Hungern kann langfristig übermäßiges Essen begünstigen: Es bringt das Langzeitgedächtnis dazu, eine erhöhte Kohlenhydrataufnahme als besonders belohnend abzuspeichern.
Mithilfe von Verhaltensexperimenten an der Taufliege Drosophila melanogaster hat ein Forschungsteam am Institut für Zoologie der Universität Köln die Steuerung der Nahrungsaufnahme im Gehirn untersucht.1 Ein Neurotransmittersystem vermittelt Entscheidungen und verwendet dafür Oktopamin. Der Botenstoff bestimmt, ob die Erinnerungen an die Aufnahme von Kohlenhydraten im Lang- oder im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert wird. Diese Entscheidung wird abhängig von internen Energiereserven getroffen, was einen entscheidenden Einfluss auf das Essverhalten in der Zukunft hat.
Die Forschenden untersuchten, wie sich bei der Taufliege mildes Fasten und ein reduzierter Glykogenspiegel im Fettgewebe und in den Muskeln auf die Wahrnehmung von Kohlenhydraten auswirken. Die Speicherform der Glukose, das Glykogen, wird im Fettgewebe eingelagert und zu einem großen Teil als Energie in den Muskeln verbraucht. Die Informationen über die Energievorräte dieser Gewebe werden von dem Oktopamin in das Entscheidungssystem integriert und beeinflussen die Bildung eines Gedächtnisses über eine mögliche Futterquelle.
Gedächtnis triggert Nahrungsaufnahme
Frühere Studien haben gezeigt, dass Überernährung bei Tieren und Menschen zu einem erhöhten Glykogenspiegel führen kann. In dem Experiment hatten die Taufliegen durch genetische Modifikationen einen höheren Glykogenspiegel. Beim Fasten bewirken die erhöhten Energiereserven die Bildung eines sehr stabilen Gedächtnisses, das nicht vergeht, wenn erneut Nahrung aufgenommen wird. Dies ist auch der Fall, wenn der Nährwert der nächsten Mahlzeit eigentlich ausreichend ist, um die Defizite wieder auszugleichen. Das Gedächtnis triggert eine erhöhte Nahrungsaufnahme. Bei einem sehr hohen Glykogenspiegel führte die Aufnahme von Kohlenhydraten im Experiment zudem lediglich zu einer geringen Belohnungswirkung im Gehirn. Die weniger belohnende Wirkung der Nahrungsaufnahme befeuerte somit das Bedürfnis, weiterzufressen. Erfolgte die Nahrungsaufnahme in ausreichendem Maße oder war ausreichend Energie im Tier vorhanden, unterdrückte das Entscheidungssystem wiederum die Bildung eines solchen, länger anhaltenden Gedächtnisses bezüglich der Nahrungsquelle. Dies war unabhängig vom Kohlenhydratgehalt oder der Proteinanreicherung der Nahrung.
„Belohnung“ bleibt aus
Das Oktopamin integriert somit je nach Energieniveau die aktuelle Nahrungsaufnahme in die Gedächtnisbildung: Lebensmittel, die einen ausreichenden Nährwert bieten, werden nicht mehr als ausreichend lohnend wahrgenommen. In der Folge tritt übermäßiges Essen auf – unabhängig vom Nährwert oder der Art der Nahrung.
Studien, die einen ähnlichen Mechanismus beim Menschen nachweisen, liegen nicht vor. Doch da sich die beteiligten Moleküle bei der Taufliege und beim Menschen stark ähneln, liegt dem Forschungsteam zufolge nahe, dass auch der Mechanismus ähnlich funktioniert. Die Ergebnisse könnten somit erklären, warum es schwierig ist, Gewicht zu verlieren: Wenn die Erinnerung an die belohnende Wirkung von Nahrungsmitteln die belohnende und sättigende Wirkung der tatsächlichen Nahrungsaufnahme überdauert, so kann dies zur erhöhten Nahrungsaufnahme führen.
Bericht: Birgit Schulze
Quelle: Universität Köln (Köln, 29. Mai 2024). Essensverzicht schadet beim Versuch, Gewicht zu verlieren
1.Berger M, Fraatz M, Auweiler Ket al. Octopamine integrates the status of internal energy supply into the formation of food-related memories. Elife. 2024 Apr 24; 12:RP88247. doi: 10.7554/eLife.88247.
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