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Friedreich Ataxie: Auch ein Fall für die Allgemeinmedizin

Gelähmte Frau im Rollstuhl

Friedreich Ataxie: Auch ein Fall für die Allgemeinmedizin

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Charakteristisch für die Erkrankung sind nicht nur neurologische Symptome, auch extraneurale Manifestationen, die beispielsweise das Herz-Kreislauf-System betreffen, sind häufig. Neben der symptombezogenen Behandlung ist mittlerweile die pharmakologische Therapie spezifisch für Friedreich Ataxie zugelassen – ein Überblick

Die Friedreich Ataxie stellt mit einer Prävalenz von 0,5/100.000 die häufigste hereditäre Ataxie in Europa dar. Die Erkrankung manifestiert sich typischerweise im Kindes- oder Jugendalter, wobei auch ein Beginn im Erwachsenenalter möglich ist. Leitsymptom ist eine Ataxie, die sich initial häufig durch Gangunsicherheit oder Stürze bemerkbar macht. Weitere neurologische Symptome umfassen neuropathische Schmerzen, Dysphagie und Blasenfunktionsstörungen.

Darüber hinaus sind extraneurale Manifestationen häufig: Die hypertrophe Kardiomyopathie kann zu Komplikationen wie Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen führen, die die häufigste Todesursache darstellen. Skoliose, meist infolge muskulärer Insuffizienz, kann häufig bereits vor dem Auftreten neurologischer Symptome beobachtet werden. Eine Minderheit der Patienten entwickelt zudem einen Diabetes mellitus.

Die Friedreich Ataxie ist eine langsam progrediente Erkrankung mit einer Lebenserwartung von 35–40 Jahren, wobei die Prognose aufgrund interindividueller Unterschiede, z. B. Beginn der Erkrankung und Zahl der GAA-Trinukleotid-Wiederholungen erheblich variieren kann6. Zur quantitativen Erfassung des Schweregrads der Ataxie werden vor allem zwei klinische Skalen eingesetzt: die Scale for the Assessment and Rating of Ataxia (SARA; Wertebereich 0–40)7 und die modified Friedreich Ataxia Rating Scale (mFARS; Wertebereich 0–93, im Original 0–125)8. Höhere Werte spiegeln in beiden Skalen eine stärkere Beeinträchtigung der neurologischen Funktion wider.

Verlaufskontrolle

Angesichts der häufigen multisystemischen Beteiligung bei Friedreich Ataxie ist eine regelmäßige Verlaufskontrolle essenziell. Zur frühzeitigen Erkennung einer Kardiomyopathie und deren Komplikationen werden jährliche kardiologische Untersuchungen mittels Echokardiografie und Elektrokardiogramm empfohlen13. Eine zuverlässigere Erfassung der Kardiomyopathie ist mit einer Kardio-MRT möglich.


Ein Screening auf Diabetes mellitus sollte in zweijährlichem Abstand erfolgen. Orthopädische Untersuchungen und eine radiologische Bildgebung der Wirbelsäule sind insbesondere bei klinischem Verdacht auf eine Skoliose und Fußdeformitäten indiziert. Bei Vorliegen einer Dysphagie kann eine fiberendoskopische Schluckuntersuchung (FEES) und logopädische Untersuchung zur genaueren Diagnostik sinnvoll sein. Darüber hinaus sollte das Monitoring psychischer Begleiterkrankungen in regelmäßigen Abständen erfolgen, um eine frühzeitige Behandlung zu ermöglichen.

Unterstützende Therapien und ­interdisziplinäre Behandlung


Die klinische Versorgung der Friedreich Ataxie ist überwiegend symptomorientiert und zielt auf den Erhalt funktioneller Fähigkeiten ab. Die Vielzahl neurologischer und systemischer Symptome lässt sich am effektivsten in einem multi­disziplinären Behandlungsansatz adressieren, der rehabilitationsmedizinische Maßnahmen und medikamentöse Therapien gemäß aktuellen Leitlinien umfasst13. Die unterstützende Behandlung beinhaltet in der Regel Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie. Besonders die Physiotherapie nimmt einen zentralen Stellenwert ein und sollte auf die Verbesserung von Gangbild, Gleichgewicht, Koordination, Haltung und Muskelkraft ausgerichtet sein.


Aktuelle Studien deuten auf einen möglichen krankheitsmodifizierenden Effekt durch regelmäßige Bewegung bei Patienten und Patientinnen mit Ataxie hin, die bisherigen Studienergebnisse bei Friedreich Ataxie sind jedoch uneinheitlich und vermutlich durch unzureichende Fallzahlen limitiert. Eine frühzeitige palliativmedizinische Beratung sowie die vorausschauende Versorgungsplanung sollten integraler Bestandteil der Betreuung sein.


