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Gendermedizin – Teil 2: Ungleichbehandlung – 
in der Medizin erwünscht

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Gendermedizin – Teil 2: Ungleichbehandlung – 
in der Medizin erwünscht

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin und immer häufiger kommen die Forscher den Ursachen auf die Spur – nicht zuletzt dank der Gendermedizin, einer noch jungen Fachdisziplin.

Das Wissen um die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Medizin bietet die Chance für die Entwicklung von individualisierten geschlechtsangepassten Behandlungs­ansätzen.

Frauen empfinden Schmerz anders

Wie intensiv ein Schmerzreiz empfunden wird, hängt nicht nur vom reinen Nervensignal ab, sondern ist ein Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren. Bei Frauen scheint aber die Schwelle für schmerzhafte Reize niedriger zu sein. Es gibt Hinweise, dass das Nervensystem dabei eine entscheidende Rolle spielt: Nervenfasern, die Schmerzreize aufnehmen und an das Rückenmark weiterleiten, sind bei Frauen wahrscheinlich „unterschwelliger“ eingestellt. Daneben wurden noch weitere Unterschiede identifiziert. So äußern Frauen und Männer generell Schmerzen unterschiedlich. Über die Ursachen sind sich die Wissenschaftler noch uneins. Wesentliche Faktoren scheinen dabei aber die Hormone Östrogen und Progesteron zu sein, die einen Einfluss auf die Schmerzempfindlichkeit und Schmerzverarbeitung haben. Auch genetische Faktoren scheinen beim Schmerzempfinden eine Rolle zu spielen.
Weitere Studien zeigen, dass Frauen wohl generell mehr unter Schmerzen leiden als Männer und auch über intensivere und länger andauernde Schmerzen berichten.

Nicht nur das biologische Geschlecht macht den Unterschied

Das Wissen um geschlechtsspezifische Unterschiede bei bestimmten Erkrankungen und ­Beschwerdebildern und das Erkennen der Anzeichen sollten bei der Diagnosestellung sowie der daraus abgeleiteten geschlechtsangepassten Therapieentscheidung berücksichtigt werden. Die Unterschiede werden zwar noch immer unterschätzt, doch es findet so langsam ein Umdenken statt – nicht zuletzt dank der Gendermedizin. Sie berücksichtigt bei der Beurteilung geschlechtsspezifischer Unterschiede nicht nur das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht. So spielen auch Aspekte wie Alter, Bildung, ­ökonomischer Hintergrund, Kultur und Ethnie eine Rolle bei der Wahl der medizinischen ­Versorgung.
Mittlerweile werden aufgrund gesetzlicher Auflagen in klinischen Studien neue Medikamente, die für Frauen und Männer bestimmt sind, auch an beiden Geschlechtern getestet. Immer mehr geschlechtsspezifische Unterschiede werden so identifiziert, die Entstehung, Diagnose, Verlauf und Behandlung von Erkrankungen beeinflussen. Wird ein Medikament hingegen nur mit einem Geschlecht untersucht, erhält es auch nur für dieses eine Zulassung. Aus diesem Grund wurden einige Medikamente – z.B. gegen Osteoporose und Brustkrebs – nur für Frauen zugelassen, obwohl diese Krankheiten auch Männer treffen kann. Ungleichbehandlung ist also mittlerweile ausdrücklich erwünscht.

Frauen und Männer sind anders krank

Krankheitsanzeichen, Symptome, aber auch das Erkrankungsrisiko können bei Frauen und Männern unterschiedlich sein. Auf der Suche nach dem „Warum“ wurden bereits verschiedene Ursachen identifiziert, die zum Teil schon länger bekannt sind, die aber immer noch zu wenig beachtet werden.

Das Immunsystem hat Einfluss bei zahlreichen Erkrankungen und ist dabei ganz und gar nicht „neutral“. Immunregulatorische T-Zellen unterscheiden sich in Anzahl und Aktivität bei Männern und Frauen. Beide Geschlechter reagieren zudem unterschiedlich auf körpereigene und körperfremde Antigene. Frauen zeigen generell eine stärkere Immunreaktion als Männer. Daher sind sie auch häufiger von Autoimmunerkrankungen betroffen. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind auch bei den Immunreaktionen auf Infektionen bekannt. Jüngstes Beispiel ist die SARS-CoV-2-Infektion: Männer hatten in der Pandemie häufiger lebensbedrohliche und tödliche COVID-19-Verläufe als Frauen.

Auf dem X-Chromosom befinden sich zahlreiche Gene, die die Zusammensetzung und Funktionsweise des Immunsystems beeinflussen. Da diese bei Frauen doppelt vorhanden sind, geht man davon aus, dass es dadurch bei Frauen schneller zu einer Überaktivierung der Immunantworten kommt. Dass Frauen eine stärkere Immunabwehr haben, ist einerseits gut, da dadurch in der Schwangerschaft auch das ungeborene Kind geschützt ist. Nachteilig ist andererseits, dass Frauen zwischen 40 und 60 Jahren ein besonders hohes Risiko haben, z. B. eine rheumatoide Arthritis zu entwickeln. Eine stärker ausgeprägte Impfantwort, höhere basale Immunglobulin-Spiegel und eine höhere B-Zell-Zahl des weiblichen Immunsystems weisen zudem darauf hin, dass sich nicht nur die angeborene, sondern auch die adaptive Immunantwort unterscheidet.

Über den Einfluss der weiblichen Geschlechtshormone ist schon vieles bekannt. Änderungen der Geschlechtshormonspiegel in der Schwangerschaft, im Menstruationszyklus und im Alter haben Auswirkungen, die sich auf vielseitige Weise klinisch manifestieren können. Das Hormon Östrogen, genauer dessen Stoffwechsel, steht in Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko von Frauen für Lungenkrebs oder Brustkrebs.

Frauen haben ein höheres Risiko für eine Blasenentzündung oder andere Harnwegserkrankungen, da die im Vergleich zu Männern kürzere Harnröhre den Bakterien einen leichteren Zugang zur Blase ermöglicht.
Andererseits erkranken Frauen seltener an einem Harnblasenkarzinom, sind jedoch häufiger von fortgeschritteneren Tumorstadien und ungünstigeren Krankheitsverläufen betroffen. Es ist bis heute unklar, welche Ursachen für den aggressiveren Verlauf des Harnblasenkarzinoms bei Frauen verantwortlich sind. Jedoch werden die Unterschiede immer noch vernachlässigt, was die Diagnosestellung verzögert. Mittlerweile gibt es mit den NICE-Leitlinien (NICE = National Ins­titute for Health and Care Excellence) klare Handlungsempfehlungen, wann eine Untersuchung auf Blasenkrebs bei Patientinnen angeraten ist.

Früher erkrankten Männer häufiger als Frauen an Lungenkrebs. Der Grund: Männer rauchten häufiger Zigaretten als Frauen. Heute rauchen Frauen fast so häufig wie Männer, aber mit einem höheren Risiko für Lungenerkrankungen.

Ausblick

Im dritten Teil stellen wir weitere Erkrankungen – chronische Nierenkrankheit, Depression und Alzheimer – vor, bei denen geschlechtsspezifische Unterschiede identifiziert wurden. Zudem haben wir Ärzten in einer Frankfurter Gemeinschaftspraxis Fragen zur Rolle der Gendermedizin im Praxisalltag gestellt.

Autor: Brigitte Funk

Quelle: Der Allgemeinarzt

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