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Gibt es einen Facharztstandard? Teil 2: Was geschieht mit Fremdbefunden?

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Gibt es einen Facharztstandard? Teil 2: Was geschieht mit Fremdbefunden?

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Die Überweisung eines Patienten oder einer Patientin gehört für jede Hausärztin und für jeden Hausarzt zum Praxisalltag. Genauso wie der anschließende ­Empfang von Fremdbefunden. Doch gerade wenn es um Alltägliches geht, sollte man größte Sorgfalt walten lassen.

Dies ist eine Geschichte, mit der verdeutlicht werden soll, welch fatale Folgen ein untergegangener Fremdbefund nach sich ziehen kann. Mittlerweile wird ein im Team besprochenes, möglichst schriftlich fixiertes Vorgehen im Umgang mit Fremdbefunden im Rahmen des Praxis-Qualitätsmana­gements so etwas verhindern. Aber ist das als „Standard“ in der Allgemeinmedizin zu sehen?

Der Fall

Eine Mitte 50-jährige Türkin, die wegen ihre rudimentären Deutschkenntnisse ihren Schwager als Dolmetscher dabei hat, erzählt, dass sie soeben aus der Türkei zurückgekommen sei. Sie habe dort dem Sterben und der Beerdigung ihres Vaters beigewohnt, der an einem Dickdarmkarzinom gestorben sei. Die Ärzte dort hätten ihr erklärt, dass sie dringend eine Koloskopie durchführen lassen solle. Sie wolle dafür eine Überweisung zu einem Facharzt – Gastroenterologen. Diese wurde ihr ausgehändigt mit der routinemäßigen Erklärung, sie solle sich 14 Tage nach dieser Untersuchung zur Besprechung in der ­Praxis melden.
Die Koloskopie fand in geringem zeitlichem Abstand statt. Irgendeinen „Unruhemoment“ muss die Patientin dabei wahrgenommen haben, denn sie meldet sich bereits nach drei Tagen in der Hausarztpraxis, mit der Frage, ob der Bericht schon angekommen sei. Wieder wird ihr erklärt, sie solle sich doch in 14 Tagen melden – der Bericht sei nicht auffindbar und könne noch nicht da sein. Die Patientin bleibt in Unruhe und fragt bereits nach weiteren fünf Tagen erneut nach. Da erklärt ihr eine Angestellte dezidiert, wenn der Bericht komme und etwas Besonderes darin stünde, würde sich die Praxis (!) bei ihr melden. Die Praxis meldet sich nicht.
Die Betreuung der Patientin geht – wie gewohnt fast ohne Arztkontakt – weiter mit präventiven Impfungen gegen Tetanus und Grippe, Verordnung der Dauermedikation und Ähnlichem. Nach über einem Jahr findet bei der Ärztin – auch wegen schlechterem Allgemeinbefinden – eine sogenannte „GU“ statt. Bei der Besprechung ist wiederum der Schwager als männliche Begleitung und Dolmetscher dabei. Im Lauf des Gesprächs fragt die Patientin nochmals nach dem Koloskopiebefund und beobachtet (mit Erstaunen), dass der Brief ungeöffnet aus der Karteikarte entnommen und geöffnet wird. Die Ärztin weist sie nach der Lektüre unmittelbar ins Krankenhaus ein.

Dies stellt sich nach Einsicht in die Akten heraus

Der Arztbrief war vom Tag der Untersuchung (!), beschreibt einen die halbe Circumferenz des Colons umgreifenden Polypen und empfiehlt – unabhängig vom pathologischen Ergebnis der PE’s – die baldige operative Entfernung dieses Abschnitts. Bei dem Krankenhausaufenthalt stellt sich die Malignität weiterer Abschnitte des Polypen heraus sowie die begonnene Metastasierung. Nach circa 18 monatigem Leiden verstirbt die Patientin. Die Kinder greifen die Klage auf.

Resumee

Wir sind auf die routinierte Mitarbeit der Fachangestellten angewiesen und in gewisser Weise von ihnen abhängig. Aber wir müssen die Grenzen der Verantwortungsübernahme und die „Sprachregelungen“ an der Anmeldung immer wieder diskutieren und verbessern.

Das eine Problem dabei …

Haben wir und die Fachangestellten die Geduld, beim begrenzten Sprachverständnis von Migranten ein wirkliches Verstehen unserer Empfehlungen zu erzeugen? Sind diese Empfehlungen präzise genug und möglichst schriftlich für die Patienten und in unseren Kalendern fixiert?

… und das andere Problem

War sich die Fachangestellte, die versprach, man werde sich bei pathologischem Befund melden, der Übernahme der Verantwortung dafür bewusst? Hat sie selbst den Eingang irgendwann überprüft? Hat sie ihr Versprechen mit ihren Kolleginnen besprochen und damit die Verantwortung auf das Team übertragen, oder hat sie es so dahingesagt und auch noch nur für sich behalten? Ist deshalb der versprochene Rückruf nicht erfolgt?
Man fragt sich schon auch, warum der Facharzt seine Verantwortung auf die Abfassung und Absendung des Briefes beschränkt und nicht selbst den telefonischen Kontakt mit der überweisenden Ärztin sucht, um die Dringlichkeit der Situation zu besprechen. So etwas ist ja auch als „Konsil“ sogar abrechenbar. Da ist wohl auch zu viel „Routine“ im Spiel.

Fazit

Wenn der Umgang mit Fremdbefunden nicht systematisch geregelt ist, ihr Eingang nicht dokumentiert wird und eintreffende Befunde nicht zum Beispiel mit Datum eingescannt werden, dann können sie eben „untergehen“ mit fatalen Folgen wie hier. Die Verantwortung dafür trägt der Praxisinhaber beziehungsweise gegebenenfalls auch ein MVZ!

Autor: Prof. Dr. med. Gernot Lorenz

Quelle: Der Allgemeinarzt

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