Die symptomatische Pharmakotherapie umfasst unter anderem die Behandlung von neuropathischen Schmerzen, Spastizität, Harnblasenfunktionsstörungen und affektiven Symptomen. Neuropathische Schmerzen können mit Gabapentin, Pregabalin, Amitriptylin oder Duloxetin behandelt werden. Bei Spastizität gilt Baclofen als Mittel der ersten Wahl. Tizanidin und Dantrolen-Natrium stellen weitere Optionen dar, sollten jedoch aufgrund potenzieller Hepatotoxizität mit besonderer Vorsicht eingesetzt werden16. Nach klinischer Erfahrung der Autoren und Autorinnen berichten viele Patienten und Patientinnen mit Spastik von einer guten Wirksamkeit einer off-label Therapie mit Nabiximol, welche in Deutschland jedoch nur zur Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen ist.


Bei fokal ausgeprägter Spastik kann eine lokale Botulinumtoxin-A-Injektion erwogen werden16. Bei Harnblasenstörungen sollte zunächst eine urologische Abklärung erfolgen. Bei ausbleibendem organischem Befund können antimuskarinische Substanzen wie Trospiumchlorid oder Oxybutynin sowie intradetrusorale Injektionen von Botulinumtoxin A zum Einsatz kommen17. Zusätzlich erfordern nicht-neurologische Manifestationen wie Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz oder ein Diabetes mellitus eine entsprechende leitliniengerechte Mitbehandlung.

Omaveloxolon

Omaveloxolon ist die erste spezifische Pharmakotherapie für die Friedreich Ataxie und wurde im Februar 2024 von der Europäischen Kommission für die Behandlung von Patienten und Patientinnen ab 16 Jahren zugelassen Bei Patienten und Patientinnen mit ausgeprägter kardialer Beteiligung ist die Therapieentscheidung allerdings herausfordernd. Diese Gruppe war von der Zulassungs-Studie MOXIe-22 und dem Härtefallprogramm ausgeschlossen. Obwohl eine schwere Herzerkrankung laut EU-Zulassung keine Kontraindikation mehr darstellt25, fehlen Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit bei fortgeschrittener Kardiomyopathie. Weitere Studien mit Real-World-Daten sind erforderlich.


Angesichts der hohen Prävalenz von Laboranomalien ist eine regelmäßige Überwachung der Patienten und Patientinnen von entscheidender Bedeutung. Es wird empfohlen, die Leberfunktion, Lipidwerte und BNP in den ersten drei Monaten monatlich und anschließend alle drei Monate zu kontrollieren. Obwohl in der Fachinformation keine expliziten Empfehlungen zur Herzüberwachung gegeben werden25, verdeutlicht das Fehlen von Daten zu kardiovaskulären Nebenwirkungen die Notwendigkeit einer routinemäßigen kardiologischen Überwachung.


Aktuell ist Omaveloxolon für Jugendliche ab 16 Jahren und Erwachsene zugelassen, eine Phase-3-Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit von Omaveloxolon bei Kindern ist geplant. Eine entsprechende Dosisfindungsstudie läuft bereits. Darüber hinaus wurde eine Phase-4-Studie zur Evaluierung von Omaveloxolon unter realen Bedingungen kürzlich gestartet.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die unterstützende Behandlung nach wie vor den Kern der Therapie bei Friedreich Ataxie bildet. Die Zulassung von Omaveloxolon stellt einen wichtigen Fortschritt in der Behandlung dieser bislang unheilbaren Erkrankung dar. Dennoch bleiben die häufigen Erhöhungen der Aminotransferasen, die potenziell zur Entblindung von Patienten und Prüfärzten geführt haben könnten, sowie die begrenzte Stichprobengröße bedeutende Einschränkungen der Zulassungsstudie. Langfristig werden jedoch kausale Therapien benötigt, die direkt den zugrunde liegenden Frataxin-Mangel adressieren; Studien zu Gentherapien sowie Frataxin-Ersatztherapien laufen bereits.

Autor:innen: Dr. med. Stella A. ­Lischewski, Univ.-Prof. Dr. med.
 Jörg B Schulz, Univ.-Prof. Dr. med. ­Kathrin Reetz,
Klinik für Neurologie, Uniklinik RWTH Aachen

Bildquelle:© Robert Kneschke – stock.adobe.com

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