücksprache mit dem Hausarzt“, erläutert ­Buderer.

Monitoring findet digital oder persönlich statt

Leichte Infekte werden ebenfalls von den Physician Assistants behandelt. Das Monitoring durch den Allgemeinarzt findet entweder persönlich oder digital statt. Regel-Hausbesuche, Heimbesuche und Neupatienten-Aufnahmen fallen auch in den Arbeitsbereich der nicht ärztlichen Mitarbeiter. „In unserer HÄPPI-Pilotpraxis können wir durch die Versorgung im Team ungefähr 20 Arztstunden für die Versorgung komplexer Fälle freimachen, die vorher in Routineaufgaben gebunden waren. Das heißt, wir haben jetzt fast einen ganzen zusätzlichen Arztsitz zur Versorgung von medizinisch komplexen Fällen“, betont Buderer. Die Mitarbeiterinnen, so Marilena Buderer, seien sehr motiviert und nichts spreche gegen einen Ausbau des Modells. Neben den PAs gibt es drei Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH) sowie zwölf MFAs, davon drei Auszubildende. Die PA-Sprechstunden finden nur dann statt, wenn ein Hausarzt vor Ort ist. In Bietigheim arbeiten fünf Hausärzte in Teilzeit sowie ein Arzt in Weiterbildung. „Die digitale oder persönliche Supervision ist Voraussetzung für das Funktionieren des HÄPPI-Modells, denn so kann sichergestellt werden, dass jeder, der einen Arzt braucht, auch einen sehen kann“, macht Marilena Buderer klar.

Engmaschige Team-Meetings

Auf die Kommunikation kommt in einer Team-Struktur viel an. „Schon vor HÄPPI war unsere Struktur der engmaschigen Team-Meetings und digitalen Kommunikation weit entwickelt, das hat uns in der HÄPPI-Pilotierung geholfen“, unterstreicht Marilena Buderer. So gebe es spezielle Meetings für die Medizinischen Fachangestellten, für die Ärzte sowie die Ärzte in Weiterbildung und die Physician Assistants.

Die HZV-Struktur ist die Basis für HÄPPI

Wirtschaftlich ist der HÄPPI-Modellversuch in die Hausarztzentrierte Versorgung mit der AOK Baden-Württemberg eingebettet. HÄPPI baut also auf der HZV nach §73b SGB V auf. „Als MVZ-Praxis mit acht Standorten sind wir auf die hausarztzentrierte Versorgung angewiesen. Ohne HZV-Basis könnten wir diese Art der Versorgung nicht realisieren“, sagt Praxischef Buderer. Die HZV-Struktur ist im Schnitt 30 % besser vergütet als die Versorgungsstruktur des KV-Kollektivvertrags und stärkt die Hausarztpraxen durch eine erweiterte Steuerungsfunktion. Zusätzlich gibt es einen Zuschlag für nicht-ärztliche akademische Gesundheitsberufe ähnlich der einer ­VERAH. Eine PA kostet heute im Monat zwischen 4.000 und 5.000 Euro. Teil der Pilotierung war außerdem die strukturierte Zusammenarbeit mit Pflegeheimen, wie sie im Vertrag zur Integrierten Versorgung Pflegeheim (IVP) mit der AOK Baden-Württemberg nach §140a SGB geregelt ist. Die Teilnahme am Vertrag selbst war bislang für die Gesundheitspraxis Bietigheim nicht möglich, soll aber aufgrund der Neugestaltung des IVP-Vertrags 2025 begonnen werden.
Das HÄPPI-Modell trägt dazu bei, die Versorgung besser zu steuern und vor Über-, Unter- und Fehlversorgung zu schützen. Das geht sowohl auf allgemeinärztlicher Ebene als auch in Kooperation mit den Fachärzten und der dortigen Weiterbehandlung. So haben die Allgemeinärzte einen besseren Überblick über Patienten und Überweisungen zu den Fachärzten. In einem Punkt ist Buderer ganz klar: „Ich würde einen Bonus für Patienten in der HZV-Einschreibung sehr begrüßen.“

Digitalisierung ist ein Kernstück von HÄPPI

Die Gesundheitspraxis Bietigheim arbeitet mit der Praxissoftware Tomedo. Kürzlich wurde der Messenger-Dienst eingeführt, sodass bereits gut 100 Patienten davon Gebrauch machen und ihre Daten und Termine digital übermitteln. In der Praxis können Patienten digital in entsprechende Sprechzimmer dirigiert werden. „Wir planen auch eine Online-Rezeption, die mithilfe des Medico-Programms Anliegen von Patienten sortiert, priorisiert und bearbeitet“, blickt Buderer in die Zukunft. Die Tele-Sprechstunden der Praxis werden mittlerweile eher weniger nachgefragt. Unter dem Strich zeigt sich Marilena Buderer überzeugt, auf einem sehr guten Weg in die ausgebaute Delegation mit nicht-ärztlichen Team-Mitgliedern im Rahmen des HÄPPI-Konzepts zu sein. Der Mehrwert liegt für sie auf der Hand: „Das entlastet die Praxen sehr und bietet viele Expansionsmöglichkeiten in der hausärztlichen Versorgung.“ Praxisinhaber Buderer und sein Team sehen vor diesem Hintergrund große Wachstumsmöglichkeiten. „Die Räumlichkeiten stehen zur Verfügung, wir sehen große Ausbau-Chancen. Vor dem Hintergrund der Mangel-Situation im hausärztlichen Bereich ist dieses HÄPPI-Konzept zukunftsweisend.“

Autor: Franz-Günter Runkel

Quelle: Der Allgemeinarzt

Bildquelle:© MQ-Illustrations – stock.adobe.com

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